Der IgG-Test beim Reizdarmsyndrom: Geldmacherei oder hilfreiches Werkzeug?

Zum so genannten "IgG-Test" auf Lebensmittelallergien beim Reizdarmsyndrom findet man praktisch nur zwei Meinungen:

 

  1. IgG-Tests sind beim Reizdarmsyndrom absolut überflüssig. Ihre Aussagekraft für das therapeutische Vorgehen liegt bei Null. Ihre einzige Existenzgrundlage ist das finanzielle Gewinnstreben von Heilpraktikern und Privatlaboren.
  2. IgG-Tests sind gerade beim Reizdarm unverzichtbar! Meidet man die Lebensmittel mit erhöhtem Potenzial nicht via einer Rotationsdiät, schädigt man den Körper sogar noch weiter und gerät in einen Teufelskreislauf.

So weit, so bekannt. Interessant wird es für uns aber eigentlich erst, wenn wir nachhaken, worauf sich diese beiden Extrempole berufen. Erstere Meinung ist zumeist das Ergebnis einer kurzen Google-Recherche. Tippt man nämlich "IgG-Test und RDS" oder ähnliche Termini ein, finden sich weit oben in den Suchergebnissen Stellungnahmen von Gastroenterologen und Allergologen, dass diese Tests blanker Unsinn seien. Diese Meinung bekommen interessierte Patienten auch oft von ihrem behandelnden Arzt zu hören.

Die zweite Aussage findet sich natürlich sehr häufig auf den Internetseiten und in den Infobroschüren der Anbieter. Das ist natürlich logisch, denn diese haben ein besonderes Interesse, diese Tests möglichst breit zu vermarkten. Schließlich schlägt ein solcher Test, je nach dem Umfang getesteter Lebensmittel, mit Summen von 100 bis 800€ zu buche.

 

Beide Seiten beziehen sich also oft nicht auf wissenschaftliche Untersuchungen. Dabei gibt es diese durchaus. Einige davon möchten wir Ihnen heute vorstellen, damit Sie eine differenzierte und auf Fakten basierende persönliche Entscheidung über Sinn und Unsinn dieser Methode fällen können.

 


Grundlegendes: IgE vs. IgG

Am Anfang möchten wir gern etwas grundsätzliches in diesem Zusammenhang erläutern, nämlich den Unterschied zwischen IgE und IgG. Zufälligerweise sprachen wir gestern mit einer Klientin und empfahlen ihr aufgrund ihrer Vorgeschichte (erhöhtes Alpha-1-Antitrypsin, DDFB und weitere Allergien) einen Test auf Gesamt-IgE und bei dessen Erhöhung einen Test auf IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien. Prompt kam die Gegenfrage:

 

"Echt jetzt? Aber die sind doch total umstritten, oder?"

 

An diesem Beispiel sieht man sehr schön, wie sich die beiden Konzepte durch die kontroverse Diskussion um die IgG-Tests vermischt haben.

 

 

In aller Kürze:

 

  • IgE (Immunglobulin E) ist ein Antikörper, der hauptsächlich zellgebunden vorkommt. Er hat die Fähigkeit, sich an Mastzellen zu heften. Bindet das Immunglobulin E dann ein Allergen, so veranlasst es die Mastzelle zur Ausschüttung derer Mediatoren (bspw. Histamin).

 

  • IgG (Immunglobulin G) ist ebenfalls ein Antikörper. Da Immunglobuline entsprechende Ziele nicht zerstören können, haben sie eher eine Markierfunktion. Immunglobuline vom Typ G sorgen vor allem für eine Langzeitresistenz.

 

Eine Nahrungsmittelallergie äußert sich nach dem Konsum eines Allergens durch Symptome wie Schwellungen im gesamten Mund-, Rachen-, Zungenraum; gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Krämpfe und Blähungen.

