Carnivore Diät beim Reizdarm: Eine gute Idee?

Seit über zehn Jahren schreibe ich Artikel rund um das Thema Darmerkrankungen und Darmgesundheit für meinen Blog und für verschiedene Fachzeitschriften. Und eigentlich von Beginn an erhielt ich viel Leserpost von euch da draußen vor den Bildschirmen. Neben viel Lob und natürlich auch etwas Kritik werden mir darin immer wieder Themen vorgeschlagen, welche ich doch bitte einmal ausführlicher unter die Lupe nehmen soll. 

 

Im vergangenen Jahr wurde kein Thema so häufig vorgeschlagen, wie die inzwischen überaus populäre Carnivore Diät. Obwohl es keine allgemeingültige Definition für diese Ernährungsstrategie gibt, können wir sie ganz grob als Ernährungsform charakterisieren, bei welcher ausschließlich tierische Lebensmittel verzehrt werden. In einigen Carnivore-Protokollen gehören Eier, Rohmilchprodukte und auch Honig in die tägliche Ernährung, während strengere Varianten sich auf Fleisch, Fisch und Innereien wie Leber und Niere beschränken.

Doch diese Spitzfindigkeiten sollen nicht Thema unserer heutigen Abhandlung sein. Wir werden uns stattdessen auf das Wesentliche konzentrieren. Ich werde versuchen, die Frage zu beantworten, ob sich der Einsatz einer solchen Carnivore Ernährung bei einem Reizdarm lohnt und ob es eventuell wichtige Argumente gegen die langfristige Umsetzung einer solchen Ernährungsform gibt. 

Wie immer werde ich mich bei dieser Diskussion auf Daten und wissenschaftliche Konzepte und nicht auf Spekulationen stützen. 

 

Schnapp dir also deinen Feuerstein-Speer und los geht´s auf die Jagd (nach Erkenntnis)! 

 


Inhalt: Was du in diesem Artikel lernen wirst ...

Unzählige Reizdarm-Betroffene berichten große Erfolge mit der Carnivore Diät

Bevor wir uns den Details zuwenden, sollten wir erst einmal die Frage beantworten, warum du dich als Reizdarmpatient überhaupt mit dieser "verrückten" Ernährungsstrategie beschäftigen solltest. Fleisch, Fisch, Schmalz und Eier - das klingt für dich vielleicht eher nach einer Essstörung, wenig Lebensfreude, ungesunder Ernährung und einer veritablen Möglichkeit, deine Darmflora für immer zu schädigen. Doch so einfach ist es natürlich nicht. 

 

Denn zum einen haben wir anekdotische Daten, welche belegen, dass die Carnivore Diät Darmprobleme nicht nur verbessern, sondern sogar vollständig verschwinden lassen kann. So gaben in einer Erhebung an 2029 Carnivore-Anwendern 531 an, vor der Diät an chronischen Darmbeschwerden gelitten zu haben. Diese verschwanden nach eigener Aussage bei fast 60% dieser Gruppe vollständig (Lennerz et al.,2021). Ein weiteres Drittel berichtete signifikante Verbesserungen der gastrointestinalen Symptome, während lediglich jeweils 1% keine Veränderungen oder eine Verschlechterung der Beschwerden angab. 

Natürlich hat diese Studie einige Schwachpunkte. Weder handelte es sich um eine kontrollierte Intervention, noch wurden die Beschwerden genauer klassifiziert oder durch validierte Instrumente erfasst. Es scheint aber durchaus der Fall zu sein, dass die Anwender der Carnivore Diät, welche die Ernährungsstrategie zu diesem Zeitpunkt bereits für durchschnittlich 14 Monate befolgt hatten, große Fortschritte bei der Behandlung ihrer Darmbeschwerden oder -erkrankungen wahrgenommen hatten. 

 

Diesen Punkt möchte ich auch noch etwas untermauern. Als jemand, der sich seit knapp zwanzig Jahren eigentlich täglich mit dem Thema Darmgesundheit beschäftigt, lese ich nicht nur viele Studien, sondern gehe auch mit offenen Augen durch die Welt. Und die Zahl der positiven Erfahrungsberichte mit der Carnivore Ernährung bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und dem Reizdarmsyndrom ist einfach überwältigend.

Natürlich könnte man diese Berichte von Betroffenen als bloße Anekdoten abwerten (was auch von vielen Ärzten und Ernährungsberatern genauso gehandhabt wird). Einen ähnlichen Fehler beging man vor einigen Jahrzehnten mit der Speziellen Kohlenhydrat Diät (SCD), welche dann viele Jahre später durch die Wissenschaft bestätigt wurde. Eine Anekdote ist eine Anekdote, aber hunderte oder gar tausende ähnliche Anekdoten müssen zu einer Hypothese werden.

 

Was könnten also die Gründe für die vielen Erfolgsgeschichten sein?

 

Die Carnivore Diät als strengste Eliminationsdiät

Die Symptome des Reizdarmsyndroms sind eng mit der Ernährung der Patienten verzahnt. Das belegen nicht nur Selbstberichte, sondern inzwischen auch unzählige klinische Studien. So verändern Ernährungsgewohnheiten nicht nur das gastrointestinale Mikrobiom, sondern auch die Zusammensetzung des Darminhaltes, was zu einer Beeinflussung der enteroendokrinen Zellen des Gastrointestinaltrakts und schließlich zu einer Modulation der Hirn-Darm-Achse führt (Weber,2022). 

 

Ein Problem bei der Ernährungstherapie des Reizdarmsyndroms ist nun aber, dass die Ursachen für die Beschwerden und pathophysiologischen Prozesse sehr individuell und heterogen sind. Inzwischen bestätigte Faktoren sind bspw.:

  1. Gluten, Amylase-Trypsin-Inhibitoren und Fruktan in Getreide
  2. FODMAPs, darunter prominent Laktose, Fruktose und Sorbit
  3. Stärke im Rahmen des Sucrase-Isomaltase-Mangels
  4. nickelreiche Lebensmittel im Rahmen einer Systemischen Nickelallergie
  5. Nahrungsmittelallergien (IgE, aber auch gerade beim Reizdarm viele untypische lokale oder Typ-IV-Allergien)

Keine Sorge, wir werden auf diese Störungsbilder noch jeweils etwas genauer eingehen! Wichtig für dich ist erst einmal, dass aufgrund dieser Heterogenität der diagnostische Prozess alles andere als unkompliziert ist und für einige der genannten Mechanismen auch keine wirklich verlässlichen Verfahren existieren. Aus diesen Gründen hat sich die sogenannte Eliminationsdiät bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms bewährt (z.B. Chey,2019; Moayeddi et al.,2015). 

 

Wie bereits der Name verrät, eliminiert diese Ernährungstherapie bestimmte Lebensmittelbestandteile oder gar ganze Lebensmittelkategorien aus der täglichen Ernährung, welche problematisch für das individuelle Reizdarmsyndrom sein könnten. Dabei kann mehr oder weniger systematisch vorgegangen werden. Es können also ein problematischer Bestandteil ausgeklammert werden (z.B. FODMAPs oder positiv getestete Nahrungsmittelallergene) oder aber mehrere potenzielle Trigger in einem Versuch (z.B. hypoallergene Diät, Autoimmun-Paleo, SCD etc.) 

Umso mehr mögliche Triggerfaktoren oder Ursachen ich ausschließen kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen durchschlagenden Therapieerfolg. So reagierten 87% der Teilnehmer einer Studie mit erheblichen symptomatischen Verbesserungen auf eine strenge Eliminationsdiät bestehend aus Reis, Lamm, Truthahn, Salat, Möhren, Süßkartoffeln, Birnen, Speiseöl, Salz, Zucker und Mineralwasser (Grazioli et al.,1993). In einer anderen Studie wurde die recht restriktive Spezielle Kohlenhydrat Diät (meine damalige Lebensretterin) mit einer modifizierten Version (mehr Lebensmittel erlaubt) und einer gesunden Vollwertkost verglichen. Obwohl alle Diäten positive Auswirkungen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zeigten, führte die strikte Variante zu stärkeren Verbesserungen der entzündlichen Prozesse (Suskind et al.,2020). 

