Reizdarm und Infektionen?

Mit dieser Reihe haben wir uns nicht weniger vorgenommen, als den Mythos "Es ist nur ein Reizdarmsyndrom. Machen Sie sich keine Sorgen, es passiert alles nur in ihrem Kopf!", welcher leider immer noch von vielen Medizinern, aber auch Verwandten, Bekannten und Kollegen gepflegt wird, sorgfältig zu zertrümmern!

In unserem ersten Artikel ging es dabei um die Rolle von Mikroentzündungen als verlässlicher Marker für die Diagnosestellung des Reizdarmsyndroms. Heute möchten wir uns etwas näher mit Infektionen und ihrem Einfluss auf die Pathogenese der Erkrankung beschäftigen. Ist das Reizdarmsyndrom in Wahrheit vielleich eine Infektionskrankheit? Welche Auswirkungen hätte dies auf die Behandlungsansätze des Leidens?



Welche Rolle spielt der Magen- Darm- Infekt?

Allein der Umstand, dass eine durchgestande akute Gastroenteritis das Risiko an einem Reizdarmsyndrom zu erkranken um den Faktor 6 erhöht, sollte uns aufmerksam werden lassen. Thabane und Kollegen fanden in ihrer Metaanalyse (2007) vier Risikofaktoren, welche die Entwicklung eines postinfektiösen Reizdarms begünstigen können: relativ junges Lebensalter, länger als normal andauerndes Fieber, Ängstlichkeit und Depressionen.

Der postinfektiöse Reizdarm macht Schätzungen zufolge etwa 10% der Patientenpopulation aus, obwohl natürlich mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist, da in Studien die Wahrscheinlichkeit nach einer Gastroenteritis selbst nach 36 Monaten(!) noch erhöht war. Wer verbindet denn nach denn bitte schön seine plötzlich auftretenden Reizdarmbeschwerden mit einem Magen- Darm- Infekt von vor drei Jahren? Im Großteil der Fälle manifestiert sich das postinfektiöse RDS übrigens als durchfalldominanter Typus.

Beatty und Kollegen (2014) beschreiben u.a. die Rolle proinflammatorischer Zytokine, welche die Durchlässigkeit der Darmwand erhöhen (Leaky Gut Syndrome). Durch diesen Umstand bedingt gelangen Bakterien und ihre Endotoxine durch die Darmwand und sind in der Lage Gewebsschäden zu verursachen. Es wird vermutet, dass dieser Vorgang letztendlich zu veränderten Darmfunktionen führt.


Chronisch aktive Infektionen

Yakoob und Kollegen (2004) untersuchten Patienten mit Reizdarmsyndrom und gesunde Kontrollpersonen auf das Vorliegen des Erregers Blastocystis hominis. Der einzellige pathogene Parasit wird sehr häufig aus tropischen Ländern mitgebracht. In den Industrieländern liegt die Infektionsrate gerade einmal bei 1 - 10%. Typische Symptome sind Durchfall, Flatulenz, Bauchkrämpfe und Übelkeit. Die Forschergruppe prüfte die Existenz der Parasiten mittels Stuhlkultur und machte eine überraschende Entdeckung: Während sich die Kontrollgruppe mit 7% positiver Fälle in einem für die USA zu erwartenden Rahmen bewegte, wies fast jeder zweite (46%) untersuchte Reizdarmpatient Blastocystis hominis auf!

In einer weiteren Studie im Jahr 2010 übertrafen Yakoob und Kollegen diesen Wert sogar noch einmal mit 53% und einer höheren Teilnehmerzahl, während sie eine Beteiligung von Dientamoeba fragilis nicht bestätigen konnten.


Potenzielle Pathogene und ihre Wirkung

Weiterhin sehr interessant ist die Wirkung so genannter potenzieller Pathogene auf die Darmfunktion. Als Beispiel möchten wir das Bakterium Klebsiella pneumonia nehmen, welches eigentlich eher für seine aggressiven Infektionen der oberen Atemwege bekannt ist und natürlich für seine ausgeprägte Resistenz gegenüber Antibiotika.

Nur die wenigsten Laien wissen allerdings, dass Klebsiella pneumonia bei den meisten Menschen zur regulären Darmflora gehört und dort bei guten Bedingungen keine Probleme verursacht. Aus diesem Grund nennen wir es potenzielles Pathogen: Erlangt es durch eine Dysbiose der Darmflora und fehlenden Gegenwind probiotischer Bakterienstämme die Oberhand, ist es u.a. mit Morbus Crohn und chronischen Durchfällen assoziiert.

 

Besonders interessant ist hier der gesamte Forschungskomplex von Professor Ebringer, welcher den Zusammenhang zwischen Klebsiella pneumonia und chronischen Darmerkrankungen extensiv erschloss und mit seiner stärkefreien Diät große Erfolge bei der Behandlung erzielen konnte. Übrigens erinnert diese Ernährungsform nicht von ungefähr der SCD, welche ebenfalls vielen Patienten geholfen hat. Hier einige Links zu Professor Ebringers Studien:

  1. Die Verbindung zwischen Klebsiella, Morbus Crohn und Stärkeverzehr (2013)
  2. Klebsiellen und Kollagen bei Morbus Crohn (2009)

Klebsiella pneumonia spielt übrigens auch eine bedeutende Rolle bei der Dünndarmfehlbesiedlung und gehört zu den drei häufigsten überwuchernden Stämmen (Pyleris und Kollegen, 2012).


Antibiotika wirken beim Reizdarmsyndrom

Vor wenigen Tagen haben wir darüber berichtet, dass das Breitbandantibiotikum Rifaximin in den USA zur Behandlung des durchfalldominanten Reizdarmsyndroms zugelassen wurde. Darin stellten wir u.a. Studien vor, welche die Number-needed-to-treat (NNT) auf 11 bezifferte. Es mussten also 11 Patienten mit Rifaximin behandelt werden, damit einer damit gute Erfolge bei der Linderung seiner RDS- Beschwerden hatte. Ist es ein Zufall, dass dies beinahe genau der geschätzten Zahl an postinfektiösen Reizdarmfällen entspricht? Wenn in Studien bis zu 80% der RDS-D Betroffenen eine Dünndarmfehlbesiedlung aufweisen, warum ist die Ansprechquote dann nicht bedeutend höher?


Wie und warum wirken Antibiotika beim Reizdarmsyndrom? Sie können unmöglich in kürzester Zeit eine mangelnde Biodiversität beheben. Reduzieren sie lediglich eine Überpopulation, eine bakterielle Last und ihre Endotoxine? Reagieren Patienten mit einem postinfektiösen Reizdarmsyndrom besser auf die Gabe antibiotischer Substanzen? Und vor allem: Warum lassen die Erfolge nach wenigen Wochen oder Monaten bereits wieder nach?


Diese Fragen sind noch von der Wissenschaft zu klären. Fakt ist aber wohl, dass der infektiösen Beteiligung zumindest bei einem Teil der Reizdarmfälle eine große Bedeutung zukommt.