Innerhalb der psychotherapeutischen Sitzungen mit meinen Reizdarm-Klienten erfahre ich so einiges aus deren "Patientenkarriere". Es gibt eigentlich nichts, das mir noch nicht begegnet wäre. Wir sprechen hierbei über Stuhltransplantationen im "Do-It-Yourself-Gruppenverfahren", Eigenurintherapie, spirituelles Heilen über mehrere Kontinente hinweg oder Langstreckenflüge in die USA bzw. nach Australien, um sich dort von Experten der Funktionellen Medizin helfen zu lassen (vom Flug, über die Unterkunft bis hin zur eigentlichen Therapie auf eigene Kasse, versteht sich).
Sind die Beschwerden nur stark genug, setzen viele Betroffene jeden noch so schweren Hebel in Bewegung, um endlich wieder normal leben, lieben und arbeiten zu können. Und welches gewaltige Ausmaß die Einschnitte durch den Reizdarm annehmen können, das brauche ich Ihnen, liebe LeserInnen, wohl nicht zu erklären. Nicht umsonst surfen Sie gerade eben auf einer Selbsthilfeseite zum Thema Darmgesundheit ...
Zu den exotischeren Therapieverfahren gehört auch die so genannte "Colon Hydrotherapie". Sie gehört zum Bereich der Alternativ- und Komplementärmedizin. Auch wenn sie bei weitem noch nicht den Bekanntheitsgrad von Homöopathie oder Akupunktur erlangt hat, finden sich gerade unter Menschen mit chronischen Darmstörungen viele Verfechter der Methode. Und dies scheint nur folgerichtig. Schließlich propagieren unzählige Heilpraktiker und Naturärzte den Nutzen der Colon Hydrotherapie gerade für Betroffene von Reizdarmsyndrom, chronischer Verstopfung oder Nahrungsmittelallergien. So werde auch ich immer wieder mit der Darmspülung konfrontiert und nach meiner persönlichen Einschätzung dieses Behandlungsansatzes befragt.
- Gibt es eigentlich wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit dieser Form der Darmspülung?
- Wie sieht es mit relevanten Risiken und Gefahren aus?
- Was passiert eigentlich mit unserem Mikrobiom, also der menschlichen Darmflora, wahrend und nach der Colon-Hydrotherapie?
- Lohnt sich die Investition von 50-150€ pro Therapieeinheit für einen Reizdarmpatienten?
Diese und weitere Fragen meiner Klienten werden wir versuchen in den folgenden Abschnitten zu klären, damit auch Sie sich ein objektiveres Bild von der Colon-Hydrotherapie machen können. Wie immer orientieren wir uns dabei an wissenschaftlichen Arbeiten, zu deren Originaltexten Sie jeweils durch einen Klick auf die grün-hinterlegten Forschungsgruppen gelangen.
Was passiert eigentlich bei der Colon-Hydrotherapie?
Die Colon-Hydrotherapie (CHT) ist letztendlich eine weiterentwickelte Version der klassischen Darmspülung bzw. des hohen Einlaufes. Einläufe mit reinem Wasser oder speziellen Zusätzen wurden als so genannte "ausleitende Verfahren" schon von den Ärzten des Mittelalters angewendet, um nach den gängigen Vorstellungen dieser Zeit den menschlichen Körper von "schlechten Säften" zu reinigen. Auch viele Vertreter der Colon-Hydrotherapie argumentieren heute ganz ähnlich, wenn sie anstatt von "schlechten Säften" recht unspezifisch von "Schlacken" oder "Ablagerungen" sprechen, ohne diese Begriffe gezielt zu beschreiben.
Die Entstehung der Darmreinigung mittels der Colon-Hydrotherapie wird sehr häufig in den USA verortet, dabei beruht die Methode auf einer österreichischen Erfindung, welche bereits 1912 von Anton Brosch eingesetzt wurde. Brosch forschte in Wien intensiv an denkbaren Zusammenhängen zwischen Darmrückständen und verschiedenen Todesursachen. Als therapeutische Konsequenz seiner Gedanken und Hypothesen kreierte er das "Subaquale Darmbad", welches oft auch nur "Sudabad" genannt wird. Hierbei sitzt der Proband oder Patient in einer mit warmem Wasser gefüllten Wanne. Mittels eines Schlauches werden ihm oder ihr dann mittels 30 Litern lauwarmen Wassers (oft auch mit Kamille usw.) mehrere Einläufe zugeführt. Das Besondere am Subaqualen Darmbad war aber eigentlich eine Ablaufvorrichtung. Durch einen Sattel war der After der Patienten vom Badewasser getrennt. An dieser Vprrichtung befand sich nun auch ein Ableitungsrohr, welches den abgeführten Kot aufnimmt, die Bestandteile trennt und sofort entsorgt. Durch eine Variation der Druckverhältnisse kann die Ausscheidung des Patienten noch verstärkt werden.