 

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass diese Erfolgsquoten der restriktivsten Diäten mit einigen negativen Konsequenzen erkauft werden. Zum einen werden sie deutlich häufiger von den Anwendern frühzeitig abgebrochen, zum anderen sind viele Langzeitfolgen, z.B. für die Gesunderhaltung der Darmflora noch nicht wirklich abschätzbar (Lenhart et al.,2022).

 

Was die Carnivore Diät betrifft, glänzen beide Seiten der Medaille besonders stark. Da es sich um eine enorm restriktive Form der Eliminationsdiät handelt, die nahezu alle oben beschriebenen Triggerfaktoren und Krankheitsursachen des Reizdarmsyndroms kategorisch ausschließt, sind hohe Erfolgsquoten schon fast garantiert. Und genau das zeigen die ersten wissenschaftlichen Erhebungen und viele anekdotische Berichte. 

 

Doch die Striktheit dieser Ernährungsform ist möglicherweise auch ihr größter Nachteil. Nicht vielen Menschen gelingt es dauerhaft, eine solch eingeschränkte Lebensmittelauswahl beizubehalten. Außerdem kollidiert die Fleischkost mit zahlreichen etablierten ernährungsphysiologischen Hypothesen. Man kann dazu stehen, wie man will, aber aktuell wird zum Beispiel die Bedeutung von Ballaststoffen oder auch Polyphenolen für unsere Gesunderhaltung als sehr hoch eingeschätzt. So zeigte beispielsweise erst kürzlich eine Meta-Studie, dass ein höherer Ballaststoffverzehr die allgemeine Sterblichkeit um 23%, jene durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 26% und jene durch Krebserkrankungen um 22% reduziert (Ramezani et al.,2024). Natürlich kenne ich die Argumente des Carnivore-Camps (healthy user bias etc.), aber Fakt ist, dass in den neueren Studien systematisch für diese Confounder kontrolliert wird. Habe ich im Rahmen von klassischer Paleo Diät, SCD, GAPS usw. noch genügend Fußraum, um diese Forschungsergebnisse zu berücksichtigen, muss ich beim Befolgen einer Carnivore Diät darauf hoffen, dass einige Influencer (nicht despektierlich gemeint) richtig liegen und hunderte renommierte Wissenschaftler im praktischen Forschungsbetrieb vollständig falsch. 

 

Sind jedoch die Letztgenannten im Recht, ist die Carnivore Ernährung zumindest langfristig eine ganz schlechte Wette! 

 

Doch schauen wir uns mal ganz konkret an, welche breite Palette an bekannten Triggerfaktoren und Ursachen des Reizdarms die Carnivore Diät eliminiert. 

 

Carnivore Diät behebt zwei zentrale Ursachen des Reizdarmsyndroms

Abb1: Inzwischen bestätigte Triggerfaktoren, Ursachen und Alternativdiagnosen beim Reizdarmsyndrom: Systemische Nickelallergie, FODMAP-Dysbiose, Dünndarmfehlbesiedlung, Glutensensitivität etc. Quelle: Borghini et al.,2017.
Abb1: Inzwischen bestätigte Triggerfaktoren, Ursachen und Alternativdiagnosen beim Reizdarmsyndrom: Systemische Nickelallergie, FODMAP-Dysbiose, Dünndarmfehlbesiedlung, Glutensensitivität etc. Quelle: Borghini et al.,2017.
Wenn wir über die Ursachen des Reizdarms sprechen, solltest du wissen, dass wir aus praktischen Gründen zwei Krankheitspfade unterscheiden sollten.

 

Einerseits finden wir bei der Erkrankung pathologische Veränderungen des gastrointestinalen Mikrobioms (der Darmflora). Diese führen zu den typischen Darmbeschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfällen oder Verstopfung. Doch das Gute an diesen Dysbiosen (zu deutsch Fehlbesiedlungen) ist, dass sie durch verschiedene therapeutische Maßnahmen fast vollständig rückgängig gemacht werden können. Gelingt es dir, dann wirst du innerhalb kurzer Zeit mit erheblichen symptomatischen Verbesserungen und nicht selten sogar mit vollständiger Beschwerdefreiheit belohnt. 

Im Gegensatz zu den später behandelten immunologischen Störungen musst du die entsprechende Therapie nur für eine bestimmte Zeit einsetzen. Eine übermäßig strenge Ernährungsform ist dann überhaupt nicht mehr nötig. (Das bedeutet natürlich nicht, dass du deinen Körper nach erfolgreicher Behandlung wieder mit Unmengen an Zucker, künstlichen Zusatzstoffen etc. quälen solltest. Aber es braucht eben im Normalfall keine Carnivore Diät mehr.)

 

Die zentralsten Ursachen des Reizdarmsyndroms, die sich gut rückgängig machen lassen, sind die Dünndarmfehlbesiedlung (englisch: SIBO) und die FODMAP-Dysbiose. 

 

1. Die Dünndarmfehlbesiedlung

Beim gesunden Menschen ist der Dünndarm nur spärlich von Mikroorganismen wie Darmbakterien, Bakteriophagen, Hefepilzen usw. besiedelt. Und das ist auch von enormer Bedeutung, denn in deinem Dünndarm finden die wichtigsten Verdauungsprozesse statt. Die Makronährstoffe werden weiter in ihre Bausteine zerlegt, um dann als Aminosäuren, Fettsäuren und Zuckermoleküle absorbiert zu werden.

Die meisten Mikroorganismen deines Darmtraktes residieren hingegen in deinem Dickdarm. Dort führen sie ein hartes Leben, denn sie befinden sich in einem ständigen Wettbewerb um die Überreste deiner Verdauungsvorgänge wie Ballaststoffe oder nicht absorbierte Kohlenhydrate. Würden die Mikroben jedoch in deinen Dünndarm gelangen, stünde ihnen schlagartig ein "All-you-can-eat"-Buffet zur Verfügung. Letzteres begünstigt die explosive Ausbreitung bestimmter mikrobieller Spezies und führt zu Gasansammlungen, Veränderungen des Stuhltransports, Mikroentzündungen und einer Veränderung der Darmbarriere (Dukowicz et al.,2007). 

 

Im Normalfall verfügt dein Körper gleich über mehrere physische (z.B. Ileozäkalklappe) und immunologische Schutzfaktoren, um diese Besiedlung deines Dünndarms zu verhindern. Verschiedene Erkrankungen, Ernährungsgewohnheiten, Medikamente und Verhaltensweisen können aber dazu beitragen, dass typische Gattungen wie Klebsiella, Escherichia oder Pseudomonas deinen Dünndarm erobern. 

 

Beim Reizdarmsyndrom sind je nach Untersuchungsmethode zwischen 26% und 45% aller Patienten von einer Dünndarmfehlbesiedlung betroffen (z.B. Ghoshal et al.,2017). 

Abb2: Prävalenz der Dünndarmfehlbesiedlung bei Reizdarm-Patienten in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode (Aspirat, Atemgastest mit Glukose oder Laktulose). Quelle: Ghoshal et al.,2017.
Abb2: Prävalenz der Dünndarmfehlbesiedlung bei Reizdarm-Patienten in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode (Aspirat, Atemgastest mit Glukose oder Laktulose). Quelle: Ghoshal et al.,2017.

Diese gegenüber der Allgemeinbevölkerung stark erhöhten Prävalenzen lassen sich vor allem dadurch erklären, dass der stärkste Risikofaktor für die Entwicklung eines Reizdarmsyndroms, nämlich die akute gastrointestinale Infektion (Gastroenteritis oder zu deutsch: "Magen-Darm-Grippe") übermäßig häufig zu einer Dünndarmfehlbesiedlung beiträgt (Ghoshal & Gwee,2017). Ein Mechanismus ist die zeitweise Hemmung des Migrierenden Motorischen Komplexes, einer rhythmischen Kontraktion deiner Darmmuskulatur, die Stuhl aber eben auch Mikroben gen Darmausgang bewegen soll. 

