Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich beinahe täglich im Internet unterwegs war, um eine Lösung für meine Darmprobleme zu suchen. Es musste doch einfach irgendeine Pille geben, welche die beschämenden und schwächenden Durchfälle und die quälenden Schmerzen ein für alle mal befrieden könnte! Doch damals machte ich einen großen Fehler, welcher vielleicht auch Ihnen heute unterläuft, denn anstatt mich auf Dinge zu konzentrieren, welche sich bereits bewährt hatten, schloss ich einige von diesen kategorisch aus, weil sie nicht in mein kognitives Schema eines "wirkungsvollen Medikamentes" passten. So experimentierte ich lieber lange Zeit mit Loperamid, Amitryptilin, Mebeverin usw., denn ein potenter Wirkstoff muss schließlich auch über eine gehörige Portion Nebenwirkungen und einen pharmazeutisch-anmutenden Namen verfügen, richtig?
So blieben jedenfalls auch die Pfefferminzölkapseln lange Zeit in meinem Schrank liegen, welche mir meine Mutter aus der Apotheke mitgebracht hatte, um ihrem verzweifelten Sohn wenigstens etwas helfen zu können. Das ist inzwischen über 15 Jahre her. L-Menthol, der Wirkstoff in eben jenen Pfefferminzölkapseln, gilt heute als eines der wirkungsvollsten natürlichen Mittel beim Reizdarmsyndrom. Seine Number-Needed-to-Treat (wie viele Patienten müssen pro Zeiteinheit behandelt werden, damit das Therapieziel bei einem davon erreicht wird) ist mit 2 deutlich vorteilhafter als für bspw. Mebeverin, Probiotika, Rifaximin, aber auch die Kognitive Verhaltenstherapie.
Dennoch scheint das Interesse an der Wirkungsweise des L-Menthols eher gering zu sein. Dies könnte sich aber schlagartig ändern, denn neue Studien beleuchten, dass es sich beim Pfefferminzöl keineswegs nur um ein entkrampfendes Mittel handelt, sondern es direkt auf einige der zentralen Krankheitsmechanismen des Reizdarmsyndroms wirkt!
Pfefferminzöl bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms
Die Pfefferminze wird bereits seit hunderten von Jahren als Heilpflanze geschätzt und eingesetzt. 1696 wurde sie dabei erstmals in einem englischen Kloster beschrieben. Sie entstand wahrscheinlich durch eine spontane Kreuzung. Der Einsatz anderer Minzen als Heilpflanzen lässt sich aber sogar bis in die Antike zurückverfolgen. Aus diesem Grund kennt heute wohl jeder den angenehm-frischen Duft eines starken Pfefferminztees, wenn er oder sie als Kind über Bauchschmerzen klagte. Aufgrund der beobachteten krampflösenden, den Gallenfluss fördernden sowie antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften wurde die Pfefferminze vor allem bei verschiedensten Verdauungsbeschwerden und chronischen Magen- oder Darmleiden eingesetzt.
Der Einsatz von Pfefferminzöl spezifisch für das Reizdarmsyndrom geht ebenfalls bereits mehrere Jahrzehnte zurück und so begannen die Ärzte frühzeitig randomisierte und plazebo-kontrollierte Studien durchzuführen. Viele dieser ersten Studien an RDS-Patienten stammen dabei aus Deutschland. Auf diesen Daten basiert wiederum die erste Metaanalyse zum Thema. Sie kommt zu dem Schluss, dass alle ausgewählten Studien eine signifikant-positive Wirkung für den Wirkstoff nahelegen, es aber weiterer hoch-qualitativer Untersuchungen bedarf (Pittler & Ernst, 1998).
Die geforderten hochwertigeren Studien gab es dann auch. Shannah und Kollegen (2014) berichten in ihrer neueren Metaanalyse von einem geringen Risiko. Pfefferminzöl war dabei dem Plazebo deutlich überlegen und verbesserte sowohl den allgemeinen Symptomscore des Reizdarmsyndroms als auch die Unterkategorie Bauchschmerzen. Obwohl bei den Pfefferminzölanwendern eher Nebenwirkungen gemessen wurden, waren diese mild und gingen rasch vorüber. Die häufigste berichtete Nebenwirkung war dabei Sodbrennen.
