Elaine Gottschall, die Biochemikerin, Autorin von Breaking the Vicious Cycle und jene Forscherin, welche als erste die bedeutende Rolle von Kohlenhydraten bei der Symptomgenese chronischer Darmerkrankungen populär machte und somit den Grundstein für die low-FODMAP-Diät legte, führt in ihrem Grundlagenwerk aus, dass Darmpatienten Schwierigkeiten haben die Makronährstoffe aufzuspalten und regelgerecht zu verdauen. Dabei würden Proteine am besten, Fette eher mäßig und Kohlenhydrate am schwierigsten resorbiert.
Durch den Erfolg der Paleo-Diät und den Populismus (ja, das meine ich im tatsächlichen Sinn) einiger ihrer Vertreter wurde das Fett in den letzten Jahren nicht nur rehabilitiert (Siehe an: Fett macht gar nicht fett und Nahrungsfette haben keine direkten Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Krankheiten etc.), sondern regelrecht geadelt (Mehr Fett in der Nahrung ist gleich mehr Gesundheit). Im Zuge dieser Entwicklung wurden aus SCD und GAPS häufig high-fat- und low-carb-Diäten, eine Struktur, welche so von den Begründern niemals vorgesehen war. Viele Leser und Zuschauer berichten mir immer wieder, dass sich ihr Durchfall mit der SCD oder Paleo verschlimmert. Frage ich dann gezielt nach der Nahrungszusammenstellung finden sich Fettmengen zwischen 150-250g! Diese Masse an Nahrungsfetten würde schon sehr viele kerngesunde Menschen auf die Porzellanschüssel treiben.
Dabei wissen wir aus vielen Fragebogenstudien, dass Nahrungsfette bzw. fette Speisen von den Reizdarmbetroffenen neben Weizen, Milchprodukten und Früchten als einer der diätetischen Triggerfaktoren wahrgenommen werden (u.a. Simren und Kollegen, 2001; Williams und Kollegen, 2011; Hayes und Kollegen, 2013 usw.)
Trotz dieser prominenten Bewertung der Fette seitens der Patienten fehlen bis heute klinische Studien zur Nahrungszusammensetzung beim Reizdarmsyndrom, anhand deren Daten entsprechende Mengenempfehlungen abgegeben werden könnten. Dies ist ein entscheidender Nachteil, denn erwiesenermaßen für den Reizdarm effektive Ernährungsumstellungen wie die low-FODMAP-Diät können sowohl fettarm als auch fettreich gestaltet werden, was die Symptomverbesserungen letztlich sabotieren könnte.
Schaut man sich die Empfehlungen von Elaine zur SCD etwas genauer an, dann bekommen wir eine Vorstellung davon, dass ihre Version der Diät keinesfalls low-carb oder gar high-fat war. Sie empfahl damals den liberalen Gebrauch von Honig und Früchten/Trockenfrüchten, sowie Hülsenfrüchten in späteren Stadien. Ihre Fleischauswahl war häufig von Geflügel dominiert. Heute haben wir durch neue Forschungsergebnisse einen etwas tieferen Einblick und könnten die Empfehlungen entsprechend abändern (FODMAP-reiche Früchte, Hülsenfrüchte und Honig raus; schnell-resorbierbare Stärke und glukosedominante Früchte etc. rein).
In diesem Artikel möchten wir uns also damit beschäftigen, WARUM Nahrungsfett für uns Darmpatienten (Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn, Kolitis ulcerosa, Zöliakie etc.) problematisch ist und dem fettigen Hype etwas entgegensetzen.
Wirkungen von Fett auf das Reizdarmsyndrom
Wir wissen heute, dass Patienten mit dem Reizdarmsyndrom anders auf Nahrungsfette reagieren als gesunde Vergleichspersonen. Folgend finden Sie eine Übersicht, angelehnt an Feinle-Bisset und Azpiroz (2013), in welcher die zentralen Unterschiede aufgeführt sind.