 

 

Die empfohlenen Diagnosekriterien zur Beurteilung einer solchen Nahrungsmittelallergie sind heute:

  1. Eliminationsdiät
  2. Gesamt-IgE
  3. Bestimmung allergenspezifischer IgE-Antikörper im Serum
  4. Hauttest
  5. manchmal noch 24h-Methylhistamin-Sammelurin

Ein bedeutender Unterschied in der Interpretation ist dabei eine Reaktion vom Soforttyp (allergische Reaktionen treten sofort nach Konsum des Allergens auf - IgE) versus eine Reaktion vom Langzeittyp (allergische Reaktion tritt Stunden bis teilweise Tage nach dem Konsum eines Allergens auf - IgG).

Wie wir anhand der geltenden Diagnosekriterien sehen können, ist die Testung auf IgE-assoziierte Nahrungsmittelallergien also durchaus anerkannt und wird von vielen Gastroenterologen auch so durchgeführt. Eine Studie von Mekkel und Kollegen (2005) zeigte letztlich auch, dass die Existenz dieser Allergien (IgE) mit ca. 35% der RDS-Stichprobe signifikant höher lag, als bei gesunden Vergleichspersonen. Die bedeutendsten Lebensmittelallergene in dieser Untersuchung waren:

  1. Milchprodukte
  2. Soja
  3. Tomaten
  4. Erdnüsse
  5. Eiklar

Die Akzeptanz der IgE-Tests auf Nahrungsmittelallergien auf Seiten der Ärzte und Wissenschaftler findet sich nicht annähernd auch für die IgG-Tests. Im Folgenden werden wir einige kritische Äußerungen betrachten.

 

 

Allergologen und Gastroenterologen lehnen den IgG-Test ab

Die allermeisten Allergologen stehen den IgG-Allergietests kritisch gegenüber. So betont der Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA), dass IgG-Tests keine allergischen Reaktionen nachweisen könnten und dass die Übertragung derer Ergebnisse in die diätetische Therapie zu ernsthaften Langzeitfolgen durch einseitige und Mangelernährung führen könne. Hierbei führt der Verband Beispiele ins Feld, bei denen Probanden laut IgG-Ergebnis auf sehr viele Lebensmittel verzichten sollten, sich eine entsprechende Allergie im Labor mittels spezifischerer Methoden nicht nachweisen ließ, oder aber der IgG-Test nicht auf vorherige bestätigte Allergien sensitiv reagierte.

 

Ein weiteres Argument ist die Verursachung hoher Kosten, denn ein Test auf eine IgG-vermittelte Nahrungsmittelallergie wird in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen und kann leicht mehrere hundert Euro kosten.

 

Dr. Hunter (2005) kritisiert, dass etwa ein Drittel der RDS-Betroffenen in klinischen Untersuchungen keine Allergien zeige, während der IgG-Test für nahezu jeden Studienteilnehmer positive Ergebnisse ermittle. Er konkretisiert dies u.a. am Beispiel Hefe: In IgG-Messungen zeigten mehr als vier von fünf Reizdarmpatienten positive Ergebnisse auf Hefe. In weiteren Untersuchungen reagierten aber gerade einmal 5% mit einer allergischen Reaktion auf eine Hefe-Provokation.

Mit anderen Worten: Das IgG-Ergebnis hatte eigentlich nichts mit den klinischen Symptomen gemeinsam.

Hunter verweist weiterhin auf die geringere Wirksamkeit gegenüber einer strengen Eliminationsdiät. Die "Number-Needed-to-Treat" (NNT) lag für letztere bei 1,5, für die IgG-Diät bei 9.

 

Hunter und andere Autoren geben außerdem zu bedenken, dass die positiven Studienergebnisse dadurch zustande gekommen sein könnten, dass IgG-Tests sehr häufig positive Ergebnisse für Milch und Weizen liefern. Beide sind aus verschiedenen Gründen beim RDS problematisch (u.a. Fruktane und Laktose - FODMAPs). Es könnte also eine vermittelnde Variable zu den Ergebnissen geführt haben.

