Immer wieder berichten mir Klienten oder Leser, dass Ihnen nach einer Mahlzeit die Speise "wie ein Stein im Magen" liege. Die quälenden Symptome, vor allem Bauchschmerzen, Völlegefühl,
Unwohlsein, aber manchmal auch vermehrte Schweißproduktion, Konzentrationsstörungen und Übelkeit, treten scheinbar unabhängig von den verzehrten Lebensmitteln, aber immer kurz nach der
Einnahme einer Mahleit, auf.
Natürlich ist dies ein unangenehmer Zustand, denn wer kann schon seine täglichen Arbeiten im Job ordentlich verrichten, oder entspannt Zeit mit dem Partner oder den Kindern verbringen, wenn es im
Bauch zwickt und kneift?
Zu meinen Klienten sage ich dann immer:
"Sie können sich glücklich schätzen, denn dass Ihre Beschwerden einen deutlichen Zusammenhang mit den aufgenommenen Mahlzeiten zeigen, ist ein wichtiger Hinweis, dass eine
Funktionsstörung bei der Verdauung vorliegt. Diese lässt sich zumeist gut therapeutisch beeinflussen!"
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass alle Menschen, die unter Bauchschmerzen nach dem Essen leiden, eine schnelle Heilung erwarten können, ABER es gibt mehrere plausible Erklärungen für das Phänomen, welche dann auch gut medikamentös bzw. diätetisch zugänglich sind.
Diese Optionen möchte ich im heutigen Artikel besprechen.
Das wichtigste zuerst: Bauchschmerzen nach dem Essen sind kein(!) klarer Hinweis auf ein Reizdarmsyndrom
Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Darmerkrankung, welche durch einen Symptomkomplex (u.a. Bauchschmerzen, Durchfall und/oder Verstopfung, Blähungen) charakterisiert ist, welcher direkt
mit dem Verdauungsapparat in Verbindung gebracht wird. Bei der Diagnosestellung wir eine so genannte "Differentialdiagnose" von den Ärzten verlangt, d.h. dass neben dem Vorliegen der
oben angesprochenen Symptome, keine alternativen Erkrankungen (bspw. eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung wie Morbus Crohn, eine Zöliakie oder auch eine Laktoseintoleranz) für
deren Vorliegen erklärend sein dürfen!
Ein "echter" Reizdarm ist es also nur, wenn der Arzt trotz einer gründlichen Diagnostik keine organischen oder Funktionsparameter findet, welche auf das Vorliegen einer solchen
alternativen Erklärung hinweisen!
Leiden Sie jedoch unter dem Schwerpunkt unseres Artikels, nämlich immer wiederkehrenden Bauchschmerzen nach dem Essen, dann lassen sich sehr häufig solche alternativen
Erklärungen finden. Ein Großteil von Betroffenen dieser Symptomatik leidet also nicht(!) unter einem Reizdarmsyndrom. Letzteres ist v.a. durch seine Nicht-Vorhersehbarkeit eine extreme
Belastung:
Die Patienten berichten mir bspw., dass sie an einigen Tagen "den größten Quatsch" (Pizza, Süßigkeiten, Chips und Alkohol auf Parties) verzehren könnten und dabei symptomfrei bleiben, während sie
die gleichen Dinge an einem anderen Tag komplett aus der Bahn werfen. Selbiges trifft auch auf als allgemeinhin als verträglich bekannte Lebensmittel (Reis mit Hähnchen und gekochtem Gemüse)
zu.
Auch der Zeitpunkt der auftretenden Schmerzen folgt keiner logischen Rationale, obwohl viele RDS-Patienten über verstärkte Probleme (v.a. aber Durchfall) am Morgen, klagen.
Halten wir also fest: Bauchschmerzen nach dem Essen stehen in einem bestimmten Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme. Sie lassen sich zeitlich und in ihrer Intensität oft vorhersagen, was manchmal
auch zu einem Vermeidungsverhalten der Betroffenen bspw. während der Arbeitszeit führt ("Mittagessen in der Kantine geht gar nicht. Meistens esse ich nur zwei kleine Snacks wie Banane und Joghurt
und koche dann abends etwas größeres, damit ich leistungsfähig bleibe").
Dies ist nicht klassisch für ein Reizdarmsyndrom. Es stecken sehr oft andere Dinge dahinter.
