Ich selbst hatte den Durchbruch bei der Linderung meiner Reizdarmbeschwerden mit der Speziellen Kohlenhydratdiät (engl. Specific Carbohydrate Diet, kurz SCD). Ich kurierte damit innerhalb weniger
Wochen meine chronischen Durchfälle, Schmerzen und vor allem auch die körperliche Schwäche, welche mir jede Unternehmung zur Qual machte. Ich bin Dr. Haas und Frau Gottschall unheimlich
dankbar, dass sie diese Diät kreierten und popularisierten.
Und doch war es nicht immer leicht. Die Diät ist recht streng und wirft die meisten "Errungenschaften" der modernen Küche über den Haufen. Ich musste plötzlich mehrmals täglich kochen, bezahlte
mehr an der Kasse und musste auf so manches liebgewonnene Fertiggericht verzichten.
Dann kam die low-FODMAP-Diät und ich dachte, dass diese wissenschaftliche Weiterentwicklung der SCD vielen meiner Klienten gut tun würde und dabei viel liberaler sei. Denn darauf kommt es
schließlich an: Eine Ernährungsweise muss langfristig durchzuhalten sein. Ganz wie beim Abnehmen.
Doch umso häufiger ich die low-FODMAP-Diät mit meinen Klienten umsetzte, desto mehr Ehrfurcht bekam ich vor der guten alten SCD. In diesem Artikel möchte ich Ihnen gern schildern warum
...
Warum ich glaube, dass die Spezielle Kohlenhydratdiät dem low-FODMAP-Ansatz überlegen ist ...
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erst klang für mich alles so logisch: Frau Gottschall vermutete, dass bestimmte Kohlenhydrate nicht gut verwertet werden können, in den Dickdarm gelangen, dort
kurzfristig zu Fermentation (Gase und Wasser -> Blähungen und Durchfall) und langfristig zur Ausprägung einer pathologischen Darmflorazusammensetzung führen. Diese wiederum begünstige
Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Heute wissen wir u.a., dass die genannten Störungen tatsächlich mit einer verminderten Biodiversität der Darmflora assoziiert
sind und schließlich wurde auch die zweite These durch Wissenschaftler wie Dr. Shepherd und Prof. Gibson bestätigt: Sie zeigten mit dem FODMAP-Ansatz welche Kohlenhydrate nur schlecht
verdaut und dann fermentiert werden.
Die Sachlage war für mich erst einmal klar. Die low-FODMAP-Diät war eine Weiterentwicklung der Speziellen Kohlenhydratdiät. Sie basierte auf der gleichen Theorie, aber auf aktuelleren
Forschungsergebnissen, war liberaler indem sie viel mehr Lebensmittel erlaubte (Hafer, glutenfreie Getreide, Zucker usw.) und hatte eine sehr gute klinische Datenlage ...
und doch ...
Die SCD brachte meinen Klienten größere Erfolge in kürzerer Zeit
Wenn man es noch nicht selbst beobachtet oder erfahren hat, kann man die Erfolge der SCD kaum glauben. Betroffene schreiben mir oder erzählen mir ganz aufgeregt über Skype, dass sie nach Jahren
chronischen Durchfalls innerhalb von nur wenigen Tagen mit der SCD wieder geformten Stuhlgang haben. Stark untergewichtigen Personen gelingt nach ewigem Herumexperimentieren mit Trinknahrung und
anderen Hilfsmitteln endlich der Durchbruch usw. Solch enorme und schnelle Erfolgserlebnisse bekam ich mit der low-FODMAP-Diät nicht ein einziges Mal zurückgemeldet.