 

Die erfolgreiche Therapie einer solchen Fehlbesiedlung des Dünndarms ist mit erheblichen und andauernden symptomatischen Verbesserungen assoziiert. In gleich mehreren Studien führte die Auslöschung der Fehlbesiedlung zu einer vollständigen Remission des Reizdarmsyndroms bei 30-50% der Reizdarm-Probanden (z.B. Pimentel et al.,2000; Ghoshal et al.,2016). 

 

Was genau hat das alles nun mit der Carnivore Diät zu tun? Neben der Standard-Therapie mittels lokal wirksamer Antibiotika (Rifaximin, in Deutschland Xifaxan) lässt sich eine Dünndarmfehlbesiedlung auch durch eine sogenannte Elementardiät behandeln. 14 Tage einer solchen Ernährungstherapie sind ausreichend, um den SIBO-Atemgastest bei 80% der Probanden zu reduzieren (Pimentel et al.,2004). Die Rationale hinter diesem Therapieverfahren ist die Elimination fermentierbaren Substrats für die Mikroorganismen des Dünndarms - Ballaststoffe, fermentierbare Kohlenhydrate wie Laktose und Fruktose, Zuckeralkohole (Souza et al.,2022). Du entziehst den Besatzern deines Dünndarms also praktisch das Futter und hungerst sie systematisch aus. 

Die Carnivore Diät eliminiert alle genannten Futterquellen und ist dadurch hocheffektiv bei der Behandlung und Auslöschung der Dünndarmfehlbesiedlung

 

Das Wunderbare an diesem Punkt ist, dass wir sogar über ein kleines bisschen Evidenz verfügen. Es handelt sich zwar nicht um eine hochwertige kontrollierte Studie, aber immerhin! 

In einer Fallsammlung zeigte eine vierwöchige Carnivore Diät eine hohe Effizienz bei der Elimination der Dünndarmfehlbesiedlung (Martin et al.,2021). Fünf von sechs Probanden mit SIBO gelang es, ihren zuvor positiven Atemgastest zu normalisieren. Der verbliebene Proband hielt die Diät nur zwei Wochen durch (siehe obige Diskussion), schaffte aber dennoch eine fast vollständige Normalisierung. 

 

Fazit: Die Carnivore Diät behebt innerhalb weniger Wochen eine zentrale mikrobielle Ursache des Reizdarmsyndroms - die Dünndarmfehlbesiedlung. 

 

2. Die FODMAP-Dysbiose

Als Reizdarm-Betroffener hast du ganz sicher schon einmal von der Low FODMAP Diät gehört. Diese inzwischen gut erforschte Ernährungstherapie zur Linderung der Beschwerden des Reizdarmsyndroms, aber auch der Symptome der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, bringt Metaanalysen zufolge zirka 50-80% der Betroffenen eine signifikante Linderung ihrer Darmprobleme (z.B. Black et al.,2022). In gleich mehreren Interventionsstudien war sie einer medikamentösen Standardtherapie beim Reizdarmsyndrom überlegen (bspw. Carbone et al.,2022). 

 

Die Hypothese hinter der FODMAP Diät ist, dass kurzkettige und nur schwer verdauliche Kohlenhydrate der Spaltung und Absorption in deinem Dünndarm entgehen und in deinen Dickdarm gelangen. Wie du bereits aus dem vorangegangenen Abschnitt weißt, lauert dort der größte Teil deines Mikrobioms auf Futter. Die FODMAPs bieten diesen Mikroorganismen ein leckeres Angebot und werden von vielen Gattungen gern angenommen. Problematisch wird das Ganze aber dadurch, dass eine weitere Eigenschaft die kurzkettigen Kohlenhydrate verbindet: sie werden durch Bakterien und Co. fermentiert (das F in FODMAP steht für fermentable). Bei dieser Fermentation kommt es zur Produktion von Gasen (v.a. Wasserstoff und Methan), welche wiederum via osmotischer Effekte die Zusammensetzung des Stuhls verändern und dadurch den Stuhltransport beeinflussen können (Staudacher et al.,2014Staudacher & Whelan,2017). 

In Kombination mit der beim Reizdarmsyndrom vorliegenden viszeralen Hypersensitivität, einer herabgesetzten Wahrnehmungsschwelle gegenüber gastrointestinalen Reizen, führen diese Gasansammlungen und Kontraktionen der glatten Darmmuskulatur zu schmerzhaften Blähungen, Bauchschmerzen, Völlegefühl und die osmotischen Reaktionen zu Stuhlunregelmäßigkeiten wie Durchfällen und Verstopfung. 

Abb3: Schematische Darstellung der Auswirkungen kurzkettiger fermentierbarer Kohlenhydrate (FODMAPs) im Rahmen des Reizdarmsyndroms unter besonderer Berücksichtigung der Enteroendokrinen Zellen. Quelle: El-Salhy et al.,2021.
Abb3: Schematische Darstellung der Auswirkungen kurzkettiger fermentierbarer Kohlenhydrate (FODMAPs) im Rahmen des Reizdarmsyndroms unter besonderer Berücksichtigung der Enteroendokrinen Zellen. Quelle: El-Salhy et al.,2021.

Durch diesen Mechanismus verwandeln sich zuvor extrem gesunde Lebensmittel (Brokkoli, Blumenkohl, Linsen und andere Hülsenfrüchte, Birnen, Äpfel, Zwiebeln, Vollkornprodukte usw.) in Symptom-Trigger. Meidest du als Reizdarm-Betroffener also FODMAP-reiche Lebensmittel, kommt es nicht zur Fermentation in deinem Darm und die Blähungen, Bauchschmerzen und Stuhlunregelmäßigkeiten sind Geschichte! (Du weißt natürlich genauso gut wie ich, dass es nicht wirklich ganz so einfach ist. Aber viele Blogs und Bücher wollen uns das gern glauben machen - und zumindest die Theorie klingt sehr stimmig.)

 

Wichtig für dich ist, dass die FODMAPs nicht wirkliche Bösewichte sind. Wie bereits gesagt, gehören die typischen FODMAP-Quellen zu den gesündesten Lebensmitteln überhaupt. Gesunde Menschen können sie meist ohne Beschwerden in größeren Mengen konsumieren. Und entgegen der verbreiteten Meinung führen Linsen, Vollkornprodukte etc. bei gesunden Personen zu vergleichbaren Gasmengen wie bei Reizdarm-Patienten (Wu et al.,2022). Den Unterschied machen erst die gestörte Hirn-Darm-Achse und die veränderte viszerale Hypersensitivität. 

 

Bis vor kurzem dachten wir noch, die Reduzierung der für Darmkranke problematischen Kohlenhydrate sei dauerhaft notwendig, um deren Beschwerden zu kontrollieren. Folgen wir dem oben beschriebenen mechanistischen Verständnis der Ernährungstherapie ist das nur konsequent. Doch es gibt gute Neuigkeiten für dich und Millionen andere Betroffene: Neue Studien brachten diese Ansicht gehörig ins Wanken! 

Dank dieser revolutionären Untersuchungen wissen wir nämlich, dass Patienten mit dem Reizdarmsyndrom anhand der Zusammensetzung ihrer Darmflora in zwei Kategorien eingeteilt werden können (siehe Vervier et al.,2022). Eine dieser beiden Kategorien, etwa die Hälfte aller Reizdarm-Patienten, zeigt eine spezifische Fehlbesiedlung des Dickdarms, welche die Unverträglichkeit von FODMAPs erzeugt. Während beide Gruppen von einer FODMAP-Intervention profitieren, sind die Erfolge jener Betroffenen mit der FODMAP-Dysbiose deutlich ausgeprägter (etwa doppelt so stark). 