L-Menthol teilt zentrale Eigenschaften mit der neuesten Generation Reizdarmmedikamente
Zu den bisher bekannten medizinischen Eigenschaften des L-Menthols gehören (Cash, 2015):
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Kalzium-Kanal-Antagonismus der glatten Muskulatur (Es kommt zu einem verminderten Einstrom von Kalziumionen und dadurch seltener zu Kontraktionen.)
- Normalisierung der orozökalen Transitzeit (Letztere beschreibt jene Zeit, welche der Nahrungsbrei vom Mund bis zum Passieren der Klappe zwischen Dünn- und Dickdarm benötigt. Sie kann beim Reizdarmsyndrom in beide Richtungen verändert sein. Eine verlängerte orozökale Transitzeit ist ein Risikofaktor für die Dünndarmfehlbesiedlung.)
- Karminative Wirkung (Ein Karminativum behindert die Bildung von Gasen im Darm und wirkt somit präventiv gegen Blähungen und Flatulenzen.)
- Kappa-Opioid-Agonismus (Über den Kappa-Opioid-Rezeptor entfaltet das L-Menthol seine leicht schmerzstillenden bzw. -blockenden Eigenschaften. Die Darmmuskulatur wird also nicht nur vor übermäßigen Konzentrationen geschützt, sondern es wird auch direkt Einfluss auf das Schmerzempfinden genommen.
- Serotonin-Antagonismus (Serotonin ist ein bedeutender Mediator beim Reizdarmsyndrom. Bei den meisten Patienten findet sich im Darm ein Zuviel des Botenstoffes. Die Wissenschaftler vermuten, dass zuerst bei einem gastrointestinalen Infekt die enterochromaffinen Zellen zerstört werden und später proliferieren. Einige Patienten weisen 10fach erhöhte Spiegel gegenüber gesunden Vergleichspersonen auf. Zahlreiche Medikamente der neuesten Generation haben diesen Mechanismus als lohnenswertes Ziel auserkoren, z.B. Ramosetron und Alosetron.)
- Antimikrobielle und antivirale Wirkung (Beim Reizdarmsyndrom spielen bakterielle und andere Infektionen eine bedeutende Rolle. Sei es eine ausgeuferte Dünndarmfehlbesiedlung oder eine chronisch-ablaufende Infektion. Auch die Darmflora bzw. das Mikrobiom nutzt die natürlichen antibiotischen Komponenten um ein bestimmtes Verhältnis der Arten zu gewährleisten.)
Neue Studie weist in die Zukunft
Cash und Kollegen (2015) verfolgten die Beschwerden von Reizdarmpatienten mit Durchfall oder wechselndem Stuhlverhalten für vier Wochen. Dabei erhielten die Teilnehmer per Zufallsauswahl entweder zweimal täglich eine Gabe Pfefferminzöl oder ein Plazebo. Bei dem Pfefferminzöl handelte es sich um eine neue Zubereitungsart mit zeitverzögerter Freigabe, damit die Wirkstoffe auch sicher in den Dünndarm gelangen.
Bereits nach 24 Stunden(!) berichtete der Pfefferminzölarm eine Reduktion des globalen Symptomscores um fast 19% und damit doppelt so hoch wie der Plazeboarm! Es gab einen Trend für eine Überlegenheit des Pfefferminzöls für alle acht zentralen Reizdarmkategorien, wobei eine Signifikanz für Bauchschmerzen bzw. Bauchkrämpfe und auch Imperativen Stuhldrang (25% Verbesserung vs. 8%) festgestellt wurde.
Nach vier Wochen hatte sich das Verhältnis weiter zugunsten des Pfefferminzöls verschoben.
Besonders interessant an dieser Untersuchung ist auch, dass die Wissenschaftler gezielt schwere Reizdarmfälle für ihre Studie rekrutierten. So durften nur Personen teilnehmen, welche bestimmte Schmerzscores aufwiesen. Diese Teilnehmer profitierten stark vom L-Menthol und die Frequenz der sehr starken oder als unaushaltbar beschriebenen Bauchschmerzen sank signifikant ab.
Das Produkt, welches die entsprechende Zubereitung des Wirkstoffes enthält finden wir in den USA inzwischen unter dem Namen IBgard (www.ibgard.com). Bis wir dieses Supplemente auch im deutschsprachigen Raum erwerben und testen können, sollten wir auf ein möglichst hochwertiges und vor allem hoch-dosiertes Pfefferminzöl zurückgreifen, welches möglichst zeitverzögert freigesetzt wird, um den Dünndarm auch zu erreichen.