Reizdarm- Ernährung: wohin geht die Reise?

In den letzten Jahren hat sich sehr viel im Bereich der therapeutischen Ernährung beim Reizdarm getan. Viele Diäten behaupten inzwischen, das Maß aller Dinge zur Linderung chronischer gastrointestinaler Beschwerden zu sein: Veganismus, Rohkost, die Vollkost nach Dr. Bruker, Paleo bzw. Steinzeiternährung (mit Autoimmunprotokoll), Spezielle Kohlenhydratdiät, low- FODMAP- Diät, Fast Tract Diät (Fermentationspotenzial), GAPS- Diät, low- carb nach Dr. Lutz, Ketogene Diät ... Ich denke, der Leser merkt, worauf ich hinaus will.

 

Es ist also nicht verwunderlich, dass ich von meinen Klienten immer wieder die Frage gestellt bekomme: "Aber welche Diät hilft denn nun wirklich?" bzw. "Welche von den vielen ist die Beste?"


Diese beiden Fragen kann man auf verschiedene Art und Weise beantworten:


Welche dieser Diäten hat den besten klinischen Background?


Unter diesem Gesichtspunkt ist die Antwort absolut klar: Die low- FODMAP- Diät ist die einzige wissenschaftlich fundierte, klinisch erprobte und inzwischen von vielen Fachverbänden empfohlene Diät zur Linderung der Beschwerden von Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Sodbrennen und dem Reizdarmsyndrom.


Das Lustige daran ist, dass wir eine FODMAP- arme Diät auf verschiedenste Weise gestalten können: high carb (viel Reis, Quinoa etc.), low carb (viel Fleisch, laktosefreier Käse, Eier), vegetarisch (Tofu, Gemüse, Pseudogetreide).


Dieser Umstand könnte einer der Hauptgründe sein, warum die eher low- carb- Diäten (Paleo, GAPS, SCD, Lutz, Keto) vielen Patienten schnell helfen: Sie reduzieren automatisch viele FODMAPs und auch den Ballaststoffgehalt, wenn die Anwender nicht gerade ihren Gemüsekonsum in ungeahnte Höhen schrauben.



Zu bemerken ist natürlich, dass jeder Mensch von uns unterschiedlich ist und insbesondere trifft das auch auf chronisch Kranke zu. Kein Ei gleicht dem anderen.

Was bedeutet das für unser Ernährungsproblem? Ganz einfach: Unterschiedliche Problemstellungen bedürfen unterschiedlicher Lösungsansätze. Eine Diät bei Fettverdauungsstörung sollte eher auf gute Stärkequellen setzen und Fett lediglich aus Gemüse und etwas MCT beziehen. Ein klassischer Verstopfungstyp wird mit Vollkost und einer erhöhten Ballaststoffzufuhr vielleicht eher Erfolg haben. Klassische Ansätze für Durchfall und Krämpfe sind SCD, Paleo und Lutz.

Die Diäten sind verschieden, aber ...

So unterschiedlich die postulierten Ernährungsansätze auch sind, eins haben sie dennoch gemeinsam: Sie setzen allesamt auf unverarbeitete Lebensmittel, welche frei von chemischen Geschmacks-, Süß- und Farbstoffen sind. Sie zwingen den Anwender den Kochlöffel wieder in die Hand zu nehmen.

 

Woher kommen die Unterschiede bei der Häufigkeit der Darmerkrankungen in Industrie- und Entwicklungsländern? Warum ziehen die Schwellenländer mit fortschreitender Entwicklung nach? Ist es das urbane Leben, der Stress? Oder sind es doch eher die über 100.000 künstlich erzeugten Stoffe in unserer Nahrung, für die unser Immunsystem über keinen Fahrplan verfügt?

 

Dr. Paul Jaminet, ein Experte im Bereich der Steinzeiternährung sagte einmal sinngemäß in einem Interview, das Beste, was man tun könne, um seine Gesundheit zurückzugewinnen sei, endlich wieder anfangen sein Essen selbst zuzubereiten. Er pries also nicht seine Diät, oder sein neues Buch an. Er verwies auf die unveränderte, von der Natur gegebene Nahrung, wie sie schon von unseren Vorfahren praktiziert wurde.

 

Paleo- der Weisheit letzter Schluss?

