Vielleicht haben Sie auch schon einmal irgendwo gelesen oder gehört, dass wir unsere Babys und Kleinkinder möglichst weit weg von behaarten Vierbeinern halten sollten? Fast jede Mutter oder Oma
der vergangenen Generation kennt noch diese "Weisheit".
Die Idee dahinter war, dass der frühzeitige Kontakt mit Katzen, Hunden und anderen Haustieren die Kinder einem erhöhten Allergierisiko im späteren Leben aussetzen könnte.
Allerdings zeigten große epidemiologische Studien nicht nur, dass diese Sorge unbegründet ist. Aufgrund der Daten wäre es nämlich sogar gerechtfertigt, den Schluss einfach umzudrehen: Der Kontakt
zu behaarten Haustieren in der Kindheit schien sogar vor Allergien zu schützen und war in den Datenanalysen ein bedeutender Prädiktor.
Eine neue Studie aus Finnland konnte nun einen möglichen Mechanismus aufzeigen, der dafür verantwortlich sein könnte.
Das Problem mit der Hygiene
In unserer modernen westlichen Welt versuchen wir meist generell unsere Umwelt und unseren eigenen Körper so hygienisch und fast steril wie möglich zu halten. Alles muss irgendwie schmutz- und
geruchsfrei sein. Wir waschen und schälen unser Obst und Gemüse, wir desinfizieren unsere Hände und vor allem auch unsere Kinder, wir halten uns von Tieren fern und ab und an greifen wir sogar
zur "chemischen Keule" und sorgen für einen sterilen Darmtrakt.
Jetzt sollten Sie mich keinesfalls falsch verstehen. Ich bin kein Gegner dieser Mittel und für einige sogar sehr dankbar. Antibiotika können schwere Infektionskrankheiten heilen, konventionell
produzierte organische Lebensmittel würde ich immer waschen und auch eine gewisse Küchenhygiene etc. schützt vor unschönen Überraschungen. Es geht aber, wie bei so vielen Dingen im Leben, um das
richtige Maß.
Natürlich haben unsere hygienischen Bedingungen und einige Medikamente dazu beigetragen, dass fürchterliche Erkrankungen und Epidemien der Vergangenheit angehören, aber wir schaffen uns dadurch
auch ganz eigene, neue Probleme, die so sicherlich niemand auf dem Schirm hatte.
So geht bspw. die sog. "Hygienehypothese" davon aus, dass wir im Laufe der letzten einhundert Jahre wichtige Modulatoren unseres Immunsystems verloren haben, mit welchem letzteres über Millionen
von Jahren eine Synthese eingegangen ist. Dazu gehören etwa Würmer, Parasiten und Pseudoparasiten. Das klingt vielleicht erst einmal ziemlich eklig, könnte aber bspw. erklären, warum
Autoimmunerkrankungen im Westen immer weiter auf dem Vormarsch sind, oder auch warum bspw. der Morbus Crohn sehr positiv auf die Gabe von Schweinepeitschenwurmeiern reagiert.
Sollten Sie die genauen Mechanismen hinter dieser Hypothese interessieren, so kann ich Sie auf diesen älteren Artikel von mir im Paracelsus-Magazin
verweisen.
Wir wissen aus klinischen Untersuchungen, dass RDS-Patienten nicht über die Biodiversität der Darmflora verfügen, wie gesunde Vergleichspersonen. Schaut man sich dann noch die Mikroflora von sehr
natürlich lebenden Populationen an, dann kann man erkennen, wie groß die Unterschiede tatsächlich sind. Wie oben bereits bemerkt, wöllte ich auf einige Errungenschaften der Hygiene keinesfalls
verzichten, aber es könnte durchaus sinnvoll sein, sich einige "Strategien" bei anderen Völkern abzuschauen. Warum sollte ich mein eigenes "BIO"-Gemüse aus dem Hausgarten übermäßig waschen?
Reicht es nicht, einfach die Erde etwas abzustreifen und dadurch eine Portion Bakterien mit aufzunehmen?
Oder aber sollte ich meine Kinder vielleicht gezielt mit Tieren in Kontakt bringen?
Bifidobakterien aus dem Hundedarm
Eine neue Studie aus Finnland unter der leitenden Feder von Dr. Merja Nermes zeigte nun, dass Kinder mit Haustierkontakt eine
höhere Anzahl an Bifidobakterien besaßen. Dabei waren interessanterweise oft Subspezies vorhanden, welche sonst vor allem in Hunden und Katzen isoliert werden können. Sie schienen durch
einen engen Körperkontakt zu dem jeweiligen Tier in den Darmtrakt der Kinder übertragen worden zu sein.
Wir wissen aus der Forschung, dass einige Bifidospezies als Schutzfaktoren vor Allergien fungieren. Ein solcher Mechanismus könnte demnach erklären, warum die Kinder mit Tierkontakten in den
epidemiologischen Studien seltener Allergien entwickelten.
Die finnischen Wissenschaftler zeigten übrigens außerdem, dass die Anwesenheit von Bifidobacterium thermophilus (einer Haustierspezies) im Kinderdarm das Risiko für Atopien (eine
krankhaft erhöhte Bereitschaft des Körpers zur Bildung von Immunoglobulin E - allergische Reaktionen vom Soforttyp) im Alter von sechs Monaten senkt!
Was bedeutet das?
Dafür lassen wir am besten Dr. Nermes, die leitende Wissenschaftlerin persönlich zu Wort kommen:
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Tierkontakte in der frühen Kindheit einen Einfluss auf die menschliche Darmflora haben. Dieser Mechanismus trägt scheinbar zu einem förderlichen und
tolerierenden (nicht-allergenen) Milieu bei.
Familien mit Kleinkindern oder schwangere Frauen sollten nicht beeinflusst werden Tierkontakte zu meiden.
Allerdings fehlen noch weiterführende Untersuchungen. Zum Beispiel steht die Frage im Raum, wie sich unterschiedliche Tierrassen auf die menschliche Darmflora
auswirken.
Bitte bedenken Sie, dass meine Ausführungen und auch die geschilderten Ergebnisse keine gesicherten Tatsachen sind. Es handelt sich um Hypothesen und wissenschaftliche (isolierte) Untersuchungsergebnisse. Sie müssen also nicht gleich ihr Abendessen draußen auf der Wiese zubereiten oder in einen Stall ziehen. Aber vielleicht regen diese Fakten auch den einen oder die andere zum Denken an, ob das immer höher, weiter, sauberer und effizienter unserer Tage immer der richtige Weg ist.
Mit Grüßen von meiner Tochter Lenja und ihrem Labrador Earl
Ihr Thomas Struppe