Die meisten deutschen Universitätskliniken verfügten in den folgenden Jahrzehnten über ein Sudabad. Erst nach 1950 wurde die Lizenz zum Bau der komplizierten Vorrichtung in die USA verkauft. Ray Dotolo entwickelte dort um 1980 eine stark vereinfachte Konstruktion, welche den modernen hygienischen Ansprüchen genügte. Unter anderem forcierte er die Benutzung eines Einwegspekulums. Die moderne Colon-Hydrotherapie war geboren!
Der Proband liegt während der Behandlung, welche ca. 45 bis 60 Minuten andauert, auf der Seite oder dem Rücken. Langsam werden mittels eines Schlauchsystems 10 Liter temperiertes Wasser in den Dickdarm geleitet. Dies geschieht vollständig ohne Druck. Bei der klassischen Colon-Hydrotherapie beträgt die Wassertemperatur abwechselnd 21°C bzw. 41°C, was die Darmperistaltik noch weiter anregen soll. Der Heilpraktiker oder Naturarzt unterstützt die Wirkung des Wassers durch eine leichte Colonmassage und lenkt die Flüssigkeit in vorher ertastete "Problemzonen". Einige Therapeuten setzen dem Wasser weitere Wirkstoffe zu, um bestimmte Effekte zu erzielen oder zu verstärken. Dazu zählen bspw. Kaffee, Essig oder auch Milch. Nach der ersten Reinigung wird dem Wasser reiner Sauerstoff zugesetzt.
Ähnlich wie beim Sudabad erfolgt der Einlauf bei der Colon-Hydrotherapie durch ein geschlossenes System, das heisst der gelöste Stuhl wird durch ein Rohrsystem abtransportiert und es entstehen keine unangenehmen Gerüche o.ä.
Nach den Vorstellungen der Vertreter der CHT wird die Darmmuskulatur durch das Verfahren nachhaltig aktiviert, Kotrückstände werden entfernt und sowohl Hefepilze als auch schädliche Darmbakterien werden ausgespült. Um diese Behandlungsziele zu erreichen oder zu optimieren, empfehlen viele Heilpraktiker Behandlungsserien von bis zu 15 therapeutischen Einheiten.
Propagierte Indikationen
Die Therapeuten empfehlen die Colon-Hydrotherapie für eine ganze Bandbreite an Erkrankungen, mit teilweise "erstaunlichen Verbesserungen". Hier die Indikationsliste des Internetportals Heilpraktiker.org:
- Allergie
- Akne
- Entgiftung
- Rheuma
- Migräne
- Pilzbefall
- Erschöpfung
- Verstopfung
- Verdauungsprobleme
- Durchfall
- Megacolon
- Divertikulose
- Reizdarmsyndrom
Sie sehen, wir Darmgeplagten stehen gleich mehrfach auf der Liste. Aber wie sieht es denn eigentlich mit belegbaren Effekten der Colon-Hydrotherapie aus?
Gibt es Studien, welche die Wirkungen der Colon-Hydrotherapie belegen?
Zuerst einmal müssen wir fest halten, dass es keinen einzigen wissenschaftlichen Hinweis dafür gibt, dass die Colon-Hydrotherapie oder eine Darmreinigung irgendeinen gesundheitsfördernden Effekt erzielt. Dies gilt auch für alle oben im Speziellen erwähnten Indikationen. Zu dieser Einschätzung kommen sowohl die Forschergruppe um Mishori und Kollegen (2011), als auch Acosta und Cash (2009) in ihrem systematischen Review. Dies sollte man sich noch einmal ganz in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Trotz der inzwischen 100jährigen Geschichte der Colon-Hydrotherapie und dem Zurückreichen ihrer Wurzeln bis in das antike Ägypten finden wir keine wissenschaftlichen verwertbaren kontrollierten Studien oder Fallsammlungen. Und das Argument der Alternativmedizin lasse ich hier nicht gelten. Man schaue sich einmal zum Vergleich an, was homöopathisch-orientierte Ärzte oder die Vertreter der Traditionellen Chinesischen Medizin im Vergleichszeitraum publiziert haben!
Doch nicht nur die positiven Wirkungen für bestimmte Indikationen sind nicht wissenschaftlich belegt. Auch die hypothetischen Mechanismen hinter dem Verfahren, bspw. die Autointoxikation, entbehren einer wissenschaftlichen Evidenz. Selbst bei massiven und langfristigen Verstopfungen konnte eine negative Auswirkung im Sinne der "Eigenvergiftung" nicht nachgewiesen werden. Selbiges gilt auch für den "Trainingseffekt" der glatten Darmmuskulatur, welcher immer wieder von den Therapeuten ins Feld geführt wird.