Doch das ist noch nicht alles! Die Daten zeigen außerdem, dass eine mehrwöchige Low FODMAP Diät ausreichend ist, um diese Dysbiose rückgängig zu machen und das Mikrobiom jenem gesunder Kontrollpersonen anzupassen. Die Patienten können dann wieder genauso viele oder sogar mehr FODMAPs konsumieren wie vor der Diät und zwar ohne Symptome zu provozieren

Abb4: Säulendiagramm links zeigt die symptomatischen Verbesserungen des Reizdarms während und Monate nach einer Low FODMAP Diät. Säulendiagramm rechts zeigt den deutlich größeren Erfolg jener Patienten mit einer FODMAP-Dysbiose. Quelle:Vervier et al.,2022
Abb4: Säulendiagramm links zeigt die symptomatischen Verbesserungen des Reizdarms während und Monate nach einer Low FODMAP Diät. Säulendiagramm rechts zeigt den deutlich größeren Erfolg jener Patienten mit einer FODMAP-Dysbiose. Quelle:Vervier et al.,2022

Mehrere Probanden erreichten in dieser Studie übrigens die ersehnte Beschwerdefreiheit. Die Low FODMAP Diät ist also für etwas mehr als die Hälfte aller Reizdarm-Patienten eine ursächliche Therapie, welche den Grund für die Unverträglichkeit der kurzkettigen Kohlenhydrate (nämlich die spezifische Dysbiose) beseitigt und den Anwendern ein normales Essverhalten ermöglicht. 

 

Die Carnivore Diät ist per definitionem FODMAP-arm (außer wenn du dich regelmäßig an stark laktosehaltigen Milchprodukten vergreifst). Mehrere Interventionsstudien haben gezeigt, dass eine vier- bis zwölfwöchige FODMAP-Reduktion notwendig ist, um die FODMAP-Dysbiose erfolgreich zu behandeln. Und mit einer Carnivore Ernährung wird dir das auf jeden Fall gelingen, da sie alle typischen FODMAP-Quellen von deinem Teller verbannt!

 

Fazit: Die Carnivore Diät kann auch eine zweite zentrale Ursache des Reizdarmsyndroms innerhalb nur weniger Wochen effizient beheben. 

 

Liegt bei dir eine Dünndarmfehlbesiedlung oder eine FODMAP-Dysbiose vor?

Zu unserem Glück lässt sich heute schnell und unproblematisch herausfinden, ob bei uns eine dieser beiden mikrobiellen Ursachen des Reizdarmsyndroms vorliegt. Inzwischen gibt es gleich mehrere qualitativ-hochwertige Untersuchungen für das selbstbestimmte Testen in den eigenen vier Wänden. 

Der Stuhltest Mikrobiom+ von medivere:diagnostics vereint die Vorzüge einer molekularbiologischen Sequenzierung deines Mikrobioms mit vielen klassischen funktionellen Laborparametern. Unter anderem erhältst du auch eine Abschätzung der FODMAP-spezifischen Dysbiose.

Der Atemgastest von embelly ist die ideale Untersuchung zum Nachweis oder Ausschluss einer Dünndarmfehlbesiedlung. Er bestimmt neben Wasserstoff auch Methan und ist einfach in der Durchführung und schnell in der Auswertung. 

Mit meinem Gutscheincode "Thomas" sparst du übrigens noch einmal 10€!


Carnivore Ernährung eliminiert viele weitere Triggerfaktoren der Darmbeschwerden

Die potentiellen Wirkmechanismen der Carnivore Diät beim Reizdarmsyndrom sind damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. Weiterhin schließt sie nämlich viele Triggerfaktoren der Erkrankung kategorisch aus und kann auch auf diesem Wege zu erheblichen Besserungen oder Symptome oder, wie in vielen Studien berichtet, sogar zur Heilung führen. 

 

Im Gegensatz zur Dünndarmfehlbesiedlung und der FODMAP-Dysbiose müssen diese diätetischen Eingriffe jedoch dauerhaft durchgeführt werden, um die Beschwerden auch langfristig zu lindern. Besteht beispielsweise eine Nahrungsmittelallergie gegenüber Weizen und Milchprotein, dann kannst du diese im Normalfall nach einigen Monaten Carnivore Ernährung nicht einfach wieder einführen, ohne dass sich deine Symptome zurückmelden würden. 

 

Doch das Geniale an der Carnivore Diät beim Reizdarm ist, dass sie gleichzeitig zirka 80% der überhaupt vorhandenen Trigger eliminiert und zweitens dadurch den perfekten Ausgangspunkt für eine systematische Wiedereinführung kreiert. Deine Ernährungstherapie wird dadurch zu einem ganz hervorragenden diagnostischen Instrument! 

 

Schauen wir uns einmal an, welche Triggerfaktoren beim Reizdarm gut nachgewiesen sind und was deren ernährungstherapeutische Behandlung bewirken kann. 

 

1. Die Stärkeun2verträglichkeit im Rahmen des Sucrase-Isomaltase-Mangels

Ich hatte bereits erwähnt, dass 50-80% der Patienten mit einem Reizdarmsyndrom auf eine Low FODMAP Diät mit signifikanten Verbesserungen ihrer Symptome reagieren. Aber was ist eigentlich mit den anderen 20%? Neue Studien haben gezeigt, dass sich hinter dieser Therapieresistenz fast immer ein und dasselbe Phänomen verbirgt: Der Sucrase-Isomaltase-Mangel (SI-)

 

Sucrase-Isomaltase ist ein Enzym, welches für die Spaltung von Stärke und Saccharose verantwortlich ist. Wird dieses nicht in ausreichender Menge produziert oder ist dessen Aktivität zu schwach, resultiert daraus eine Malabsorption von Stärke und Haushaltszucker. Viele Speisen, von denen du vielleicht glaubst, dass sie bei einem Reizdarm unproblematisch seien (etwa weißer Reis, Kartoffeln) werden dann zum Symptom-Trigger! 

Kein Wunder also, dass die Low FODMAP Ernährung für diese Betroffenen nicht funktioniert, denn Reis, Kartoffeln, Hafer und Co. gehören praktisch zur Basis dieser Ernährungstherapie. 

 

Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu 35% der Reizdarm-Betroffenen vom Durchfall- oder Mischtyp von einem Mangel des Enzyms Sucrase-Isomaltase betroffen sind (Kim et al.,2020). Eine entsprechende Ernährungsumstellung verbessert die Darmsymptome deutlich und führt in vielen Fällen gar zu einer vollständigen Remission (z.B. Nilholm et al.,2021Roth et al.,2022). 

Abb5: Reizdarm-Patienten mit einem Mangel des Enzyms Sucrase-Isomaltase reagieren deutlich verhaltener auf eine Low FODMAP Diät. Für sie ist eine stärkearme und zuckerfreie Kost der Weg zum Erfolg. Quelle: Zheng et al.,2020.
Abb5: Reizdarm-Patienten mit einem Mangel des Enzyms Sucrase-Isomaltase reagieren deutlich verhaltener auf eine Low FODMAP Diät. Für sie ist eine stärkearme und zuckerfreie Kost der Weg zum Erfolg. Quelle: Zheng et al.,2020.

Da in einer Carnivore Diät nun aber keinerlei Stärke- und Zuckerquellen zu finden sind, werden auch jene 20-35% der Patienten mit einem Sucrase-Isomaltase-Mangel durch diese Ernährungsstragie starke Verbesserungen erfahren! 

 

2. Die Nickelallergie im Rahmen der allergischen Kontaktmukositis

Ein weiterer potentieller Bösewicht, den Reizdarm-Betroffene unbedingt auf dem Schirm haben sollten, ist das Schwermetall Nickel. Nickel ist ein ubiquitärer Mineralstoff, der sich über den Boden oder die Lebensmittelverarbeitung auch in unseren Nahrungsmitteln akkumuliert. 

Dass der Körper allergisch auf Nickel reagieren kann, ist vielen durch das sogenannte Kontaktekzem bekannt, für welches das Schwermetall der mit Abstand häufigste Auslöser ist. Die typischen Hautveränderungen wie Rötungen, Schwellungen oder Juckreiz entstehen dabei durch den Kontakt mit nickelhaltigen Gegenständen wie Modeschmuck, Brillengestellen etc. 