Bereits damals ignorierten die Ärzte und Wissenschaftler die SCD und brachten ihr nicht die notwendige Aufmerksamkeit entgegen. Ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, wie ein Konzept, welches
so sehr von den Anwendern gelobt wird und teilweise unglaubliche Ergebnisse produziert (vor allem auch bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen) in einem solchen Maße von der Forschung
geschnitten werden konnte. Aber nur, weil eine Methode nicht über die notwendige klinische Datenlage verfügt, bedeutet das nicht, dass sie deshalb nicht funktioniert. Es ist nur
nicht statistisch nachgewiesen worden. Viel eher sollte man fragen, warum dies unterbleibt und ob man nicht den vielen tausend Patienten einfach Glauben schenken sollte?
SCD macht das Leben leichter!
Ich glaubte noch bis vor einigen Wochen oder Monaten fest daran, dass der FODMAP-Ansatz die Umsetzung der Ernährungsrichtlinien für Darmkranke vereinfachen würde. Doch die größere Liberalität
wurde mit einer großen Unsicherheit erkauft. Gerade die recht rigiden Richtlinien der SCD, welche in ihren Grundfesten ja der heute so populären Paleodiät sehr ähneln (Fleisch, Fisch, Geflügel,
Eier, Nüsse, Obst, Gemüse und diese unverarbeitet - später laktosefreie Milchprodukte), erleichtern den Betroffenen die Umsetzung. Seit ich öfter die low-FODMAP-Diät empfehle, bekomme
ich jeden Tag Mails mit der Betreffzeile "Ist Lebensmittel oder Produkt xyz erlaubt?"
Es schleichen sich schlicht und ergreifend sehr viele Fehler ein. Glutenfreie Produkte werden einfach als low-FODMAP angesehen, obwohl sie problematische Zusätze enthalten usw. Die
low-FODMAP-Diät eliminiert auch nicht die Möglichkeiten sich sehr unausgewogen zu ernähren (Zucker, hoch verarbeitete Produkte, Omega-6-Pflanzenfett usw.) Die SCD als real-food-Diet wie die
Amerikaner sagen, lässt dies kaum zu, außer man bäckt sich jeden Tag Muffins und andere Leckereien aus Unmengen Honig, Mandeln und Eiern.
Auch das Schummeln wird bei der SCD eher unterbunden, da sie mit einem Heilungsanspruch wirbt, während die low-FODMAP-Ernährung sogar zum Schummeln ermuntert. Die Autoren betonen immer wieder,
dass eine möglichst liberale Diät angestrebt werden sollte und Ausrutscher unproblematisch sind. Dies verstehe ich voll und ganz, doch es trägt auch dazu bei, dass Anwender bereits ganz am Anfang
über die Stränge schlagen.
SCD hilft der Darmflora, für die low-FODMAP-Diät ist dies streitig
In einer Studie wurde von Prof. Mutlu und Kollegen (2014) nachgewiesen, dass die SCD die Biodiversität der Darmflora erhöht. Hier sollten alle Leser aufhorchen, denn eine verminderte
Biodiversität (also das Fehlen vieler Stämme - in Studien bis zu 250 von 1.000) ist eben mit dem Vorliegen chronischer Darmkrankheiten korreliert. Eine Wiederherstellung könnte also durchaus
therapeutische Effekte haben.
Für die low-FODMAP-Diät wurde sogar das Gegenteil beobachtet: Aktuell wird immer wieder betont, dass der Einfluss der Diät auf die Darmflora nicht abschließend geklärt ist und es neuer Studien
bedarf. Gelangen keine FODMAPs in den Dickdarm, verringert sich die bakterielle Population und es ist nicht abschätzbar, was dies für die Biodiversität bedeutet. Aus diesem Grund empfehlen viele
Therapeuten nach einer Zeit wieder FODMAPs einzuführen.
Die SCD holt auf: klinische Datenlage
Langsam aber sicher erobert sich die Spezielle Kohlenhydratdiät auch die Aufmerksamkeit der Forscher. Cohen und Kollegen (2014) fanden eine gute Wirkung auf Kinder mit Morbus Crohn. Kinder,
welche die SCD auch nach der Studie befolgten, zeigten nach 52 Wochen eine anhaltende Heilung der Schleimhaut und stabilen Symptomwerten ohne Rückfälle.