Die Klassiker: Kohlenhydratunverträglichkeiten
Von den so genannten Kohlenhydratunverträglichkeiten (auch Kohlenhydratmalabsorptionen) haben die meisten Menschen im deutschsprachigen Raum inzwischen gehört. Zu diesen gehören:
-
Milchzuckerunverträglichkeit (Laktosemalabsorption)
- Fruchtzuckerunverträglichkeit (Fruktosemalabsorption)
- Sorbitunverträglichkeit
- im weitesten Sinne auch die FODMAP-Überempfindlichkeit
Sollten Sie beobachten, dass Ihre Bauchschmerzen nach der Nahrungsaufnahme mit Milchprodukten, Obst und Gemüse, Honig oder bestimmten Süßigkeiten in Verbindung stehen, dann lohnt sich ein Test auf diese Verdauungsstörungen. Zugrunde liegt dann eine mangelhafte Resorption der entsprechenden Kohlenhydrate oder Zuckeralkohole im Dünndarm. Die Zuckermoleküle gelangen dadurch in den Dickdarm und werden von fermentationsfreudigen Bakterien als "Futter" genutzt. Dabei entstehen Endotoxine, sowie Gase (bspw. Wasserstoff und Methan). Durch letztere kommt es zu Auftreibungen und auch zu osmotischen Effekten. Viele der Malabsorptionen gehen deshalb auch mit Durchfällen einher. Dies ist aber kein notwendiges Kriterium! Auch isolierte Bauchschmerzen und/oder Verstopfung können die Folge sein.
Besonders die Milchzucker-, Fruchtzucker- und Sorbitunverträglichkeit äußern sich in einer recht schnellen Reaktion. Die Symptome treten also kurz nach einer Obst- oder Milchspeise auf. Die Reaktion auf so genannte FODMAPs, kurzkettige und schwer verdauliche Kohlenhydrate zu denen auch Laktose und Fruktose bzw. Sorbit gehören, fällt oft undeutlicher aus. Dies hängt damit zusammen, dass sich die einzelnen aufgenommenen Kohlenhydrate der unterschiedlichen Gruppen zu potenzieren scheinen. Wird eine bestimmte Schwelle überschritten, zeigt der Betroffene Symptome. Dies kann aber auch erst Stunden oder Tage später geschehen.
Was ist zu tun?
Weiter oben hatte ich bereits erwähnt, dass die Bakterien im Dickdarm bei der Fermentation Gase freisetzen. Dies macht man sich bei den so genannten Atemgastests zunutze. Nach dem Konsum einer Zuckerlösung (mit Milch- oder Fruchtzucker) pustet der Patient in regelmäßigen Abständen in ein Testgerät oder ein entsprechendes Sammelgefäß. Danach kann man den Gehalt von Wasserstoff bzw. Methan in der Ausatemluft bestimmen und darüber den Grad der Malabsorption abschätzen. Natürlich spielen auch die gezeigten Symptome während der Testphase eine bedeutende Rolle bei der Interpretation der Ergebnisse.
Diese Tests sind inzwischen kostengünstig und bequem von zuhause aus durchführbar. Ein Privatlabor übernimmt die Auswertung. Doch auch viele Ärzte stehen dem Thema inzwischen aufgeschlossen gegenüber.
Sollten Sie einen positiven Befund erhalten, dann können Sie sich mit Ihrem Arzt über das weitere Vorgehen absprechen, aus vielen guten Ratgebern auswählen etc. Dieser Artikel kann keine konkreten Handlungsanweisungen geben, deshalb nur in aller Kürze: An erster Stelle steht natürlich eine entsprechende Ernährungsumstellung unter Auslassung bzw. Reduzierung des entsprechenden Zuckers. Weitere absorptionsfördernde Maßnahmen (u.a. Traubenzucker mit Fruktose kombinieren, die Gabe milchzuckerabbauender Enzyme, Betonung fettreicherer Mahlzeiten) sollten ebenfalls erwogen werden.
Lebensmittellisten zum Fruktose- und Laktosegehalt finden Sie ausführlich im Internet oder in der entsprechenden Literatur!
Keine Klassiker, aber sehr weit verbreitet: Bauchspeicheldrüsenschwäche und Gallensäurenproblematik
Die Bauchspeicheldrüsenschwäche ist eine der von mir am häufigsten beobachteten Störungen, welche Bauchschmerzen nach dem Essen erklären kann. Vor allem Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter (ab 40 aufwärts) sind davon betroffen, da die Bauchspeicheldrüse oder Pankreas die Enzymproduktion mit der Zeit drosselt. Das Pankreassekret enthält die Vorstufen proteinspaltender, sowie Stärke und Fett zersetzende Enzyme. Ist deren Produktion herabgesetzt, kommt es zu Verdauungsschwierigkeiten.