 

Doch inzwischen ist auch eine systemische Variante (Systemisches Nickelallergie Syndrom - SNAS) gut belegt (Ricciardi et al.,2014). Bei diesen Patienten dominieren vor allem gastrointestinale Beschwerden, Hautsymptome, aber auch neurologische bzw. psychiatrische Auffälligkeiten. Das Überwiegen der Darmproblematiken ist durch das Vorliegen einer allergischen Kontaktmukositis (Ni-ACM) nach dem Verzehr nickelreicher Lebensmittel erklärbar (Di Tola et al.,2014). Vermittelnder Faktor ist eine überschüssige Immunreaktion gegenüber dem Schwermetall. 

 

Nickelreiche Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Haferflocken, Buchweizen, Nüsse, Avocados, Schokolade usw. können also im Rahmen der Systemischen Nickelallergie Entzündungen in deinem Darm provozieren und dadurch die typischen Reizdarm-Beschwerden triggern

 

Und inzwischen wissen wir, dass dies bei Patienten mit der Diagnose Reizdarmsyndrom nicht einmal selten der Fall ist (Kageyama et al.,2019). Es kann also nicht verwundern, dass eine nickelarme Diät beim Reizdarmsyndrom nicht selten zu starken symptomatischen Verbesserungen führt (Rizzi et al.,2017). 

Abb6: Gastrointestinale Beschwerden beim Reizdarmsyndrom vor (Kreis und nach einer nickelarmen Diät (Raute). Quelle: Rizzi et al.,2017.
Abb6: Gastrointestinale Beschwerden beim Reizdarmsyndrom vor (Kreis und nach einer nickelarmen Diät (Raute). Quelle: Rizzi et al.,2017.

Tierische Lebensmittel weisen allesamt einen sehr geringen Gehalt an Nickel auf (in Mikrogramm pro 100g):

  • Rind 2
  • Lamm 5
  • Schwein 3
  • Eier 1
  • Joghurt <1
  • Milch 2
  • usw.

Etwas Vorsicht ist allerdings bei Fisch und Meeresfrüchten geboten (wenn diese Bestandteil der Carnivore Diät sein sollen). Bezüglich des Nickelgehaltes von Innereien wie Leber, Niere, Herz etc. gibt es widersprüchliche Berichte. Die meisten wissenschaftlichen Quellen berichten aber geringe bis moderate Konzentrationen, wobei die Spannbreite etwas größer ist als beim Muskelfleisch (Mittelwert 5 Mikrogramm pro 100g). 

 

Die Carnivore Diät ist also auch eine nickelarme Diät. Über Feinheiten wie nickelfreies Kochgeschirr oder das Abfiltern von Trinkwasser brauchst du dir anfangs überhaupt keine Gedanken zu machen. Spürst du durch die deutliche Nickelreduktion symptomatische Verbesserungen und lässt im nächsten Schritt vielleicht auch eine Nickelallergie nachweisen (z.B. Lymphozyten-Transformations-Test zum Nachweis einer Typ-IV-Allergie) kannst du immer noch damit experimentieren. 

 

3. Gluten & Amylase-Trypsin-Inhibitoren im Rahmen der Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NZGS)

Für Menschen, die sich nicht intensiv mit der wissenschaftlichen Datenlage rund um das Reizdarmsyndrom auseinandersetzen mag es überraschend klingen, doch die glutenfreie Ernährung gehört neben der bereits angesprochenen Low FODMAP Diät zu den am besten untersuchten und vor allem wirksamsten Ernährungsstrategien beim Reizdarmsyndrom (z.B. Zannini & Arendt,2018). Sicher hast du auch schon einmal "Expertenmeinungen" gelesen oder gehört, dass eine solche glutenfreie Diät außer bei der Behandlung der Autoimmunerkrankung Zöliakie völlig unnötig oder sogar schädlich sei? Ohne jetzt zu tief in die Details dieser Diskussion einsteigen zu wollen, möchte ich dir sagen, dass diese Aussage auf Grundlage zahlreicher Evidenz absolut unhaltbar ist. Für eine tiefere Beschäftigung mit diesem Thema empfehle ich dir meinen Blog-Artikel zum Thema Gluten und Reizdarmsyndrom

 

Heute unterscheiden Wissenschaftler drei Formen der Gluten-/Weizenunverträglichkeit:

  1. Zöliakie
  2. Weizenallergie
  3. Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NZGS)

Obwohl wir auch die beiden erstgenannten Erkrankungen beim Reizdarm vermehrt antreffen, steht seit einigen Jahren die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität im Fokus der Forscher. Letztere betrifft Schätzungen zufolge bis zu 6% der Gesamtbevölkerung (Cassella et al.,2018). Es handelt sich bei der NZGS im Gegensatz zu ihrer großen Schwester Zöliakie um eine problematische Reaktion der angeborenen Immunantwort auf den Proteinkomplex Gluten (Vazquez-Roque & Oxentenko,2015).

Das Beschwerdebild der Glutensensitivität ist breit gefächert. Die Patienten klagen über Kopfschmerzen, Erschöpfung, Hautsymptome, Gelenkschmerzen, psychische Erkrankungen, aber vor allem auch gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Blähungen, Durchfälle etc. Durch die Häufung letztgenannter Symptome wirst du schnell nachvollziehen können, warum sich unter den Reizdarm-Patienten noch einmal deutlich mehr Betroffene einer NZGS tummeln (Catassi et al.,2017): Diese bekamen nämlich aufgrund ihrer Symptome schlicht das Label "Reizdarmsyndrom" verpasst! Welcher Arzt schaut denn bitte gezielt nach den genetischen Prädispositionen oder den entsprechenden IgG-Antikörpern, die auf eine NZGS hinweisen könnten?

 

Neben dem Proteinkomplex Gluten spielen vermutlich weitere typische Inhaltsstoffe glutenhaltiger Getreidesorten eine vermittelnde Rolle bei der Provokation von Reizdarm-Beschwerden. Die prominentesten unter ihnen, die über eine entsprechende Datenlage verfügen, sind die Amylase-Trypsin-Inhibitoren und das FODMAP Fruktan (Barbaro et al.,2020). 

Aus diesen heterogenen Ursachen erklärt sich vermutlich auch der doch recht unterschiedliche Wirkungsgrad der glutenfreien Ernährung als Behandlungsansatz beim Reizdarmsyndrom. Denn während eine Mehrheit der Betroffenen mit erheblich verbesserten Symptomen auf das glutenfreie Experiment reagiert, erreicht etwa ein Viertel der Reizdarm-Probanden eine vollständige Remission (Wahnschaffe et al.,2007). 

 

Egal, ob du nun unter einer Unverträglichkeit von ATIs oder Fruktan leidest, oder aber tatsächlich immunologisch auf den Proteinkomplex Gluten reagierst: Eine Carnivore Diät schließt alle glutenhaltigen Getreidesorten und damit auch alle hier beschriebenen Triggerfaktoren kategorisch aus. Damit erhöhst du noch einmal die Wahrscheinlichkeit für einen durchschlagenden therapeutischen Erfolg! 

 

4. Nahrungsmittelallergien beim Reizdarmsyndrom

Ein weiterer verbreiteter Auslöser von Reizdarm-Symptomen sind die verschiedenen Formen von Nahrungsmittelallergien. Wie beim Gluten halten sich zu diesem Thema zahlreiche Mythen, die immer wieder in Foren, auf Social-Media-Plattformen, aber auch von Ärzten wiederholt werden. So sind viele Betroffene fest davon überzeugt, dass ein Test auf Nahrungsmittelallergien nicht sinnvoll sei, da er nur eine geringe Aussagekraft besitze. Doch das ist in dieser undifferenzierten Weise absoluter Nonsens! 

