Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich das erste Mal mit dem Thema Mastzellen konfrontiert wurde. Meine Diagnose lautete zu diesem Zeitpunkt noch "schwer ausgeprägtes Reizdarmsyndrom vom Durchfalltyp". Tatsächlich waren tägliche Durchfälle und Bauchkrämpfe meine Hauptsymptome und verwandelten meine Schul- und Studienzeit in einen einzigen Spießrutenlauf.
Obwohl mir damals alle konsultierten Ärzte - vom Hausarzt bis zum Professor in der Uniklinik - gebetsmühlenartig versicherten, es gäbe beim Reizdarm schlicht und ergreifend keine biologischen Veränderungen, an denen eine effektive Therapie ansetzen könnte, zeigten meine eigenen Recherchen in den wissenschaftlichen Datenbanken das genaue Gegenteil. Und hier spielten eben jene Mastzellen eine ganz herausragende Rolle!
So konnte etwa bereits in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zweifelsfrei dokumentiert werden, dass Patienten mit einem Reizdarmsyndrom eine gegenüber gesunden Kontrollpersonen deutliche Hyperplasie dieser Effektorzellen im Darmsystem zeigen (siehe etwa Read,1987 oder Weston et al.,1993). Ein Befund, der in den folgenden Jahrzehnten bestätigt und ausgebaut werden sollte.
Doch damit nicht genug! Denn frühzeitig zeigte sich auch das enorme Potenzial von Mastzellstabilisatoren und Histaminblockern bei der Reizdarm-Therapie (bspw. Grazioli et al.,1993).
Als sich schließlich weitere, systemische Symptome zu meinen Darmbeschwerden gesellten (Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung), stieß ich erstmals auf den Begriff Mastzellaktivierungssyndrom (kurz: MCAS). Damals, es muss um das Jahr 2010 gewesen sein, kursierte ein Fragebogen von Mastzellpionier Professor Molderings in den Selbsthilfe-Foren. Mein Testergebnis zeigte einen hohen Score und bescheinigte mir damit eine gewisse Wahrscheinlichkeit für diese Diagnose. Meine Internistin und mein Gastroenterologe konnten ihr Schmunzeln kaum verbergen, als ich mit meinen Zetteln und Wünschen nach weiterführender Diagnostik an ihren Schreibtischen saß. Zum Glück nahm ein Professor für Immunologie meine Recherchen ernster.
Fast Forward. Fünf Jahre später erhielt ich auf der Grundlage von umfassender Labordiagnostik und zahlreichen Biopsien in zwei auf MCAS spezialisierten Kliniken die Diagnosen Mastzellaktivierungssyndrom und mit diesem assoziierte Entzündungen von Speiseröhre, Magen und Dickdarm sowie einige weitere Organveränderungen. Kein Wunder also, dass es mir so schlecht ging ...
Auf was ich hinaus will: Ich führte fast 15 Jahre lang einen Kampf gegen Windmühlen. Da ich meine tatsächliche Diagnose nicht kannte, war die Treffergenauigkeit meiner Therapieversuche minimal. Und so geht es auch heute noch vielen Betroffenen, denn das Mastzellaktivierungssyndrom ist eine immer noch wenig bekannte und von vielen Ärzten marginalisierte Erkrankung. Damit den Patienten aber geholfen werden kann, braucht es für das Thema sensibilisierte Ärzte und eine gut informierte Öffentlichkeit. Erst als ich um meine überaktiven Mastzellen und Eosinophilen wusste, konnte ich die richtigen Strategien implementieren, um diese und damit auch meine Symptome dauerhaft zu befrieden.
Und hier kommt der MCAS Awareness Day ins Spiel!
MCAS Hope e.V. für eine stärkere Wahrnehmung von Mastzellerkrankungen
Der Verein MCAS Hope e.V. vertritt 400 Mitglieder und engagiert sich für eine stärkere Wahrnehmung der Mastzellerkrankungen im deutschsprachigen Raum. Erklärte Ziele des Vereins sind nicht nur die Bereitstellung von hilfreichen Informationen zu Diagnostik, Therapie und Lebensführung oder die Unterstützung neuer Forschungsprojekte, sondern auch das Erreichen eines eigenen deutschen ICD-Schlüssels für die Erkrankung.
Davon würden unzählige Betroffene profitieren. Obwohl die Prävalenz von Mastzellerkrankungen umstritten ist, beziffern einige Wissenschaftler diese auf bis zu 17% der Bevölkerung (etwa Molderings et al.,2013). Sorgen wir gemeinsam dafür, dass diese Menschen nicht mehr länger gegen Windmühlen kämpfen müssen und in die "Psycho-Ecke" abgeschoben werden können. Helft mit, den MCAS Awareness Day publik zu machen!
Mein persönlicher Dank geht heute an den Vorstand und alle Mitglieder des MCAS Hope e.V. Gute Arbeit, Mädels und Jungs. Weiter so!
Könntest auch Du unter einem Mastzellaktivierungssyndrom leiden?
Das MCAS ist meist durch eine Kombination eher unspezifischer systemischer Beschwerden charakterisiert, welche sich in der Regel nach der Provokation mit individuellen Triggerfaktoren (Hitze, Nahrungsmittelbestandteile, Stress, akute Infektionen, körperliche Belastungen etc.) einstellen. Hierzu gehören (nach Frieri et al.,2013):
- Nesselsucht
- Flush
- Übelkeit
- Erbrechen
- Bauchkrämpfe
- Durchfälle
- Herzrasen
- anfallsweise Hypotonie mit (Prä-)Synkopen
- verstopfte Nase
- Müdigkeit/Erschöpfung
- Kopfschmerzen
- multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Liegen bei dir mehrere dieser Symptome vor, ohne dass bisher ein Arzt deren Ursache klären konnte, könnte sich dahinter unter Umständen ein MCAS verbergen. Auf der oben verlinkten Seite des MCAS Hope e.V. findest du viele Ressourcen zu einer möglichen Diagnostik.
Noch ein Hinweis basierend auf meiner Kommunikation mit inzwischen hunderten von Betroffenen: Aufgrund der wenig spezifischen Beschwerden und der oft unauffälligen Basisuntersuchungen firmieren viele MCAS-Betroffene über Jahre unter einem Label wie ReizdarmSYNDROM, Fibromyalgie SYNDROM, Chronisches ErschöpfungsSYNDROM, Somatisierungsstörung etc. Gemeinsam ist diesen Labels ihre Bescheinigung via eines Symptomkomplexes, nicht anhand von Biomarkern oder strukturellen Befunden.
Insbesondere für Patienten mit diesen Erkrankungen kann das Abklären einer Mastzellüberaktivität oder -hyperplasie enorm hilfreich sein!
Alles Gute und passt auf euch auf!
euer Thomas
Abbildungsverzeichnis
Abb1: Mastzelle Teaser
Mast cells in bone marrow.jpg by Vortioexetine. Two mast cells in bone marrow at 1000x magnification after Wright staining.
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