Nur keine Angst! Ich möchte Sie mit diesem kurzen Artikel nicht bekehren zu einer bestimmten Religion zu konvertieren. Ich selbst bin ein absolut überzeugter Atheist, doch als Psychologe
faszinieren mich Studien, welche konsistent zeigen, dass der Glaube an eine höhere Macht mit verschiedensten gesundheitlichen Vorteilen verbunden ist.
Nun haben wir auf diesem Portal schon sehr oft über die psychischen Aspekte unserer Erkrankung geblogt und oft beiße ich damit bei meinen Lesern und Klienten auf Granit. Wir wissen, dass laut
einigen Untersuchungen bis zu 95% der RDS-Patienten psychologische Auffälligkeiten zeigen (Whitehead, 2002). Dabei wirken sich verschiedene psychologische
Faktoren auch auf die Stärke der Symptome aus, u.a. erlebter Stress, Persönlichkeitstraits und auch Copingstile (Van Tilburg und Kollegen,
2013).
Eine neue Untersuchung zeigt, warum Entspannungstechniken (darunter eben auch das tiefe Gebet) einen Einfluss auf unsere Symptome nehmen und zwar weit über das bloße Umstrukturieren
negativer Gedanken hinaus!
Ich habe es doch nicht mit dem Kopf!
Interessanterweise werden mir immer wieder zwei "Argumente" entgegen gehalten:
-
Der Reizdarm war zuerst da! Er ist also nicht die Folge, sondern die Ursache für die begleitenden psychischen Symptome.
- Psychotherapie für den Reizdarm ist lediglich eine "Abfederung" des erlebten Übels. Wir Psychologen verändern also nur die
Interpretation der Erkrankung und nicht die Symptome an sich.
Wieviel Wahrheit steckt in den einzelnen Aussagen?
Das erste Argument ist meiner Meinung nach absolut ungültig, obwohl es im Subtext sehr viel Wahrheit enthält: Die meisten Betroffenen entwickeln Ängste und Depressionen aufgrund eines langfristig bestehenden, medikamentös nur schwer zugänglichen und/oder sehr ausgeprägten Reizdarmsyndromes.
Dennoch ist dies keine Einbahnstraße, denn aus der Forschung wissen wir, dass bspw. bestehender Stress bzw. Ängstlichkeit die Wahrscheinlichkeit stark erhöhen, nach einem akuten Darminfekt einen
Reizdarm zu entwickeln (Thabane und Kollegen, 2007), oder auch dass sich unter uns Betroffenen weit mehr Menschen mit körperlichen und psychischen
Missbrauchserfahrungen in der Vergangenheit finden (Barreau und Kollegen, 2007).
Doch nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, die erste Aussage hätte einen 100%igen Wahrheitsgehalt. Macht diese Tatsachen die Psychotherapie in irgendeiner Art und Weise überflüssiger oder
ineffektiver?
Wissenschaftlicher Konsens ist ja, dass bspw. die Kognitive Verhaltenstherapie Einfluss auf u.a. das Stresserleben und die Erwartungsangst nimmt und damit indirekt auch die Symptome in
"kritischen Situationen" lindert. Außerdem führt sie durch die Umstrukturierung dysfunktionaler Gedanken zu einer subjektiv höheren Lebensqualität der Klienten.
Spielt es denn dann überhaupt noch eine Rolle, was eher da war, Huhn oder Ei? Psychotherapie hilft den allermeisten RDS-Patienten. Damit ist nicht gleich das Eingeständnis verbunden, dass das
Reizdarmsyndrom eine "psychische Erkrankung" ist. Dass vielmehr biopsychosoziale Faktoren hinter diesem komplexen Krankheitsbild stecken, haben neben den allermeisten Ärzten inzwischen auch viele
Psychotherapeuten verstanden, versprochen!
Entspannung lindert Entzündungen!
Vor einiger Zeit haben wir schon einmal darüber berichtet, dass akuter Stress sehr negative Auswirkungen auf unsere Darmflora hat (Bailey und Kollegen, 2011). Wir können uns also vor diesen ungewollten Effekten schützen, indem wir ein sinnvolles
Stressmanagement betreiben. Neben einer biodiversitätfördernden Ernährung und einigen Supplementen ist dies ein unerlässlicher Schritt bei der Restaurierung der Darmflora, welcher aber leider
sehr häufig nicht die Beachtung findet, welche ihm eigentlich gebührt!
Eine Forschergruppe um Kuo (2015) enthüllte nun einen weiteren Mechanismus, warum Psychotherapie und Entspannungstraining zu
einer Symptomlinderung auf körperlicher Ebene führen. Die Wissenschaftler ließen Betroffene mit Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa über neun Wochen lang Techniken trainieren,
welche den so genannten "relaxation response state" induzieren. Dabei handelt es sich um einen Zustand tiefster innerer Ruhe, wie er u.a. durch inniges Gebet, Autogenes Training, Meditation oder
auch Yoga erreicht werden kann.
Ein Teil der Ergebnisse war durchaus vorhersehbar: So verbesserten sich die Symptome aller Gruppen nach den neun Trainingswochen, aber auch in einer Kontrollbefragung mehrere Wochen später. Das
besonders interessante an dieser Untersuchung ist aber ein weiterer Befund:
Die regelmäßige Tiefenentspannung nahm Einfluss auf die Genexpression von über 200 (Reizdarm) bzw. sogar 1.000 (CED) Genen, welche mit dem Entzündungsprozess assoziiert sind und damit in
direktem Zusammenhang mit den vermuteten Pathomechanismen beider Erkrankungen stehen.
Sie erhalten also nicht "nur" eine andere (positivere oder realistischere) Sicht auf Ihre Erkrankung, sondern auch lindernde biologische Einflussfaktoren! Psychotherapie hilft also im Doppelpack und kein RDS-Betroffener sollte sich dies mMn entgehen lassen. Es muss dafür auch keine große Verhaltenstherapie sein. Aber 20-30min. tägliches Training ist für fast jeden möglich und dazu noch ganz kostenlos!
Viel Erfolg damit wünscht
Thomas Struppe