 

Zuerst einmal musst du verstehen, dass es nicht "die" Nahrungsmittelallergie gibt und auch nicht "den" Test, der diese abklärt. Die für uns besonders relevanten Allergietypen sind:

  1. Immunglobulin E-vermittelte Allergie (Typ I, Soforttyp)
  2. zeitvermittelte Allergie (Typ IV, Spättyp)
  3. lokalvermittelte Allergie (immunologische Reaktion ausschließlich im Darmgewebe)

Der relevante Unterschied ergibt sich aus den Namen: Während die Patienten beim Soforttyp (IgE) unmittelbar auf den Verzehr entsprechender Lebensmittelproteine reagieren, kann es beim Spättyp (Typ IV) 24 bis 72 Stunden dauern. Weiter oben hast du bereits eine dieser klassischen Typ-IV-Allergien kennengelernt - die Systemische Nickelallergie. 

Beide Typen und ihre Standarddiagnostik sind in der Wissenschaft vollumfänglich anerkannt (Calvani et al.,2020; Gupta et al.,2018). Woher rühren dann aber die vielen Vorurteile gegenüber den Testverfahren? Das liegt daran, dass viele Patienten und auch Journalisten Dinge zu einem Brei verrühren, die nichts miteinander zu tun haben: Die Kritik der meisten Allergologen und Fachgesellschaften richtet sich einzig und allein gegen Allergietests, welche das spezifische Immunglobulin G bestimmen (Gocki & Bartuzi,2016). Auch bei diesem Thema ist die Sachlage gerade beim Reizdarmsyndrom nicht ganz so schwarz-weiß, aber zugunsten besserer Verständlichkeit unterlassen wir auch hier eine tiefere Diskussion und konzentrieren uns auf die Nahrungsmittelallergien vom Typ I und Typ IV.

 

Über ein Drittel der Reizdarm-Patienten leidet unter einer Nahrungsmittelallergie vom Soforttyp (Mekkel et al.,2005). Die häufigsten Immunglobulin E-vermittelten Allergien richten sich dabei gegen:

  1. Milchprotein
  2. Soja
  3. Tomate
  4. Erdnuss
  5. Hühnerei

Noch deutlich häufiger treten beim Reizdarmsyndrom jedoch atypische Nahrungsmittelallergien auf. Diese können nicht durch einen entsprechenden IgE-Bluttest erfasst werden, sondern nur durch endoskopische Methoden wie die gastrointestinale Lavage mit anschließender Provokation. In einer Studie der Uni Kiel zeigten über 50% der Reizdarm-Probanden solche nicht-typischen allergischen Reaktionen gegenüber Lebensmitteln mit einer sofortigen Schädigung der Darmbarriere (Fritscher-Ravens et al.,2019). Über 60% dieser Gruppe reagierten allergisch auf Weizen. Die erhobenen Allergene der lokalen Reaktion waren:

  1. Weizen
  2. Hefe
  3. Milchprotein
  4. Soja
  5. Hühnerei

Und was passiert, wenn Reizdarm-Betroffene die typischen Auslöser einer Lebensmittelallergie meiden? Richtig, ihre Symptome gehen deutlich zurück, wobei Patienten mit positiven Haut- oder Bluttests deutlich stärker profitieren als ihre Leidensgenossen (z.B. Grazioli et al.,1993Stefanini et al.,1995).

 

Viele der beim Reizdarm geläufigsten Allergene werden durch die Carnivore Ernährung bereits eliminiert. Je nach Ausgestaltung des diätetischen Ansatzes könnten Milchprodukte und Eier einen Stolperdraht darstellen. Bei bestehenden Beschwerden wäre dann entweder eine zeitbefristete Einschränkung oder eine diagnostische Abklärung (siehe unten) angezeigt! 

 

5. Salizylate im Rahmen der Salizylatintoleranz

Die Salizylatintoleranz ist eine Pseudoallergie, die durch eine veränderten Stoffwechsel von Arachidonsäure, Eicosanoiden, Leukotrienen und Prostaglandinen charakterisiert ist (Bänkler,2008). Obwohl sie keine tatsächliche Allergie ist, ist sie aufgrund ihrer Pathophysiologie und ihrer Mediatoren eng mit verschiedenen allergischen Erkrankungen und auch dem Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) verwandt. Die Beschwerden entstehen nach dem Konsum salizylathaltiger Lebensmittel und Medikamente (von Brokkoli über Olivenöl bis hin zu Aspirin). Zu den Symptomen der Salizylatintoleranz gehören primär: 
  1. Rhinitis (dauerhaft verstopfte Nase)
  2. Asthma
  3. Nasenpolypen
  4. Urtikaria bzw. Nesselsucht
  5. Entzündungen des Darmes

Über den letztgenannten Punkt erklärt sich die Relevanz für die Gastroenterologie. Zwei bis sieben Prozent der Patienten könnten von der Diagnostik und Behandlung der Pseudoallergie profitieren (Raithel et al.,2005). Auch bei einigen Betroffenen eines Reizdarmsyndroms kann die vermehrte Zufuhr von Salizylaten die gastrointestinalen Beschwerden und auch Erschöpfungszustände verstärken (Tuck et al.,2021). 

 

Alle tierischen Lebensmittel sind praktisch frei von Salizylaten, so dass du auch hinter diesen Krankheitspfad bei der Carnivore Diät einen grünen Haken setzen kannst. 

 

Wie du sicherlich bemerkt hast, nimmt die Relevanz der beschriebenen Störungsbilder immer weiter ab. Waren von der IgE-vermittelten-Nahrungsmittelallergie oder dem Sucrase-Isomaltase-Mangel noch rund ein Drittel der Patienten betroffen, handelt es sich bei der Salizylatintoleranz um eine deutlich kleiner Subgruppe. Meiner Erfahrung nach können aber gerade diese selteneren Störungsbilder einen entscheidenden Unterschied machen. 

Erwägst du nämlich tatsächlich aufgrund deiner Darmbeschwerden eine Carnivore Diät durchzuführen, gehörst du mit hoher Wahrscheinlichkeit zu jenen Patienten, die in der Vergangenheit schon sehr viel versucht haben und leider auch therapieresistent waren. Und genau dann sind es manchmal die kleinen Details, an die kaum jemand sofort denkt. 

 

6. Ballaststoffe im Rahmen einer mikrobiellen Fehlbesiedlung

Wenden wir uns nun noch dem überaus komplexen Thema der Ballaststoffe zu. Ballaststoffe sind überwiegend unverdauliche Nahrungsbestandteile, meistens Kohlenhydrate. Ich hatte bereits weiter oben angenerkt, dass diese Faserstoffe mit sehr vielen positiven Eigenschaften für deine Gesundheit assoziiert sind (Kim & Ye,2014; Veronese et al.,2018Hu et al.,2023; Saghalian et al.,2023 usw. usf.). Da Ballaststoffe allerdings vorwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln zu finden sind, ist dies ein Hauptargument gegen die Umsetzung einer Carnivore Diät. 

Interessanterweise finden sich diese Bedenken auch noch einmal ganz besonders, wenn es um den Einsatz beim Reizdarmsyndrom oder den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen geht. Hintergrund dieser Diskussion ist die Bedeutung der Faserstoffe als Präbiotika bzw. Futter für deine Darmmikroben (Slavin,2013). Die Idee ist, dass nur Ballaststoffe dazu in der Lage sind, ein artenreiches und gesundheitsförderliches Mikrobiom zu erhalten. Da bei allen chronischen Darmerkrankungen dysbiotische Zustände mit einer verminderten bakteriellen Biodiversität (Artenvielfalt) vorliegen, glauben viele Wissenschaftler, dass ein Mangel an Ballaststoffen dieses Problem noch weiter verschärfen würde. 

 

Gerade Menschen mit einem Reizdarm reagieren schnell genervt auf das Thema Ballaststoffzufuhr, denn über viele Jahrzehnte wurde ein Mangel der Faserstoffe in der Ernährung als Ursache der Erkrankung vermutet (Floch,1988). Eine Erhöhung der Ballaststoffzufuhr via Ernährung und/oder Supplementation war dementsprechend das Mittel der Wahl zur Behandlung der Patienten. 

