Wie blickst du eigentlich auf die bisher verfügbaren Behandlungsoptionen beim Reizdarmsyndrom? Vielleicht denkst du ja das selbe wie ich: Das sieht nach einer ganzen Menge harter Arbeit aus! Es gilt FODMAPs zu zählen oder zu tracken, täglich Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken, regelmäßig ein darm-spezifisches Bewegungsprogramm zu absolvieren, mehrmals pro Jahr zu fasten ... Beschäftigt man sich etwas intensiver mit meinem Blog oder liest in Ruhe mein Buch, dann kann das schnell überfordern und sogar abschreckend wirken. Denn auch wenn diese und andere Empfehlungen auf gesicherter wissenschaftlicher Evidenz beruhen und nachweislich Reizdarmpatienten in die Remission (=Beschwerdefreiheit) führen können, muss es den Betroffenen erst einmal gelingen, diese in ihren Alltag zu integrieren und auch dauerhaft beizubehalten. Da ich inzwischen sehr viele Klienten auf ihrem Weg begleiten durfte, weiß ich allerdings, dass dies nicht allen von uns gut gelingt.
Aus diesem Grund freue ich mich heute ganz besonders, dir einmal eine neue Studie unter der Federführung der wunderbaren RDS-Expertin Dr. Heidi Staudacher vorzustellen. Diese zeigt eindrücklich, dass für einige RDS-Patienten bereits minimale Schritte genügen, um große Erfolge bei der Linderung der lästigen Bauchsymptome zu erzielen! Die heute präsentierte Behandlungsstrategie ist damit sozusagen die absolute Antithese zur kürzlich besprochenen Carnivore Diät und auch zur populären Low FODMAP Ernährung. Insbesondere für Betroffene mit eher moderaten Beschwerden, die möglichst wenig an ihrem gewohnten Lebensstil verändern möchten, könnte dies eine passende Option sein.
Legen wir also los!
Mediterrane Diät und Reizdarmsyndrom
Treue Leser wissen es natürlich: Ich bin ein absoluter Verfechter der mediterranen Ernährungsweise! Bereits frühzeitig habe ich beispielsweise empfohlen, die Low FODMAP Diät nach den Grundsätzen der mediterranen Ernährungsform zu gestalten, um die berichteten Risiken und Nebenwirkungen abzufedern und die kausale Wirkung etwa auf die Entzündungsprozesse zu verstärken. Inzwischen propagieren auch zahlreiche Forschergruppen eine solche Kombination aus FODMAP-Reduktion und Mittelmeer-Kost zur ursächlichen Linderung von RDS-Beschwerden (s.bspw. Kasti et al.,2022). Die Vorteile für den Reizdarm liegen quasi auf der Hand:
- Die mediterrane Ernährung lindert gastrointestinale Entzündungen. (Boneh et al.,2023)
- Sie kann eine bestehende Dysbiose der Darmflora rückgängig machen. (Garcia-Mantrana et al.,2018)
- Sie eliminiert durch ihre Naturbelassenheit viele der größten Treiber der Erkrankung. (Rinninella et al.,2020)
- Die Mittelmeer-Kost wirkt außerdem präventiv gegenüber unzähligen anderen Erkrankungen. (Guasch-Ferre´ & Willet,2021)
Kurzum: Die mediterrane Diät wirkt therapeutisch beim Reizdarmsyndrom und ist, im Gegensatz zur typischen (westlichen) Version einer Low FODMAP Diät, auch noch gesundheitsförderlich in jeder Hinsicht!
Die Mediterrane Ernährung ist das Gegenteil der Low FODMAP Diät - beide funktionieren!
Doch gerade die Popularität der Low FODMAP Ernährung hält viele Reizdarmpatienten davon ab, sich einer mediterranen Ernährung oder zumindest einer mediterranen Variante der FODMAP-Reduktion zuzuwenden. Und das ist durchaus schlüssig. Schließlich ist die klassische Mittelmeer-Kost das ganze Gegenteil einer FODMAP-Intervention und empfiehlt die Betonung von Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen, Gemüse und Obst in der täglichen Ernährung, anstatt diese Lebensmittelgruppen aufgrund ihres moderaten bis hohen Gehalts an fermentierbaren FODMAPs zu meiden.