Ein erster Hinweis ist der Nachweis von Verdauungsrückständen im Stuhl. Eine günstige und einfache diagnostische Möglichkeit. Im nächsten Schritt sollte die Bestimmung der Pankreas-Elastase erfolgen.
Landen bspw. vermehrt Stärke und Fettsäuren im Stuhl respektive Dickdarm, ist ein Ungleichgewicht des menschlichen Mikrobioms (der Darmflora) vorprogrammiert!
Ein weiterer Einflussfaktor auf unseren Verdauungsvorgang sind die Gallensäuren. Hierbei können zwei unterschiedliche Probleme bestehen:
-
Es wird zu wenig Gallensäure produziert.
- Es gelangt zu viel Gallensäure in den Dickdarm.
Im ersten Fall können die Gallensäuren nicht ihrer Pflicht nachkommen, mit der Nahrung aufgenommene Fett aufzuspalten. Es kommt dann sehr häufig zu dem Phänomen, dass die Betroffenen fettige Speisen meiden bzw. nach deren Verzehr über massive Bauchschmerzen und Unwohlsein klagen.
Nachdem die Gallensäuren ihre Aufgabe erfüllt haben, werden sie eigentlich im unteren Dünndarm resorbiert und in einem Kreislauf zurückgeführt. Ist dieser Prozess nicht mehr funktionstüchtig, gelangen sie in den Dickdarm. Die unschöne Folge sind dann ebenfalls Symptome vor allem nach Fettverzehr, aber sehr häufig gesellen sich noch wässrige, sog. "chologene Durchfälle" nach dem Essen hinzu.
Kennen Sie die beschriebenen Symptome, dann eignet sich eine gute Stuhlanalyse mit der Bestimmung von Verdauungsrückständen, Pankreas-Elastase und Gallensäuren (quantitativ).
Sollten Sie ein positves Analyseergebnis erhalten, dann sollten Sie Ihre Mahlzeiten allgemein fettärmer gestalten oder über den Einsatz sog. MCT-Fett nachdenken.
Bei einer Bauchspeicheldrüsenschwäche ist der Einsatz hoch-dosierter Enzympräparate zu empfehlen, während Sie einer Gallenblasenschwäche mit hoch-dosierten Artischockensupplementen auf die
Sprünge helfen können.
Das Gallensäureverlustsyndrom (also zu viel Gallensäure m Dickdarm) kann versuchsweise mit Flohsamenschalen behandelt werden. Diese haben die Eigenschaft, Gallensäuren zu binden und damit die
Symptome zu verhindern. Bleibt dieser Versuch mit natürlichen Mitteln erfolglos, sollte über den Einsatz von Colestyramin, einem medikamentösen Gallensäurebinder, nachgedacht
werden.
Alles in Ordnung und trotzdem Schmerzen. Was Dann?
Ihre Testwerte für Kohlenhydratunverträglichkeiten, Bauchspeicheldrüse und Gallensäuren waren in allerbester Ordnung und trotzdem treiben Sie diese Bauchschmerzen nach dem Essen manchmal in den Wahnsinn? Es gibt diese Betroffenen auch bei mir in der Praxis. Dann müssen wir leider einen unspezifischeren Weg einschlagen. Zuerst einmal wäre natürlich zu beachten, welche weiteren Symptome vorliegen, die vielleicht auf eine andere Störung hindeuten könnten. Glutenunverträglichkeit, Nahrungsmittelallergien oder auch Histaminintoleranz äußern sich meiner Erfahrung nach nicht so direkt und zügig, oder aber es treten weitere Symptome (Haut, Kopfschmerz usw.) hinzu.
Ein möglicher Kandidat ist aber noch ein Magensäuremangel, vor allem wenn Sie schon über längere Zeit Protonen-Pumpen-Hemmer einsetzen. Allein der (natürlich mit dem Arzt abzusprechende) Verzicht auf diese Medikamente lässt das Symptom manchmal verschwinden.
Auch ein Test auf "den Magenteufel" Helicobacter pylori kann sehr sinnvoll sein.
Sollten auch diese Investigationen zu keinem Ergebnis führen, empfehle ich sehr häufig die probeweise Einnahme von Betain-HCL und Verdauungsenzymen zur allgemeinen Verbesserung der Verdauungsleistung. Eine ordentliche Diagnostik ist diesem Schritt aber in jedem Fall vorzuziehen, um problem- und zielorientiert behandeln zu können!