Erstmals brachte eine große Metaanalyse rund um Dr. Alexander Ford dieses Dogma ins Wanken (Ford et al.,2008). Anhand der Daten aus zwölf kontrollierten Interventionsstudien konnten die Forscher zeigen, dass eine höhere Ballaststoffzufuhr keine Vorteile gegenüber einer ballaststoffarmen Ernährung oder einer Plazebo-Gabe zeigte. Ganze 11 Probanden mussten mit einer Ballaststoffsupplementation behandelt werden, damit nur ein einziger Patient nennenswerte Verbesserungen berichtete. 

 

Die klinische Erfahrung vieler Ärzte, Ernährungsberater und auch Betroffener zeigte aber zweifelsfrei, dass ein verstärkter Verzehr von Ballaststoffen die Beschwerden des Reizdarms nicht therapieren, sondern eher verstärken kann (Eswaran et al.,2013). Doch nicht selten wurden die Patienten müde belächelt, wenn sie von einer solchen "Ballaststoff-Unverträglichkeit" berichteten. 

Wie kann es also sein, dass Ballaststoffe für den größten Teil der Menschheit mit zahlreichen positiven Effekten für die Gesundheit assoziiert sind und andere die Faserstoffe weder zu vertragen, noch von einer Erhöhung ihres Konsums profitieren zu scheinen? 

Heute sind wir der Lösung dieses Rätsels schon ein ganzes Stück näher gekommen: Die Verträglichkeit von und der Nutzen (oder Schaden) durch Ballaststoffe wird durch den Zustand deiner Damflora vermittelt. Ja, du hast richtig gelesen ... 

 

2021 gelang es erstmals einem hochkarätigen Team aus Stanford nachzuweisen, dass eine erhöhte Ballaststoffzufuhr auch negative Effekte mit sich bringen kann. Zeigten die Probanden eine Dysbiose des gastrointestinalen Mikrobioms (v.a. eine Verminderung des Artenreichtums) verstärkte die ballaststoffreiche Ernährung die Entzündungssignale und aktivierte dauerhaft das Immunsystem (Wastyk et al.,2021). Kein Wunder also, dass viele Betroffene mit Crohn, Reizdarm und Co. Probleme mit dem Verzehr ballaststoffreicher Nahrungsmittel haben. Alle Studien zeigen, dass genau diese Patienten eine solche Dysbiose des Mikrobioms haben. 

 

Es scheint also durchaus sinnvoll zu sein, die präbiotischen Faserstoffe deutlich zu reduzieren während eine solche Dysbiose besteht. Die Carnivore Diät ist praktisch frei von fermentierbaren Faserstoffen. Ob sie auch langfristig dazu geeignet ist, dein Mikrobiom wieder gesünder und leistungsfähiger zu machen, steht auf einem ganz anderen Blatt (oder in einem anderen Blog-Beitrag). 

 

Nebenbemerkung: Die Wirkungen von Ballaststoffen beim Reizdarmsyndrom sind sehr komplex. Neben der Darmflora spielen etwa auch die verschiedenen Typen der Faserstoffe und ihre individuellen Eigenschaften (Fermentierbarkeit, Viskosität etc.) eine Rolle. 

 

Über die Diagnostik der hier vorgestellten Triggerfaktoren

Auch die im zweiten Abschnitt des Artikels vorgestellten Triggerfaktoren kannst du diagnostisch abklären lassen, um beispielsweise deine Ernährung wieder zu liberalisieren. Möchtest du dabei nicht ganz auf "Versuch-und-Irrtum" setzen, kannst du folgende Untersuchungen nutzen. Für einige von ihnen benötigst du aber einen Arzt zur Blutentnahme bzw. Kooperation mit einer Klinik. 

Lebensmittelallergie

Dieser Bluttest auf Immunglobulin E-vermittelte Nahrungsmittelallergien (Typ I, Soforttyp) bestimmt die immunologischen Reaktionen gegenüber den häufigsten Nahrungsmittelallergenen. Die Blutentnahme erfolgt dabei bequem und unkompliziert aus der Fingerkuppe.  

Gluten, Nickel und Salizylate

Für den Nachweis einer Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität bieten sich die Bestimmung des Zonulins (Barbaro et al.,2020) sowie der genetischen Prädisposition und IgG-Transglutaminase-Antikörper an. 

 

Der Nachweis einer Systemischen Nickelallergie erfolgt am besten über einen Lymphozyten-Transformationstest (LTT). Gleiches gilt für Nahrungsmittelallergien vom Spättyp (Typ IV). 

 

Die Salizylatintoleranz lässt sich schließlich durch den FET-Test (Funktionelle Eicosanoid Typisierung) nachweisen. Letzter wurde in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Erlangen angeboten, scheint aber derzeit nicht mehr Bestandteil des Leistungsspektrums zu sein. 


Kann die Carnivore Diät deinen Reizdarm auch verschlimmern?

Bis zu diesem Punkt unserer Diskussion sieht es nach einem absoluten K.O.-Sieg für die Carnivore Ernährung aus. Diese korrigiert nicht nur kostengünstig, nebenwirkungsarm und zuverlässig zwei der zentralen Ursachen des Reizdarmsyndroms, sondern eliminiert auf einen Schlag gleich sechs bekannte Triggerfaktoren der Erkrankung (eigentlich sind es noch mehr). Die Carnivore Diät ist damit zugleich hocheffektiver Behandlungsansatz und verlässliches diagnostisches Instrument. 

 

Doch gibt es auch Szenarien, in denen eine Ernährungsweise basierend auf tierischen Lebensmitteln deine Darmbeschwerden verschlimmern kann? 

 

In der oben zitierten Carnivore Studie berichtete gerade einmal 1% der Teilnehmer mit gastrointestinalen Symptomen über eine Verschlechterung der Darmbeschwerden (Lennerz et al.,2021). Doch hier ist aktives Denken gefordert! Bei den Befragten handelte es sich um Langzeit-Anwender, welche im Durchschnitt bereits über ein Jahr nach den Regeln der Carnivore Ernährung lebten. Allein ich kenne jedoch gleich mehrere Patienten, welche diese Ernährungsstrategie nach nur wenigen Wochen frustriert wieder abbrachen. Grund dafür waren verstärkte Durchfälle und Bauchschmerzen bzw. Bauchkrämpfe

 

Doch was könnte der Grund für diese symptomatische Verschlechterung sein, wenn die Diät wie oben beschrieben so viele Faktoren des Reizdarms günstig beeinflusst? Die Antwort ist gar nicht so kompliziert und für die "alten Hasen" da draußen nur wenig überraschend. Die Ursache liegt vor allem in jenen Störungen, welche die Verdauungs- und Absorptionsleistung von Proteinen und Fetten minimieren. Beim Reizdarmsyndrom sind zwei dieser Erkrankungen recht häufig zu finden: 

  1. das Gallensäureverlustsyndrom
  2. die Bauchspeicheldrüsenschwäche

Beim Gallensäureverlustsyndrom handelt es sich um eine nicht ausreichend Reabsorption (beim Gesunden werden bis zu 95% der Gallensäuren im Dünndarm reabsorbiert) von Gallensäuren. Diese gelangen dann verstärkt in den Dickdarm, wo sie osmotische Effekte provozieren und den Stuhltransport beschleunigen (Marasco et al.,2022). Typische Symptome des Gallensäureverlustsyndroms sind breiige Stuhlgänge, wässrige Durchfälle oder Fettstühle sowie mitunter heftige Bauchschmerzen. Die Beschwerden treten häufig nach dem Verzehr einer Mahlzeit auf. Immerhin zwischen 25% und 50% aller Reizdarm-Patienten mit dem Leitsymptom Durchfall könnten vom Gallensäureverlustsyndrom betroffen sein (Camilleri,2015). 

