Reizdarm-Diäten: Zu einseitig, zu wenig Ballast- und Nährstoffe?

Alt und glücklich trotz oder gerade wegen der Reizdarm-Ernährung?
Bild: Jerzy@pixelio.de

Häufig fragen uns unsere Leser, aber besonders auch besorgte Kollegen (Ernährungsberater, Heilpraktiker etc.) nach den gesundheitlichen Auswirkungen der modernen Reizdarm-Diäten. Das low-FODMAP-Konzept, die Fast Tract Diet und auch unser Therapieleitfaden reduzieren fermentierbare Substrate wie eben FODMAPs, Ballaststoffe, resistente Stärke usw.; aber auch problematische Proteine und entzündungsfördernde Nahrungsmittel.

Übrig bleibt eine für viele Menschen der westlichen Welt "eintönige" Diät aus Fleisch, Fisch, Innereien, Knochenbrühen, Reis, Kartoffeln, FODMAP-armen Gemüse, gesunden Fetten, Kräutern und in geringerem Umfang Obst, Nüssen, glutenfreiem Pseudogetreide, laktosefreien Milchprodukten und Eiern. Die Attribute "eintönig" oder gar "geschmacksfrei" verlieren sich im Laufe der Zeit, denn hat man erst einmal Erfahrungen mit neuen Rezepten etc. gesammelt, sind die Kombinationen der angeführten Lebensmittel schier grenzenlos. Selbst Backwaren etc. sind dann kein Thema mehr. Hier lohnt es sich, etwas Geld in einige Kochbücher der Steinzeit- bzw. Paleoernährung, bzw. der asiatischen Küche zu investieren. Einige Vorschläge werden wir Ihnen am Ende dieses Artikels unterbreiten.

 

"Schön und gut, aber wie sieht es denn nun mit den gesundheitlichen Auswirkungen aus?", hören wir Sie schon fragen. Wir alle kennen schließlich die Empfehlungen u.a. der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) - mehr Vielfalt, mehr Ballaststoffe! Und auch die meisten alternativen Autoritäten in der großen Welt der Ernährung von Dr. M.O. Bruker bis hin zu den Rohköstlern empfehlen ein MEHR.

 

Um diese Frage zu beantworten reicht manchmal ein klarer Blick in unsere Welt ...

 


Wie definiert man Gesundheit?

Wenn wir uns nach etwas umschauen möchten, dann sollte uns erst einmal klar sein, was wir eigentlich suchen. Das klingt banal, wird aber leider sehr oft vergessen. "Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit", liest man oft. Ganz ehrlich, würde Ihnen das reichen? Uns nicht!

Könnten wir uns darauf einigen, dass robuste Gesundheit eine aktive körperliche und geistige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht bis ins sehr weit fortgeschrittene Alter und ohne dass der Mensch sich durch gesundheitliche Beschwerden beeinträchtigt fühlt?

 

Schauen wir also auf einen Platz unserer schönen Erde, wo dies signifikant häufiger der Fall zu sein scheint, als anderswo - nach Japan, genauer die Insel Okinawa. Die Lebenserwartung lag dort sogar lange Zeit vor dem japanweiten Durchschnitt, welcher im Nationenvergleich ohnehin der ersten Rang belegte. Krankheiten wie Kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs waren unterdurchschnittlich selten als Todesursache ausfindig zu machen. Auch typische Krankheiten des fortgeschrittenen Alters wie die Demenz wurden erheblich seltener diagnostiziert. Okinawa verfügt heute immer noch über den höchsten Anteil an über 100jährigen Bewohnern.

 

Macht uns die Reizdarm-Diät sogar gesünder und älter?

 

Interessanterweise ändert sich dieses Bild gerade. Okinawas Lebenserwartung hat sich Japans Gesamtdaten angepasst und auch die Krankheiten steigen auf das gleiche Level an bzw. übersteigen diese sogar teilweise.  Wie ist das möglich?

Einige Forscher machen dafür die Abkehr von der klassischen Ernährungsweise der Inselbewohner verantwortlich (u.a. Miyagi und Kollegen, 2003). Heute wissen wir, dass die Japaner aufgrund bestimmter genetischer Konstellationen, ihrer Ernährung und anderer Lifestylefaktoren über ein solches Ausmaß an Gesundheit verfügen. Doch seit der Stationierung von US-Truppen auf Okinawa hielten McDonalds und andere "Lebensmittel"anbieter Einzug und die außergewöhnliche Gesundheit der Bewohner musste stetige Schläge verkraften.

 

Schauen wir uns also jene Generationen an, welche für die beeindruckenden Zahlen sorgten. Nehmen wir uns etwa wissenschaftliche Daten aus dem Jahr 1949 vor (bspw. in Willcox und Kollegen, 2007). Was würden wir aufgrund unseres gelernten Wissens aus Medien, Schule und Studium erwarten? Was macht die Menschen gesund und langlebig? Etwas Kalorienüberschuss, keine Mangelernährung, Vollkornprodukte, Abwechslung, reichlich Ballaststoffe, viel Obst und Gemüse?

 

Weit gefehlt! Die tägliche Ernährung auf Okinawa bestand damals fast ausschließlich aus Süßkartoffeln, Reis, Hülsenfrüchten und etwas Fisch. Gemüse (außer Süßkartoffeln) machte lediglich 114g aus, so viel wie eine mittlere europäische Tomate! Obst lag sogar bei unter einem Gramm pro Tag und wurde damit wohl eher monatlich als täglich konsumiert! Der Ballaststoffgehalt lag bei knapp über 20g und so deutlich unter den Empfehlungen der DGE und meilenweit unter den Empfehlungen alternativer Schulen. Auch die Kalorienmenge und Proteinversorgung lag unter dem Erhaltungsbedarf und würde heute als Mangelernährung gelten.

