Eigentlich kennen wir diesen Befund schon sehr lange: Unter den Betroffenen des Reizdarmsyndroms befinden sich signifikant mehr Missbrauchsopfer als in Vergleichsgruppen. Leider reagieren viele Patienten immer noch sehr gereizt, wenn ihre Ärzte oder Psycholotherapeuten dieses Thema anschneiden. Natürlich muss man differenzieren: Nicht jede Betroffene bzw. jeder Betroffene hat als Kind ein psychisches Trauma erlitten. Es gibt auch ganz andere Gründe für ein RDS - bspw. infektiöser Natur. Weiterhin muss das Trauma nicht die tatsächliche Ursache der Erkrankung sein. Aus Studien wissen wir heute, dass ein solch dramatischer Lebenseinschnitt die Darmflora massiv und dauerhaft verändern kann.
Aus meiner eigenen freien Praxis für Psychotherapie kann ich dennoch nur empfehlen, das Thema zumindest anzuschneiden. Die Betroffenen wissen meist sehr genau, ob das Erlebte sie belastet und wie stark es zu ihrer aktuellen Problemstellung beiträgt.
Eine neue Studie aus den USA zeigt wieder einmal deutlich, wie groß die Zusammenhänge eigentlich sind.
Kanuri und Kollegen (2016) verglichen über 270 RDS-Betroffene (nach ROM-III-Kriterien) mit ihren statistisch-angepassten gesunden Vergleichspersonen. Dazu wurden u.a. Traumafragebogen, Angst- und Depressionsinventare und andere Diagnostik genutzt.
Nicht überraschend berichteten Reizdarmsyndrompatienten mehr emotionalen, körperlichen und sexuellen Missbrauch in der Vergangenheit (ein bereits häufig demonstierter Befund). Ebenso signifikant waren psychiatrische Symptome deutlich häufiger vertreten (Angst, Depression, Somatisierung).
Neu und besonders interessant ist allerdings, dass Missbrauchsopfer sogar einen deutlich höheren Schweregrad, mehr aktuelle Symptomtage, eine verminderte Lebensqualität und mehr psychiatrische Symptome beklagten, als ihre RDS-Leidensgenossen. Missbrauch jeglicher Art macht den Reizdarm also schlimmer. Diese Effekte sind dabei additiv: Mehr Missbrauch - größere RDS-Beschwerden.
Wie hilft mir das weiter?
Diese Frage werden sich jetzt vielleicht einige Leser stellen.
Auch darauf kann die Untersuchung zumindest eine partielle Antwort geben: Die verstärkenden Effekte durch die traumatischen Erlebnisse wurden nämlich durch die Stimmung (bspw. Depression) mediiert.
Stellt man sich also einer Traumatherapie, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die RDS-Beschwerden zumindest auf das Niveau anderer RDS-Betroffener absinken.
Zu guter Letzt: Haben Sie Verständnis für uns Therapeuten!
Sie haben also gesehen, dass Kindheitstraumata für viele RDS-Patienten tatsächlich eine Bedeutung haben (wissenschaftlich erwiesen). Vielleicht verstehen Sie jetzt besser, warum wir dieses Thema oft ansprechen? Es betrifft nicht jede(n), aber Delvaux und Kollegen (1997) berichten immerhin eine Statistik von 32% ´sexuellem Missbrauch beim Reizdarm, während CED-Patienten zu 14% betroffen waren und gesunde Vergleichspersonen zu immerhin 7%. Wir sprechen also nicht von Einzelfällen, sondern einem Drittel der Betroffenen.
Das Thema ist also wichtig und gehört auf die ärztliche bzw. psychotherapeutische Tagesordnung. Es ist nicht immer eine Ausrede, wenn man keinen organischen Befund findet, wie viele Patienten leider glauben.
Falls Sie betroffen sein sollten, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an einen Arzt oder Psychotraumatherapeuten.