Suskind und Kollegen (2014) untersuchten ebenfalls Kinder mit Morbus Crohn. Alle Probanden wurden nach drei Monaten mit SCD untersucht und zeigten ausnahmslos verbesserte oder gar normalisierte
Entzündungsmarker und verringerte Symptome. Die Kinder erhielten in der Zeit keinerlei immunsupressive Medikamente!
Olendzki und Kollegen (2011) zeigten eine Symptomreduktion in 100% ihrer Studienteilnehmer mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Die meisten konnten ebenfalls ohne Immunsupressiva
gemanagt werden.
Währenddessen gerät die low-FODMAP-Diät etwas ins Straucheln: Neben den oben beschriebenen Bedenken zur langfristigen Wirkung auf die Darmflora beschrieben Böhn und Kollegen (2014) keine
Überlegenheit der Diät gegenüber den klassischen Ernährungsempfehlungen beim Reizdarmsyndrom an RDS- Patientinnen aus drei schwedischen Kliniken.
Interessant wäre ja einmal der Direktvergleich zwischen SCD, low-FODMAP und den klassischen Ernährungsrichtlinien oder gar noch einer Kombination aus allen dreien. ;)
Die SCD als diagnostisches Werkzeug
Setze ich einen Klienten auf die SCD, dann gibt es eigentlich nur drei mögliche Varianten: Der Betroffene erfährt innerhalb kürzester Zeit enorme Linderung, seine Beschwerden verschlechtern sich
massiv oder aber er zeigt Verbesserungen seiner eigentlichen Symptome, leidet aber kurzzeitig unter der so genannten low-carb-Flu.
Bekommt ein Betroffener stärkere Darmbeschwerden kann man sehr schnell von einer Störung von Bauchspeicheldrüse oder Gallenblase ausgehen und entsprechende Diagnostik und Maßnahmen einleiten. Ein
solch simples Vorgehen ist bei der FODMAP-Diät kaum möglich, da zu viele Variablen mit hinein spielen. Die SCD ist meist kohlenhydratarm und fettreich. Sie eliminiert komplexe Kohlenhydrate.
Allein aus den Reaktionen auf diese Gegebenheiten kann man also sehr wichtige Schlüsse für die weitere Therapie ziehen.
Doch ganz so einfach ist es dann leider doch nicht ...
Ich wünschte, jeder Betroffene könnte sich einfach "Breaking the Vicious Cycle" kaufen (siehe auch in unserem Shop in deutscher Sprache: "Diät bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa") und hätte
damit immer Erfolg. Aber viel zu oft habe ich schon gehört, dass dieses Vorhaben in die Hose ging.
Ich verstehe Elaines Gedanken, das Buch so simpel und nachvollziehbar wie möglich zu gestalten, damit möglichst viele Patienten etwas davon haben. ABER: Schaut man sich ihre späteren Einlassungen
zu Details an, dann muss man sich einfach eingestehen, dass noch viel mehr dazugehört:
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Vorherige Austestung ist absolut unumgänglich (Fruktose und Co. sind sonst nicht beschränkt)! Ein fruktoseintoleranter Betroffener kann sonst sogar Verschlimmerung erfahren.
- Phasenweises Wiedereinführen der problematischen Lebensmittel (Nüsse, Fruktose, Milchprodukte, Hülsenfrüchte).
- Beachtung guter Omega-3-Fettsäuren.
- Einsatz fermentierter Lebensmittel.
- Beachtung der neuen Erkenntnisse zu FODMAPs usw.
Wenn Sie möchten, dass die SCD für Sie persönlich gut funktioniert, kann ich Ihnen nur ans Herz legen, sich an einen guten Betreuer zu wenden. Ich habe damals regelmäßig in die USA geskyped, um
mich coachen lassen und dabei sehr viel Geld bezahlt. Aber es hat dann auch besser funktioniert und nach einigen Einheiten wusste ich selbst worauf es ankommt.