Nun bedeutet das Fehlen wissenschaftlicher Daten nicht im Schluss, dass die Methode nicht wirksam sein kann. Immerhin beschreiben viele Anwender und auch Therapeuten positive Effekte. Doch fehlen klare Hinweise auf die Wirksamkeit einer Therapiemethode, sollten weitere Faktoren den Ausschlag für eine Entscheidung geben.
Die Colon-Hydrotherapie birgt ernstzunehmende Gefahren und Risiken
Im Gegensatz zu den positiven Wirkungen der Colon-Hydrotherapie sind deren Risiken und Nebenwirkungen sehr gut belegt. In den beiden oben genannten Reviews und Fallstudien finden wir zahlreiche berichtete unerwünschte Wirkungen, welche von leichtem Unwohlsein bis hin zur Notfallbehandlung reichen. Beschrieben werden u.a.
- Verletzungen des Afters
- Verletzungen der Darmwand samt Blutungen
- Bauchkrämpfe, Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen
- Infektionen
- Colitis (vor allem bei Einläufen mit Kaffee), Reizungen der Darmschleimhaut
- schwerste Verschiebungen im Elektrolythaushalt (u.a. mit Verwirrungszuständen)
- Nierenversagen
- in einigen Fällen (u.a. bei Infektionen) - Tod
Diese Nebenwirkungen wurden in über 25 Fallsammlungen erfasst und beschrieben. Eine Zusammenfassung kann man u.a. bei Acosta & Cash (2009), Handley und Kollegen (2004), Topcu (2003) und Mishori und Kollegen (2011) lesen.
Ein weiteres Problem für Darmpatienten
Doch damit nicht genug! Durch die Colon-Hydrotherapie kann ein bedeutender Pathomechanismus des Reizdarmsyndroms, aber auch von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn noch verstärkt werden. Es scheint nämlich tatsächlich so, dass Darmbakterien durch eine solche Darmreinigung "ausgespült" werden. Leider handelt es sich dabei nicht unbedingt um diejenigen, auf welche wohl die meisten von uns hoffen.
So zeigten Jalanka und Kollegen (2015), dass eine Darmreinigung vor einer Koloskopie die mikrobielle Gesamtheit um den Faktor 31(!) reduziert. Fast ein Viertel der Studienteilnehmer verlor durch diesen Vorgang ihre mikrobielle Subjektspezifität (also den genetischen Fingerabdruck der Darmflora). Drago und Kollegen (2016) führten dann aus, dass durch diese Veränderungen vor allem auch probiotische (die Gesundheit fördernde) Bakterien dauerhaft vermindert werden. So war die Anzahl der Laktobazillen auch einen Monat nach der Darmreinigung noch deutlich vermindert.
Beim Reizdarmsyndrom findet sich eine deutliche Verschiebung des Mikrobioms (der Darmflora) mit einer erheblich reduzierten Biodiversität (Artenvielfalt), welche um bis zu 25% weniger Bakterienarten zeigt. Die bakterielle Flora wird dabei von bestimmten fermentationsfreudigen und toxinbildenden Stämmen (Klebsiellen, Clostridien) dominiert, während probiotische Stämme (Laktobazillen, Bifidobakterien) nur noch marginal zu finden sind. Dies begünstigt die Veränderungen verdauungsspezifischer Parameter (Transit), der Schmerzwahrnehmung (Hypersensitivität) und die Ausbreitung von Pilzinfektionen. Sie erreichen also eventuell genau das Gegenteil von dem, was Sie mit einer Colon-Hydrotherapie eigentlich bezwecken wollen.
Fazit: Hände weg, so lange keine brauchbaren Daten vorliegen!
Fassen wir also noch einmal kurz zusammen. Im Gegensatz zur Ernährungsumstellung, zum Yoga oder auch der Meditation liegen für positive Wirkungen der Colon-Hydrotherapie beim Reizdarmsyndrom keinerlei kontrollierte Studien oder Fallsammlungen vor. Weiterhin wurden zahlreiche Nebenwirkungen beschrieben, welche von kleineren Unannehmlichkeiten (Bauchkrämpfe, Übelkeit) bis hin zu schwerwiegendsten Komplikationen (Infektion mit Clostridium difficile, Nierenversagen, Kreislaufkollaps durch Elektrolytverschiebungen) reichten. Die langfristige Wirkung auf die Darmflora ist noch nicht abschließend geklärt, wobei Hinweise vorliegen, dass sich die Mikrobiomverschiebung bei einigen Darmstörungen noch verschlimmern könnte.
In der Zusammenschau dieser Evidenz ist die Colon-Hydrotherapie aus meiner Sicht bisher keinesfalls zu empfehlen. Stecken Sie die gesparten Euro lieber in einige gute Bücher und hochwertige Lebensmittel!