 

Was hat das alles mit dem Reizdarm zu tun?

 

Dieser kleine Exkurs sollte Ihnen zeigen, dass wir die aktuellen Empfehlungen nicht unhinterfragt übernehmen sollten. Wie kann es sein, dass eine solch "eintönige" Ernährung, welche nahezu keine Abwechslung kennt (siehe den hohen Teil an Süßkartoffel täglich), nur wenige Ballaststoffe bietet und sogar beinahe gänzlich auf Obst verzichtet, solche gesundheitlichen Vorteile bieten kann?

 

Ist es auf der Grundlage dieser Faktoren überhaupt sinnvoll seine Reizdarm-Ernährung hinsichtlich Abwechslung, Vielseitigkeit etc. zu planen?

 

Vielleicht liefern wir unserem Verdauungssystem ja nicht zu wenig Nähr- und Ballaststoffe, sondern zu VIEL Information!

 

Wir möchten Ihnen an einem kurzen Beispiel zeigen, auf was wir hinaus möchten.

 

 

Ballaststoffe und andere fermentierbare Substrate

 

Nehmen wir uns die Ballaststoffe vor. Nach den neuen Erkenntnissen um das Mikrobiom, Probiotika und Darmgesundheit allgemein fordern Mediziner und Ernährungsexperten, wir müssten unsere Darmflora mit Präbiotika, Ballaststoffen etc. anfüttern. Schließlich verzehrten unsere Vorfahren noch mehr Ballaststoffe und hatten noch nicht mit dem Reizdarmsyndrom, den CEDs etc. zu kämpfen, richtig?

 

Dabei wird aber ein essenzieller Punkt der Debatte vernachlässigt:

 

Ballaststoffe sind nicht die alleinige Nahrung für unser Mikrobiom!

 

Denn dazu zählen u.a.:

 

  1. resistente Stärke
  2. Zuckeralkohole
  3. Ballaststoffe
  4. FODMAPs (also auch Laktose und Fruktose)
  5. Mucus der Darmschleimhaut
  6. nicht verdaute Nahrungsproteine

Die verzehrte Ballaststoffmenge hat sich zwar etwas gesenkt, im Gegenzug haben sich aber die anderen Ressourcen drastisch gesteigert. Schauen Sie sich die Fruktosemenge an. In Okinawa 1g Obst pro Tag. Im Jahr 2016 in Deutschland mehrere Portionen täglich, dazu Fruchtzucker in Marmeladen, Softdrinks, Säften usw. Zuckeralkohole wie Sorbitol werden inzwischen routinemäßig in unsere Lebensmittel gekippt, da sie ja keine Kalorien enthalten und die Zähne nicht angreifen.

 

 

Bird und Kollegen (2000) berichten darüber, dass wir mit der westlichen Diät bis zu 85g "Darmbakterienfutter" aufnehmen. Den größten Teil liefern dabei resistente Stärke und Einfachzucker (eben Fruktose). Diese Berechnungen sind recht konservativ. Unsere eigenen Berechnungen liegen weit über dieser Schwelle, vor allem wenn man betrachtet, wie gerade junge Erwachsene heute essen.

Die klassischen Empfehlungen für Ballaststoffkonsum im Westen liegen zwischen 25-35g. Wir liefern unseren Darmbakterien aber deutlich mehr, nämlich Substrate, welche in unserer Ernährung eigentlich nicht, oder nicht in großen Mengen vorgesehen waren.

 

Ist es ein Wunder, dass unsere Darmflora aus dem Ruder läuft? Wir überfüttern sie täglich.

Was würde denn passieren, wenn Sie Ihren Ballaststoffkonsum nun auch noch erhöhen würden?

 

 

Nehmen wir auch bspw. die probiotischen Stämme. Viele dieser sinnvollen Mitbewohner haben einen speziellen Mechanismus entwickelt, um sich gegen längere Fastenzeiten zu wehren: Sie können sich vom Mucus der Darmschleimhaut (Glukose) ernähren und somit überleben.

 

Wir glauben eher an die Strategie, die Darmflora kompetitiv zu machen. Es sollte ein Kampf um Ressourcen toben, wobei die probiotischen Bakterien aufgrund ihrer genetischen Ausstattung die Oberhand behalten werden. Später kann man natürlich entsprechend die Ballaststoffe wieder erhöhen, wie wir es in unserem Therapieleitfaden auch empfehlen.

 

Eine "eintönige" und "sparsame" Diät ist nicht ungesund, sondern sie ist artgerecht. Dabei ist es ganz egal, ob wir unter einem Reizdarm leiden, oder nicht. Lassen Sie sich also keine Angst machen, denn für diesen Zweck müssen Sie noch nicht einmal 1kg Süßkartoffeln essen ... FTD, low-FODMAP usw. bieten eben etwas Abwechslung und sind im modernen westlichen Leben umsetzbar, aber ohne unseren Darm zu überfordern.

 

Diese Diäten lindern also nicht nur Reizdarmsymptome, sondern sind auch gesund, so lange man etwas Mühe in die Planung investiert!

 

Thomas Struppe

Kochbücher gegen Eintönigkeit