Ich selbst bin ein großer Freund der Steinzeiternährung, denn erst über dieses Konzept habe ich zur low- FODMAP- Diät und weiteren Ideen gefunden, welche mir und vielen Klienten halfen. Leider ist aus Paleo eine riesige Marketingmaschinerie geworden: Supplemente, Bücher, Allheilsversprechen, besondere Lebensmittel usw.

 

Faszinierte mich am Anfang besonders das freie Denken unter den Anhängern der Steinzeiternährung, desto mehr schreckt mich inzwischen der gewachsene Dogmatismus und der Eliteanspruch ab. Ich finde das Konzept wie geschrieben immer noch sehr praktisch, um gewisse Richtlinien herzuleiten, Dinge zu hinterfragen oder meinen Patienten Sachverhalte ohne biochemische Details verständlich zu machen. Aber ich wehre mich mit Händen und Füßen dagegen, was aus dieser Gemeinschaft geworden ist.

 

Was die Reizdarm Behandlung angeht, so stellen Paleo, SCD und Co. immer noch einen guten Einstieg dar. Sie bekommen sehr viele Betroffene innerhalb kürzester Zeit symptomatisch gebessert, ABER mehr auch nicht.

Reizdarmpatienten müssen an ihrer Darmflora und dort vor allem ihrer Biodiversität arbeiten (hohe Anzahl unterschiedlicher Spezies). Was die meisten Anwender mit Paleo oder gar einer Ketogenen Diät machen, ist die Darmflora quantitativ zu verringern: weniger Bakterien, weniger Toxine, weniger Beschwerden. Zusätzlich werden noch FODMAPs reduziert und damit die Symptomprovokation verhindert.

 

Aber reicht das: Nein!

 

Warum sind die Paleo- Verfechter nicht konsequent, wenn sie immer wieder über die Darmflora schreiben und erwähnen, dass unsere Urahnen ein Vielfaches an Pflanzen verzehrt haben und zwar qualitativ und quantitativ. Große Mengen unterschiedlicher Arten: roh, gekocht, fermentiert, frisch, abgelagert usw.


Der richtige Weg

So sehr ich es nachvollziehen kann, dass die Betroffenen endlich ihre wohlverdiente Symptomfreiheit genießen wollen: Sie müssen ihre Diät erneut umstellen. Ohne vielfältige bunte Ernährung kein gesundes probiotisches Mikrobiom. Ohne probiotische Darmflora keine langfristige Gesundheit. So einfach ist das letztendlich.


Also auch wenn Sie sich mit der FODMAP- Eliminationsdiät ODMAPs einbauen müssen. Präbiotika: Sauerkraut, vergorenes Gemüse, Joghurt; resistente Stärke: Reis, Kartoffeln; eine erhöhte Ballaststoffzufuhr und eine möglichst große Nahrrungsvielfalt sind für Gesunde UND kranke Menschen absolut essentiell, wenn wir über eine gute Gesundheit sprechen.

 

Was ist konkret zu tun?

Glauben Sie nicht den Mythen der Steinzeiternährung, welche inzwischen sogar die traditionell- lebenden Menschen auf Okinawa oder Thailand zu Fleisch- und Butterjunkies umdichten wollen. Wenn Sie sich mit Paleo sehr gut fühlen, in Ordnung. Doch auch dann sollten Sie Ihre Ernährungsweise kritisch bezüglich der oben aufgeführten Punkte hinterfragen.

 

Die low- FODMAP- Diät ist ein guter Startpunkt. Der Ansatz ist recht liberal, viele Lebensmittel sind erlaubt. Mit fortschreitender Zeit wird der Anwender aufgefordert neue Lebensmittel auszuprobieren. Jede noch so einschränkende Diät (bspw. das Autoimmunprotokoll) sollte nicht nur aufgrund seiner symptomlindernden Eigenschaften beibehalten werden. Nutzen Sie jeden möglichen Schritt der Erweiterung. Nicht jeder Betroffene muss auf jede der Nahrungsmittelgruppen negativ reagieren.

 

Keine noch so ausgeklügelte Ernährungshypothese kann mit einer vernünftig durchgeführten und dokumentierten Eliminationsdiät mithalten. Denn wir alle sind unterschiedlich. Verleihen Sie diesem Umstand Gewicht, indem Sie sich nicht unter Dogmen zwingen lassen. Vielen hilft Paleo, vielen anderen aber nicht. Probieren Sie und werden Sie Ihr eigener Therapeut oder suchen Sie sich einen guten Berater!