Mechanismen |
gesunde Vergleichsperson Wirkungen von Fett |
Person mit RDS Wirkung von Fett |
Gastransport im Dünndarm |
verzögert |
stark verzögert |
Motilität Gastrokolischer Reflex |
beschleunigt |
stark beschleunigt |
Unwohlsein Sensitivität |
erhöht |
stark erhöht |
Luminale Fette bzw. Fettsäuren | ||
Magenentleerung | verzögert | stark verzögert |
Wir sehen also, dass Nahrungsfett eigentlich alle Dinge verschlimmert, welche für einen Reizdarmpatienten (vor allem jene mit Durchfall) ohnehin problematisch sind: Verschiedene Aspekte der Motilität und der Hypersensitivität (niedrigere Schmerzschwelle für gleiche Reize). Dies ist umso beachtlicher, da dies für die anderen Makronährstoffe nicht direkt nachgewiesen werden konnte und unterstreicht, warum viele Patienten mit Verstopfung sehr positiv auf Low-Carb reagieren, obwohl es erst einmal kontraproduktiv klingt, da augenscheinlich im Durchschnitt weniger Ballaststoffe zugeführt werden. Schließlich wird dies durch eine gesteigerte Motilität durch vermehrtes Nahrungsfett mehr als wettgemacht.
Wir wissen zum einen, dass Fette im Darmlumen die Empfindsamkeit für weitere Stimuli erhöhen und weiterhin verschiedene motorische Vorgänge modulieren. Beide Faktoren sind beim Reizdarmsyndrom jedoch noch weiter gesteigert: Untersuchungen zeigten bspw., dass es bei Betroffenen mit Blähungen durch Fette zu einer Verringerung des Transportes von Gasen im Dünndarm bei gesteigertem Unwohlsein kommt (Salvioli und Kollegen, 2006).
Der mächtige gastrokolische Reflex
Der gastrokolische Reflex regt die Tätigkeit des Darmes an und hat die Aufgabe Stuhlgänge zu induzieren. Er besteht aus zwei Teilen, einmal wenn die Nahrung den Magen füllt und ein weiteres Mal, wenn die Nährstoffe den Dünndarm erreichen. Der gastrokolische Reflex ist beim Reizdarmsyndrom ohnehin gesteigert (Deiteren und Kollegen, 2010), doch die stärkste Stimulation erhält er allerdings durch Fette (Simren und Kollegen, 2001). Durch diesen gesteigerten gastrokolischen Reflex wird die Darmmotorik innerviert und die Passagezeit des Stuhls massiv verkürzt. Es kommt zu einer geringeren Kontaktzeit mit der Darmschleimhaut, weshalb nicht mehr genügend Flüssigkeit entzogen werden kann. Durchfälle und breiiger Stuhlgang nach dem Essen sind die Folge. Am stärksten anregbar ist der gastrokolische Reflex übrigens am Morgen, weshalb sehr viele Betroffene von morgendlichen Beschwerden direkt nach dem Frühstück berichten.
Ein weiterer Wirkmechanismus von Fetten auf das Reizdarmsyndrom ist die Erhöhung der rektalen Sensitivität. So zeigen RDS-Patienten nach Fettinfusionen je nach Hauptsymptom bestimmte Muster: Betroffene mit Verstopfung berichten eher von rektalem Unwohlsein bzw. Schmerz, während Durchfall-geplagte Betroffene über imperativen Stuhlgang klagen (Caldarella und Kollegen, 2005).
Gallensäurenverlustsyndrom light
Wir haben uns hier auf dem Blog bzw. auf der Seite schon oft über das Gallensäurenverlustsyndrom ausgetauscht. Dieses Syndrom steht für eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen entweder zu viel Gallensäure produziert, bzw. diese mangelhaft resorbiert und rückgeführt wird. Ein häufiger Grund ist die operative Entfernung der Gallenblase.
Reizdarmpatienten mit Durchfall scheinen allerdings nicht auf die Entfernung der Gallenblase angewiesen zu sein, um eine mildere Form des Gallensäureverlustsyndroms zu induzieren: In einer Studie zeigten die Wissenschaftler, dass Patienten mit RDS-D signifikant mehr Gallensäuren während einer fettreichen Diät produzieren, als gesunde Kontrollpersonen und auch Betroffene mit RDS-Verstopfung (Wong und Kollegen, 2012)! Mehr und wässriger Durchfall wäre die logische Folge. Dies scheint ein plausibler Grund zu sein, warum Patienten mit RDS-D sowohl von Verdauungsenzymen als auch von Gallensäurebindern wie Colestyramin profitieren.