Und genau jene Patienten könnten ein Problem mit der Carnivore Diät bekommen, denn ein erhöhter Konsum von Nahrungsfetten verschlimmert die Symptome durch die erhöhte Ausschüttung von Gallensäuren. Eine Low Fat Diät wirkt bei dieser Patientengruppe hingegen therapeutisch (s.bspw. Watson et al.,2015). 

 

Die Bauchspeicheldrüsenschwäche ist hingegen durch eine mangelnde Produktion von Verdauungsenzymen charakterisiert, welche für die Spaltung und somit Verdauung von Makronährstoffen benötigt werden. Das typische Beschwerdebild ist eine Kombination aus Durchfällen, Bauchschmerzen und Blähungen. Diese Symptome werden insbesondere durch fett- und/oder proteinreiche Speisen provoziert. Etwas mehr als 6% der Reizdarm-Patienten vom Durchfalltyp sind von einem solchen Enzymmangel betroffen (Leeds et al.,2010). Auch für diese Gruppe wird eine fettreduzierte Diät als Behandlungsstrategie empfohlen (Alkaade et al.,2017), während die erhöhte Protein- und Fettaufnahme in einer Carnivore Diät das Problem eher verschlimmern dürften. 

 

Fazit: Mehr als die Hälfte der Patienten mit einem Reizdarm vom Durchfalltyp könnte aufgrund einer Absorptionsstörung mit verstärkten Symptomen auf die Carnivore Diät reagieren. In diesem Fall solltest du dieses diätetische Experiment vorerst beenden. 

 

Ich möchte betonen, dass es sich hierbei nur um die akut auftretenden Risiken und Nebenwirkungen der Carnivore Diät handelt. Eventuelle Langzeitfolgen für das Mikrobiom etc. werden wir in einem anderen Blog-Artikel diskutieren! 

 

Du möchtest dieses Risiko vorher ausschließén?

Auch für diese beiden Störungsbilder existieren inzwischen recht verlässliche Marker, die du von zuhause aus bestimmen lassen kannst. Gibt es Hinweise auf eine erhöhte Konzentration von Gallensäuren in deinem Stuhl, solltest du dich nach einem SeHCAT-Scan in deiner Nähe erkundigen. Der Stuhltest Mikrobiom+ analysiert neben der Dysbiose (DNA-Sequenzierung s.o.) auch die Konzentration der Gallensäuren und den Pankreas-Elastase-Wert. 

Ist die Carnivore Diät beim Reizdarm unbedingt nötig oder sinnvoll?

Wie du jetzt gesehen hast, bringt die Carnivore Diät tatsächlich viele Vorteile und Eigenschaften mit sich, die sie insbesondere für Patienten mit Darmerkrankungen sehr interessant machen. Ist sie deshalb generell beim Reizdarm zu empfehlen?

 

Meine persönliche Einschätzung und Erfahrung ist, dass dies für den allergrößten Teil der Betroffenen nicht der Fall ist. Im Verlauf dieses Artikels hast du auch erfahren, dass sich oft sehr konkrete Störungen hinter der Diagnose Reizdarmsyndrom verbergen. Und viele von diesen Störungen kann man durch qualitativ-hochwertige Testverfahren nachweisen oder eben ausschließen. Steckt dann beispielsweise ein Sucrase-Isomaltase-Mangel hinter den Beschwerden, kannst du etwa eine liberale Paleo-Diät mit Früchten, Honig, Gemüse usw. umsetzen, anstatt ausschließlich auf Fleisch zu setzen. Oder nehmen wir mal an, du leidest unter der typischen Allergenkombination Weizen, Hefe und Milchprotein. Hier sind fast alle Ernährungsstile denkbar. Wie wäre es bspw. mit einer ausgewogenen Mittelmeerkost mit viel Fisch, Olivenöl, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen? Das ist für die allermeisten Betroffenen nicht nur kulinarisch ansprechender, sondern auch psychologisch eine deutlich geringere Herausforderung! 

Und auch die potentiellen negativen Auswirkungen auf das Mikrobiom und andere problematische Konsequenzen der Carnivore Diät lassen sich in einem solchen Ernährungskonzept deutlich einfacher verhüten.  

 

Doch die Carnivore Ernährung hat definitiv auch ihren Nutzen beim Reizdarmsyndrom! Vor allem bei Patienten mit starken Beschwerden, multiplen Unverträglichkeiten und einer hohen Therapieresistenz kann diese Ernährungsstrategie zu einem wahren therapeutischen Durchbruch verhelfen. Hier ist ihr größter Vorteil, dass sie eben gleich viele Fliegen mit einer Klappe schlägt. 

Ein weiterer Pluspunkt für die Carnivore Diät ist natürlich der finanzielle Aspekt. Mir ist durchaus bewusst, dass die von mir beschriebenen Untersuchungen Geld kosten. Geld, das nicht jeder immer zur Verfügung hat. Bist du also Student, Erwerbsminderungsrentner oder ähnliches, ist es nicht immer einfach eine selbstbestimmte erweiterte Diagnostik vornehmen zu lassen. Auch hier bietet sich ein Versuch mit dieser Ernährungsstrategie an. 

 

Hierbei solltest du aber ein ganz bestimmtes Vorgehen wählen, um das Beste aus der Diät herauszuholen. In einem der nächsten Artikel zeige ich dir konkret, wie du an deine Carnivore Diät herangehen solltest, um deinen Reizdarm dauerhaft in den Griff zu bekommen. 

 

Bis dahin wünsche ich dir alles Liebe und gute Besserung!

dein Thomas

 

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Abbildungsverzeichnis

Abb1

Borghini R, Donato G, Alvaro D, Picarelli A. New insights in IBS-like disorders: Pandora's box has been opened; a review. Gastroenterol Hepatol Bed Bench. 2017 Spring;10(2):79-89. PMID: 28702130; PMCID: PMC5495893.

 

Abb2

Ghoshal UC, Shukla R, Ghoshal U. Small Intestinal Bacterial Overgrowth and Irritable Bowel Syndrome: A Bridge between Functional Organic Dichotomy. Gut Liver. 2017 Mar 15;11(2):196-208. doi: 10.5009/gnl16126. PMID: 28274108; PMCID: PMC5347643.

 

Abb3

El-Salhy M, Patcharatrakul T, Gonlachanvit S. The role of diet in the pathophysiology and management of irritable bowel syndrome. Indian J Gastroenterol. 2021 Apr;40(2):111-119. doi: 10.1007/s12664-020-01144-6. Epub 2021 Mar 5. PMID: 33666892; PMCID: PMC8187226.

 

Abb4 

Vervier K, Moss S, Kumar N, Adoum A, Barne M, Browne H, Kaser A, Kiely CJ, Neville BA, Powell N, Raine T, Stares MD, Zhu A, De La Revilla Negro J, Lawley TD, Parkes M. Two microbiota subtypes identified in irritable bowel syndrome with distinct responses to the low FODMAP diet. Gut. 2022 Sep;71(9):1821-1830. doi: 10.1136/gutjnl-2021-325177. Epub 2021 Nov 22. PMID: 34810234; PMCID: PMC9380505.

 

Abb5

Zheng T, Eswaran S, Photenhauer AL, Merchant JL, Chey WD, D'Amato M. Reduced efficacy of low FODMAPs diet in patients with IBS-D carrying sucrase-isomaltase (SI) hypomorphic variants. Gut. 2020 Feb;69(2):397-398. doi: 10.1136/gutjnl-2018-318036. Epub 2019 Jan 18. PMID: 30658996; PMCID: PMC6984052.

 

Abb6

Rizzi A, Nucera E, Laterza L, Gaetani E, Valenza V, Corbo GM, Inchingolo R, Buonomo A, Schiavino D, Gasbarrini A. Irritable Bowel Syndrome and Nickel Allergy: What Is the Role of the Low Nickel Diet? J Neurogastroenterol Motil. 2017 Jan 30;23(1):101-108. doi: 10.5056/jnm16027. PMID: 28049864; PMCID: PMC5216640. 

 

Es wurden keine Änderungen seitens des Autors vorgenommen. 

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