Dabei wissen wir aus gleich mehreren Beobachtungsstudien, dass eine mediterrane Kost mit verminderten Reizdarmbeschwerden assoziiert ist (z.B. Zito et al.,2016). Doch wie immer bei Assoziationen stellte sich natürlich die Frage, ob die mediterrane Diät die gastrointestinalen Symptome tatsächlich verringert, oder lediglich mehr Menschen mit einer gesunden Verdauung entsprechend essen und eben etwa Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte tolerieren. Aber diese Frage konnte inzwischen durch kontrollierte Interventionsstudien beantwortet werden: Die mediterrane Ernährung lindert tatsächlich das Reizdarmsyndrom und braucht dabei einen Vergleich mit der Low FODMAP Diät oder der glutenfreien Kost nicht zu scheuen (Paduano et al.,2019). Der große Pluspunkt für die mediterrane Kost ist allerdings, dass die Probanden in den Studien die Ernährungsform als deutlich angenehmer und weniger in den Alltag einschneidend bewerteten.
Nun zeigte kürzlich eine neue Interventionsstudie, wie eine mediterrane(re) Ernährungsweise den Reizdarm beruhigen kann.
Wenig Aufwand, viel Erfolg: minimale Korrektur der Ernährungsgewohnheiten lindert den Reizdarm.
Dr. Staudacher und Kollegen rekrutierten für ihre randomisierte und kontrollierte Intervention 59 Reizdarmbetroffene nach den ROM-IV-Kriterien, welche zusätzlich unter milden bis moderaten psychischen Beschwerden litten. Die Probanden wurden per Zufall einer Interventionsgruppe oder einem Kontrollarm zugeordnet. Die Intervention bestand aus einer lediglich 20- bis 30-minütigen Beratung hinsichtlich einer mediterranen Ernährungsweise. Die Patienten wurden angeregt, diese Empfehlungen über die nächsten sechs Wochen umzusetzen.
Folgend erhältst du eine Übersicht über die zentralen Empfehlungen der Ernährungsberaterin:
Täglich zu verzehren:
- 5-8 Portionen Vollkorngetreide
- 3 Portionen Obst
- 6 Portionen Gemüse
- 60ml Olivenöl
- 2 Portionen Milchprodukte (z.B. 150g Joghurt und 30g Käse)
Wöchentlich zu verzehren:
- mindestens 6 Portionen Hülsenfrüchte
- maximal 6 Eier
- maximal 4 Portionen Geflügel (100-150g/Portion)
- mindestens 3 Portionen Nüsse (30g/Portion)
- mindestens 3 Portionen Fisch bzw. Meeresfrüchte
- 1 Portion rotes Fleisch
Als RDS-Betroffener bekommst du vom Studieren dieser Liste vielleicht schon Bauchgrummeln (täglich Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte plus Nüsse und jede Menge Gemüse). Doch die Ergebnisse der Interventionsgruppe sind fast durch die Reihe positiv!
So verbesserte sich der durchschnittliche Schweregradscore (IBS-SSS) der Interventionsgruppe innerhalb von nur sechs Wochen von 282 Punkten (ab 300 sprechen wir von einem schwer ausgeprägten Reizdarmsyndrom) auf 168 Punkte (entspricht der Kategorie "mildes Reizdarmsyndrom"). In der Kontrollgruppe verbesserte sich der IBS-SSS hingegen nicht-signifikant von 279 auf 260 Punkte (Staudacher et al.,2023). Mit der mediterraneren Ernährung berichteten die Probanden insbesondere Verbesserungen ihrer Bauchschmerzen und Blähungen.
Das Ausmaß der therapeutischen Effekte durch die "mediterrane Kost" braucht sich keinesfalls hinter jenem durch die Low FODMAP Diät zu verstecken (vgl. bspw. Staudacher et al.,2017).
Futterten die RDS-Probanden wirklich mediterran?
Neben den durchaus beeindruckenden Ergebnissen finde ich noch einen Nebenbefund dieser Untersuchung interessant. Sicher ist dir beim Lesen dieses Artikels aufgefallen, dass ich das Adjektiv mediterran oft in Anführungszeichen gesetzt oder von einer mediterraneren Ernährung gesprochen habe. Was hat es damit also auf sich?
Die Auswertung der Ernährungstagebücher und Telefonprotokolle zeigte, dass die Probanden keinesfalls eine tatsächliche Mittelmeer-Kost befolgt hatten. Sie waren mitunter weit von den oben aufgeführten Empfehlungen der Ernährungsberaterin entfernt!
Was haben die Patienten der Interventionsgruppe also wirklich geändert, um die oben beschriebenen symptomatischen Linderungen zu erreichen? Sagen wir einmal so: Ihr Aufwand hielt sich in Grenzen und steht in keinem Verhältnis zur doch recht einschränkenden FODMAP-Reduktion. Einige Kernpunkte:
- Die Probanden verzehrten etwas weniger Gesamtenergie (etwa 100 kcal weniger als die Kontrollgruppe).
- Dieses Defizit basierte hauptsächlich auf einer Reduktion der Kohlenhydrate (170g vs. 200g)
- Sie konsumierten mehr Fett aus einfach ungesättigten Fettsäuren (MUFA, Olivenöl).
