Seit inzwischen über zwei Jahren berichte ich auf diesem Blog über die Pathomechanismen und Therapieansätze bei einem Reizdarmsyndrom. Seit der Jahrtausendwende hat sich wahnsinnig viel auf diesem Feld bewegt - so wissen wir etwa um die enorme Rolle der Mastzellen und ihrer Mediatoren wie Histamin oder Heparin bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Symptomen.
Galt der Reizdarm noch vor kurzem als psychosomatische oder somatoforme Störung, so beschreiben ihn Wissenschaftler dieser Tage als "entzündliche chronische Darmerkrankung mit der Beteiligung von Mastzellen" (Philpott & Kollegen, 2011). Eine besonders interessante Arbeit zeigte beispielsweise, dass Nerven- und Gewebezellen von Reizdarm-Betroffenen kaum noch auf die entzündlichen Mediatoren (etwa Histamin) reagieren (Ostertag & Kollegen, 2015), was nichts anderes bedeutet, als dass diese Zellen bereits in übermäßigem Kontakt zu Histamin und Co. stehen.
Letztendlich scheinen die verschiedenen Konzepte von Mastzellaktivitätssyndrom (MCAD), Histaminintoleranz (HIT) und Lebensmittelallergien beim Reizdarmsyndrom eine gemeinsame Basis zu haben - Mastzellen und ihre Mediatoren. Doch können wir uns dieses Wissen heute schon zunutze machen, oder bleibt dies eine rein theoretische Erkenntnis?
Mastzellen besänftigen - den Darm beruhigen?
Nehmen wir also die Beteiligung der Mastzellen beim RDS zur Kenntnis. Was passiert, wenn man diese Zellen bspw. durch Pharmaka stabilisiert? Dazu gibt es bereits einige sehr interessante Studien:
Klooker und Kollegen (2010) behandelten Reizdarm-Patienten mit dem Mastzellstabilisator Ketotifen. Im Gegensatz zur Placebogruppe erhöhte sich die Schwelle für Schmerzen im Gastrointestinaltrakt, RDS-Symptome flauten ab und die Lebensqualität verbesserte sich.
Jakate und Kollegen (2006) untersuchten Patienten mit chronischem Durchfall auf eine Überaktivität der Mastzellen. Diese wurde in 70% der Fälle gemessen und weitere 67% der Patienten bekamen ihre Durchfallbeschwerden durch die Verabreichung von H1- und H2- Antihistaminika (Cetirizin und Ranitidin) vollständig in den Griff. Ein nettes Nebenergebnis: Niemand der Betroffenen litt, trotz erhöhter Mastzellzahlen und -aktivität an einer Systemischen Mastozytose.
Wooters und Kollegen (2016) behandelten Reizdarm-Betroffene mit Ebastin und reduzierten deutlich die Hypersensitivität, während sie die berichteten globalen Symptomscores verbesserten. Eine größere Follow-Up-Studie ist bereits geplant.
Im Übrigen könnte zumindest auch ein Teil des Erfolgs der low-FODMAP-Diät der Histaminbeteiligung geschuldet sein: McIntosh und Kollegen (2016) zeigten eine Reduzierung des Histamins im Darm von low-FODMAP-Praktizierenden um 800% gegenüber anderen Reizdarm-Betroffenen.
Wir sehen also: Egal ob MCAD, HIT oder IgE-Allergie - die Stabilisation der Mastzellen, bzw. das Besetzen oder Blocken der jeweiligen Rezeptoren führt in plazebo-kontrollierten Studien zu klinischen Erfolgen.
Für wen könnte sich ein Versuch lohnen?
Vorab: Es handelt sich bei diesen Produkten um Medikamente mit Nebenwirkungen und möglichen Interaktionen. Klären Sie deren Einnahme also unbedingt mit Ihrem Arzt ab, auch wenn bspw. Cetirizin und Co. frei verkäuflich sind!
Besonders zielführend könnte ein Versuch mit Antihistaminika natürlich für jene sein, die bereits wissen, dass sie ein Zuviel an Mastzellmediatoren (Histamin, Tryptase usw.) produzieren. Dabei könnte u.a. folgender Stuhltest helfen:
Ein weiterer Indikator könnte das Vorhandensein von spezifischen IgE-vermittelten allergischen Reaktionen sein. Diese erhebt man aus dem Serum:
Weitere sinnvolle Tests könnten u.a. EDN und Tryptasewert sein. Wie immer sind die aufgeführten Tests nur Beispiele und können auch bei jedem anderen Labor durchgeführt werden!
Generell können eher allergietypische Symptome einen weiteren Punkt in der Erwägung darstellen. Leiden Sie neben den typischen Reizdarmbeschwerden auch an Hautsymptomen, Kopfschmerzen, Schweißausbrüchen, oder reagieren auf histaminhaltige Lebensmittel (Sauerkraut, Rotwein, gelagerter Käse, Schokolade) könnte dies eine Histaminbeteiligung wahrscheinlicher machen.