Fazit und Empfehlungen
Fassen wir noch einmal kurz zusammen: Nahrungsfette beeinflussen mehrere Mechanismen negativ, welche bei einem Reizdarmsyndrom ohnehin ungünstig verändert sind. Dazu gehören ein verlangsamter Gastransport (Blähungen, Völlegefühl), eine deutliche erhöhte Motilität durch Innervierung des gastrokolischen Reflexes (Krämpfe, Durchfall), eine gesteigerte rektale Sensitivität (Schmerz, Dringlichkeit) und eine vermehrte Gallensäurenproduktion beim RDS-D (Durchfall).
Ist es also noch verwunderlich, warum viele Betroffene über vermehrte Beschwerden nach der Umstellung auf high-fat-Paleo klagen?
Wie könnte hingegen eine ausgewogene Ernährung unter Rücksicht auf die beschriebenen Argumente aussehen:
-
Protein: 2g pro fettfreiem Kilogramm Körpergewicht (Fisch, Meeresfrüchte, Eier, laktosefreie Milchprodukte)
- Fett: 15-20% vom Gesamtumsatz (Olivenöl, Leinöl, Kokosöl, bzw. aus obigen tierischen Lebensmitteln)
- Kohlenhydrate: restlicher Kalorienbedarf mit vor allem schnell verwertbaren, nicht fermentierbaren Kohlenhydraten (Jasminreis, Kartoffeln, Süßkartoffeln, wenigen Portionen Obst, Reiswaffeln)
- Ballaststoffe aus Gemüse, nicht aus Getreide oder Supplementen; moderate Menge 15-25g; lösliche Ballaststoffe bevorzugen
- ausreichend FODMAP-arme Gemüsesorten; auf Abwechslung achten!
- vitamin- und nährstoffreiche Fleischsorten (Leber, Niere usw.)
- regelmäßig essen, um den gastrokolischen Reflex nicht zu provozieren (4-5 Mahlzeiten)
- ordentlich kauen und sich für das Essen Zeit nehmen
- evtl. Verdauungsenzyme supplementieren oder gar Colestyramin erwägen
- möglichst wenig Koffein und Zucker
- 3-4 Liter Wasser oder Tee pro Tag
Eine Evolution?
Ich muss zugeben, dass auch ich auf die Fettpropaganda hereingefallen bin, denn viele meiner ersten Quellen zur Behandlung meiner Darmerkrankung stammten aus der Paleo-Gemeinde (Chris Kresser, Paul Jaminet, Norm Robillard), über welche ich dann zur SCD stieß und schließlich selbst begann, mich mit vielfältiger wissenschaftlicher Fachliteratur auseinander zu setzen.
Sehr spannend finde ich nun allerdings, dass meine eigenen, sich über die Zeit verändernden Einschätzungen einer "perfekten" Ernährung für Darmkrankheiten (welche ohnehin immer individualisiert werden muss!) sich an die ursprünglichen Empfehlungen von S. Boyd Eaton, dem Paleo-Begründer, annähern. Dieser empfahl bereits 1985 anhand epidemiologischer evolutions-bezogener Daten eine Kostzusammenstellung von
-
34% Protein
- 45% Kohlenhydraten
- 21% Fett
Aus naturbelassenen Quellen und mit Vielfalt wohlgemerkt (236 Pflanzen- und Kräuterspezies!). Ich finde dies ähnelt ziemlich genau meinem Ansatz, nur dass hier FODMAPs, resistente Stärke und Ballaststoffe reduziert werden, bis eine neue bessere Darmgesundheit vorherrscht.
Hier für englischkundige Leser eine Zusammenfassung von Eatons Paleoversion vor der Fettwelle und Kohlenhydratphobie. Manchmal ist der Anfang eben schon das Beste vom Stück ...