- Die Interventionsgruppe verzehrte geringfügig mehr Ballaststoffe und FODMAPs (nicht-signifikant außer für Sorbit).
Insbesondere die Punkte 1 bis 3 decken sich hervorragend mit meinen Empfehlungen bezüglich einer mediterranen Low FODMAP Diät!
Herauszuheben ist in jedem Fall, dass die Mühen der Anwender sich, sagen wir es freundlich, in Grenzen hielten. Die Autoren bestätigen, dass sich die Scores zur Abschätzung der mediterranen Ernährung (hier MEDAS) gerade einmal um 2 magere Punkte verbesserten. Sie weisen allerdings auch darauf hin, dass eine solch marginale Veränderung auch bei der Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausreichend ist, um signifikante Effekte zu dokumentieren.
Auch die psychischen Beschwerden besserten sich
Eine besonders süße Kirsche auf der Torte waren außerdem die Auswirkungen der mediterraneren Kost auf die psychischen Symptome der Teilnehmer. Zur Erinnerung: Milde bis moderate Ängste oder Depressionen waren ein zusätzliches Auswahlkriterium der Studie.
Die Mittelmeer-Kost führte zu einer signifikanten Verminderung sowohl depressiver Symptome als auch von Angstbeschwerden und war dabei deutlich erfolgreicher als der Kontrollarm. Bereits in zahlreichen anderen Studien hatte die mediterrane Ernährung ihre antidepressiven und angstlösenden Effekte unter Beweis gestellt. In dieser Untersuchung entsprach eine größere Veränderung des MEDAS-Scores (sprich eine mediterranere Ernährung - bessere Umsetzung der obigen Ernährungsempfehlungen) einer stärkeren Verbesserung der psychischen Beschwerden.
Fazit: Manchmal ist auch der bequemste Weg zielführend
Ich möchte dir noch einmal kurz die Tragweite des heute vorgestellten Experiments vor Augen führen: 83% der Teilnehmer berichteten über nennenswerte Verbesserungen ihrer Reizdarmbeschwerden (im Mittel eine Verschiebung um eine Kategorie von moderat nach mild). Immerhin 62% zeigten darüber hinaus deutliche Reduktionen ihrer psychischen Symptome. Diese therapeutischen Effekte, die große Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten haben dürften, wurden durch minimale Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten erreicht. Es brauchte also keine teuren Testverfahren, keine Eliminationsdiäten, keine Yogaroutinen etc. Die Erfolgsformel lautete stattdessen: etwas sparsamer essen, ein bisschen mehr Olivenöl und dafür weniger Kohlenhydrate. Das reichte!
Gerade wenn du unter milden bis moderaten Beschwerden leiden solltest, möchte ich dich dazu ermuntern, ein solches Protokoll zur Linderung deines Reizdarms zu probieren. Es ist nicht nur effektiv bei der Besserung von Bauchschmerzen, Blähungen und psychischen Symptomen, sondern auch rundum darmgesund und präventiv gegenüber zahlreichen Zivilisationserkrankungen. Außerdem behebt es ein Problem, vor dem ich als Psychologe und RDS-Coach immer wieder kapitulieren muss: Die umfassendste Evidenz und der beste Therapieplan nützen nichts, wenn die Patienten nicht in der Lage sind, letzteren dauerhaft durchzuhalten. Genau das ist bei SCD, Low FODMAP und Co. nicht selten der Fall. Das gilt besonders, wenn der Leidensdruck nicht erheblich ist.
Es braucht also nicht für jeden und immer die schärfste Klinge. Manchmal reicht sogar schon ein Löffel voller Olivenöl. :)
Ich wünsche dir wie immer alles erdenklich Liebe und gute Besserung
dein Thomas
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Abbildungsverzeichnis
Abb1
Zito FP, Polese B, Vozzella L, Gala A, Genovese D, Verlezza V, Medugno F, Santini A, Barrea L, Cargiolli M, Andreozzi P, Sarnelli G, Cuomo R. Good adherence to mediterranean diet can prevent gastrointestinal symptoms: A survey from Southern Italy. World J Gastrointest Pharmacol Ther. 2016 Nov 6;7(4):564-571. doi: 10.4292/wjgpt.v7.i4.564. PMID: 27867690; PMCID: PMC5095576.
Abb2 + Abb3
Staudacher HM, Mahoney S, Canale K, Opie RS, Loughman A, So D, Beswick L, Hair C, Jacka FN. Clinical trial: A Mediterranean diet is feasible and improves gastrointestinal and psychological symptoms in irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther. 2024 Feb;59(4):492-503. doi: 10.1111/apt.17791. Epub 2023 Nov 15. PMID: 37969059.
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