Wir haben hier auf unserem Blog schon oft darüber berichtet, dass sich unter der Gruppe der von einem Reizdarmsyndrom betroffenen Menschen, ein erhöhter Anteil mit traumatischen externalen
Kindheitstraumata findet, darunter körperliche und seelische Misshandlungen, schwere Erkrankungen, Verlust von Bezugspersonen (Barreau et al., 2007).
Über einen langen Zeitraum wurden diese Erkenntnisse genutzt, um die Hypothese des Reizdarms als "psychische" Erkrankung zu untermauern. Die Patienten sollten sich der Aufarbeitung ihrer
traumatischen Erlebnisse stellen und die Beschwerden würden verschwinden.
Inzwischen kennen wir allerdings einen ganz anderen Erklärungsansatz, welcher den oben beschriebenen Befund und die quälenden Darmsymptome in Einklang bringt:
Kindheitstraumata sind in der Lage, die individuelle Zusammensetzung der Darmflora dauerhaft zu verändern. Gastrointestinale, immunologische und psychische Beschwerden sind die
problematischen Langzeitfolgen, welche oft nicht mehr mit einer gestörten Darmflora in Zusammenhang gebracht werden.
Das Phänomen, erklärt am Tiermodell
Eine Forschergruppe um Palma führte 2015 eine sehr interessante Studie an der McMaster University in Kanada durch:
Die Wissenschaftler setzten zwei Gruppen noch junger Mäuse extremem Stress aus, indem sie diese täglich für mehrere Stunden von ihren Müttern isolierten. Der Unterschied zwischen den beiden Versuchstiergruppen bestand lediglich darin, dass eine Gruppe über eine für Mäuse normale, gesunde Darmflora verfügte, während die andere Gruppe praktisch "steril" war.
Was glauben Sie, was mit den Mäusen später passierte?
Richtig, die Gruppe mit der gesunden Darmflora zeigte einen enormen Anstieg der körpereigenen Stresshormone und im Anschluss daran ängstliches und depressives Verhalten, sowie Störungen der Darm- und Verdauungsfunktionen. Die sterilen Mäuse blieben hingegen von diesem Übel verschont.
Um noch sicherer nachweisen zu können, dass die Verhaltensänderung per Darmfloraänderung induziert worden waren, entschlossen sich die Forscher zu einer Stuhltransplantation und verpassten den sterilen Mäusen kurzerhand die Darmflora der verängstigten Gefährten. Nun waren alle Mäuse von den depressiven Verhaltensweisen betroffen.
Die Forscher schlossen:
Bereits kleinste Änderungen der Darmflora in jungen Jahren können große Auswirkungen auf das Verhalten und Erleben im Erwachsenenalter haben.
Hierbei sollte man bedenken, dass nicht nur Stresserleben die Darmflora formt, sondern auch Antibiotika, Kaiserschnitt und Stillzeit eine bedeutende Rolle spielen.
Können wir den Schaden rückgängig machen?
Zuerst einmal müssen wir bedenken, dass es sich um eine Studie mit Versuchstieren handelt. Am Menschen wäre ein ähnlicher Versuch aus ethischen Gesichtspunkten nicht durchführbar. Aber dennoch
eröffnen uns diese Ergebnisse neue Möglichkeiten.
Ist die gestörte Darmflora nämlich der Grund für unsere Ängste, Depressionen und Darmprobleme, dann können wir die unangenehmen Symptome über deren Restauration beeinflussen. Dies hat einen entscheidenden Vorteil, denn gegenüber der Psychoanalyse bspw. sind unsere Bemühungen in dieser Hinsicht mess- und einschätzbar. Weitere Hinweise, dass diese Strategie vielversprechend ist, liefern Studien mit so genannten Psychobiotika, oder bifidogenen Präbiotika. Beide Wirkstoffgruppen nehmen erwiesenermaßen einen positiven Einfluss auf Ängste und Depressionen.
Über die Modulation der Darmflora erfahren Sie hier regelmäßig die neuesten Erkenntnisse.
Bis bald und alles Liebe
Thomas