 

 

IgG-Tests waren erfolgreich bei der Therapie

Man könnte glauben, mit dieser geballten Flut an Kritik hätte sich der Fall erledigt, wären da nicht die durchaus interessanten positiven Studien zum Thema.

 

Die klassische Untersuchung zu IgG beim RDS stammt von Atkinson und Kollegen (2004). Auf diese Studie bezog sich auch u.a. Hunters Kritik.

150 RDS-Betroffene wurden von den Wissenschaftlern zufällig zwei Gruppen zugeordnet. Beide Gruppen hielten drei Monate lang Diät, wobei eine Gruppe die positiven IgG-assoziierten Lebensmittel mied, während die andere Gruppe "blind" die selbe Anzahl allerdings nicht positiv getesteter Lebensmittel eliminierte. Nach drei Monaten hatte die IgG-Diät die Symptome um 25% mehr gesenkt als die "fake-diet". Übrigens lag die NNT für Patienten, welche sich genau an die Diät hielten bei 2,5 und nicht bei 9 wie Hunter beschrieb.

Die Autoren befanden, dass IgG-Tests durchaus Wert für die Therapie des RDS haben könnten und es weitere biomedizinische Untersuchungen geben sollte.

 

Eine Untersuchung mit noch viel beeindruckenderen Ergebnissen stammt von Yang & Li (2007). Zuerst einmal wurde gezeigt, dass Patienten mit RDS-D und RDS-C über signifikant höhere IgG-Level verfügten, als gesunde Vergleichspersonen. Nach acht Wochen Eliminationsdiät hatten sich die Symptome der Probanden drastisch gelindert: Ein Drittel berichtete vollständige Beschwerdefreiheit, während ein weiteres Drittel über eine starke Verbesserung berichtete!

 

Guo und Kollegen (2012) zeigten ebenfalls eine starke Reduktion der Beschwerden diesmal speziell für RDS-D. Es verbesserten sich sowohl Stuhlfrequenz und -konsistenz, Bauchschmerzen und psychische Belastung durch die Erkrankung.

 

 

Unsere Empfehlung

Aufgrund des aktuellen Standes der Forschung ist es noch schwierig genaueres über die Effektivität der IgG-Tests zu sagen. Natürlich sind einige der Untersuchungsergebnisse sehr vielversprechend, allerdings ist fraglich, ob sie nicht viel eher auf einer Vermeidung fermentierbarer Kohlenhydrate (Laktose, Fruktane) etc. beruhen.

 

Wir halten uns den IgG-Test deshalb als eine Art "letzten Strohhalm" vor. Bleiben spezifischere Tests (Dünndarmfehlbesiedlung, Gallensäuren usw.) negativ und schlagen andere Therapievorschläge (low-FODMAP, Supplemente, CBT) fehl, dann könnte über einen IgG-Test nachgedacht werden. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn Zeichen für einen Leaky Gut (durchlässige Darmschleimhaut) vorliegen oder aber der Klient noch weitere Allergien hat (dann sind Nahrungsmittelallergien eher zu erwarten).

 

Es lohnt sich dann erst einmal eine Bestimmung des Gesamt-IgE. Ist dieses erhöht, sollte nach IgE-spezifischen Antikörpern im Serum gescreent werden. Ist es negativ, wäre ein IgG-Test die mögliche Alternative. Dennoch versuchen wir hier unseren Klienten die letzte Entscheidung zu überlassen.

 

Ein weiterer Hinweis: Bitte mischen Sie den IgG-Ansatz nicht mit weiteren Reizdarm-Diäten wie low-FODMAP, glutenfreie Kost, SCD o.ä., da diese bereits für sich eine Einschränkung der Essgewohnheiten darstellen können. Bitte entscheiden Sie sich also für ein therapeutisches Vorgehen und sichern Sie eine adäquate Nährstoffversorgung. Ein erfahrener Therapeut oder Ernährungsberater kann Ihnen dabei helfen!