Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie selbst oder ein Verwandter/Bekannter unter dem Reizdarmsyndrom leiden. Um diese Diagnose zu erhalten, mussten Sie oder Ihre Angehörigen nicht nur den klassischen Symptomkomplex (ein Syndrom) zeigen, sondern durften auch keine Red Flags (Blut im Stuhl, nächtliche Durchfälle usw.) aufweisen und mussten zahlreiche unangenehme Untersuchungen (Magen- und Darmspiegelungen, Kapselendoskopie etc.) über sich ergehen lassen, um alternative bedrohlichere Krankheiten (Karzinoide, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, Zöliakie) als Ursache ihrer Beschwerden auszuschließen. Dieses Vorgehen wird auch als Ausschlussdiagnose bezeichnet - Krankheiten x,y,z sind nicht für die Symptome verantwortlich, aber die klinischen Anzeichen sind erfüllt.
Dies könnte sich in naher Zukunft drastisch ändern, denn obwohl die Wissenschaft schon lange nach Biomarkern (also etwa nachweisbaren biochemischen Veränderungen im Blut) von Reizdarmpatienten sucht, um die Diagnose zu erleichtern, scheint ihnen erst jetzt der Durchbruch gelungen zu sein.
RDS-D und Biomarker
Eine solche Diagnosestellung mittels einfacher Blutentnahme hätte natürlich zahlreiche Vorteile. So spart sich der Patient u.U. die lästigen diagnostischen Verfahren und etwa das belastende Abführen vor den Spiegelungen, andererseits würde dieses Vorgehen viele Millionen Euro sparen. Das Reizdarmsyndrom gehört zu einer Gruppe von Erkrankungen, welche durch wiederholte Tests und Arztbesuche ohne weiterführende Ergebnisse sehr hohe Kosten verursacht.
Eine Forschergruppe um Professor Dr. Mark Pimentel (2015), vielen Lesern sicherlich durch die Hypothese bakterieller Dünndarmfehlbesiedlung beim RDS bekannt, wies erhöhte Antikörper gegen CdtB (Cytolethal distending toxin B), ein Toxin, welches von gram-negativen Bakterien produziert wird, in Patienten mit RDS-D nach. Dafür wurden 2375 Betroffene mit RDS-D untersucht, die in der Vergangenheit via ROM-Kriterien und Ausschlussverfahren wie Spiegelungen etc. diagnostiziert wurden waren. CdtB ist übrigens ein Marker für eine akute Gastroenteritis und wir wissen heute, dass letztere drastisch zur erhöhten Wahrscheinlichkeit beiträgt, in der Zukunft ein Reizdarmsyndrom zu entwickeln.
Um zu bestimmen, ob die Antikörper gegen CdtB auch zur Abgrenzung gegenüber bspw. dem Morbus Crohn dienen, wurden weiterhin Patienten mit eben MC, Colitis ulcerosa, Zöliakie und gesunde Kontrollpersonen untersucht. Die Antikörper gegen CdtB waren jeweils signifikant höher beim Reizdarmsyndrom, wobei die Differenzierung von der Zöliakie nicht ganz so eindeutig ausfiel.
Weiterhin wurde gezeigt, dass bei RDS-D auch erhöhte Antikörper gegen Vinculin bestehen. Dabei handelt es sich um ein Protein, welches mit den Antikörpern gegen CdtB kreuzreagiert.
Die Forschergruppe schließt ihre Arbeit mit dem Fazit, dass beide Biomarker für die Diagnostik des RDS-D sehr bedeutsam sind, vor allem um die Krankheit von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu differenzieren.
Ein weiterer potenzieller Biomarker
Mit dem hochsensitiven C-reaktiven Protein (hs-CRP) steht schon seit längerem ein weiterer Biomarker zur Diskussion. Die letzte Untersuchung zu diesem Marker stammt bspw. von Hod und Kollegen (2016). Erhöhtes ss-CRP ist ein Zeichen für vorliegende Mikroentzündungen, welche wiederum für das Reizdarmsyndrom typisch sind. Die Forschergruppe um Hod zeigte nun erneut, dass signifikant erhöhte Werte den Reizdarm von gesunden Kontrollpersonen unterscheiden. Die Höhe des gemessenen Wertes korreliert dabei mit dem Schweregrad der Erkrankung und könnte somit diagnostisch weiterführend genutzt werden, um verschiedene Grade des Reizdarmsyndroms zu etablieren.
Im Übrigen stehen noch weitere Marker zur Erforschung bereit. So zeigten sich beim RDS bspw. auch regelmäßig Chromogranin A, IL6, IL8 und TNF-alpha erhöht.
Was wird sich ändern?
Meiner Einschätzung nach werden wir in der näheren Zukunft u.a. auf einen Großteil der Spiegelungen und einige andere diagnostische Verfahren zur Abgrenzung bzgl. der CEDs, Zöliakie und Karzinoide verzichten können. Sind die diagnostischen klinischen Kriterien erfüllt, liegen keine red-flags vor und wurden anhand der Marker erhöhte Antikörper gegen CdtB und Mikroentzündungen nachgewiesen, könnte dann sofort mit FODMAP-Diät etc. begonnen werden.
Die weiterführenden funktionellen Tests erübrigen sich meiner Meinung nach aber nicht, da diese eher eine "Nebenrolle" spielen, die Beschwerden aber natürlich erheblich beeinflussen können. Atemgastests, Stuhlproben usw. sollten also dennoch vollzogen werden. Aber eine klare und einfache Abgrenzung "ernsterer" Störungen mit potenziellen Langzeitrisiken ist natürlich begrüßenswert!