"Sollte ich Milch und Milchprodukte in meine Ernährungsumstellung einbeziehen oder lieber nicht? Und wenn ja, welche?" ist eine der wohl häufigsten Fragen, die ich von Betroffenen mit einem Reizdarmsyndrom, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung oder auch einem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS/ME) gestellt bekomme. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich! Zum einen befeuern Mainstreammedien und vegane Lobbygruppen die inzwischen breit akzeptierte Annahme, der Konsum von Milchprodukten sei generell ungesund. Dieser fördere nicht nur Entzündungen, sondern erhöhe sogar das Risiko für Krebs und stehe damit dem Fleischverzehr in nichts nach. Auf der anderen Seite haben auch populäre und progressive Ernährungsansätze im Kontext der Darmsanierung wie die low-FODMAP-Diät (LFD), die histaminarme Kost (LHD) die Spezielle Kohlenhydratdiät (SCD), das GAPS-Protokoll (GAPS) und auch Autoimmun-Paleo (AIP) aus verschiedensten Gründen mindestens Berührungsängste, wenn es um das Thema Milchprodukte geht. So sind letztere kein Bestandteil der Paleodiäten, während die histaminarme Ernährung lediglich Frischmilchprodukte, die LFD hingegen nur fermentierte bzw. laktosefreie Milchprodukte vorsehen. SCD und GAPS wiederum empfehlen ebenfalls stark fermentierten Joghurt und Hartkäsesorten, aber erst auf fortgeschrittenen Stufen der Heilung des Darmsystems. Klingt recht kompliziert, oder?
Und das ist es tatsächlich! Aus diesem Grund kann ich auf die eingangs gestellte Frage auch keine kurze und allgemeingültige Antwort geben. So leid es mir auch tut! Deshalb habe ich mich entschlossen, den den ultimativen Milchprodukte-Artikel zu schreiben, welcher aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage folgenden Fragen auf den Grund gehen wird:
- Sind Milchprodukte wirklich ungesund?
- Begünstigen Milchprodukte tatsächlich Entzündungen oder erhöhen sogar das Risiko für Krebs?
- Sind Milchprodukte eigentlich problematisch für unsere Darmflora?
- Was kann Milch und Milchprodukte zu Triggern bei Reizdarm, Colitis, Crohn, CFS/ME und Co. machen?
- Wann und wie sollte man Milchprodukte in seine Diät integrieren?
Du siehst, wir haben uns für heute so einiges vorgenommen. Fangen wir am besten gleich an!
Inhaltsverzeichnis: Milch und Reizdarm, CFS/ME & Co.
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Sind Milchprodukte wirklich generell ungesund? Eine evolutionäre Betrachtung.
- Erhöht der Milchkonsum die allgemeine Sterblichkeit bzw. verkürzen Milchprodukte deine Lebenserwartung?
- Sind Milchprodukte ungesund für das Herz-Kreislauf-System?
- Erhöht der Verzehr von Milchprodukten das Krebsrisiko?
- Verstärkt der Konsum von Milch und Milchprodukten Entzündungsprozesse (etwa im Rahmen chronisch-entzündlicher Erkrankungen)?
- Sind Milchprodukte immer mit Antibiotika-, Hormon- und Pestizidrückständen belastet?
- Wie wirkt sich der Milchkonsum auf die Zusammensetzung und Artenvielfalt der Darmflora aus?
- Milch und Milchprodukte und allgemeine Gesundheitsfaktoren - ein Fazit.
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Warum verhält es sich bei Reizdarm, Crohn & Colitis, CFS/ME etc. gänzlich anders mit dem Milchkonsum?
- Milchprodukte, Dysbiose und häufigere Laktoseintoleranz
- Milchprodukte, Dysbiose und häufigere Histaminintoleranz bzw. Diaminoxidase-Mangel
- Dysbiose, Leaky Gut Syndrom und erhebliche Immunogenität von Milchproteinen (TypI- und TypIV-Allergien, lokale Reaktionen auf der Darmschleimhaut)
- Milch und Milchprodukte und Reizdarm, CED, CFS/ME usw. - ein Fazit.
- Heildiäten (SCD, GAPS, Paleo ...) und Milchprodukte: Wie sollte man am besten vorgehen?
Sind Milch und Milchprodukte generell ungesund? Milch und Evolution.
Folgen wir den Hypothesen der Paleodiät (Steinzeiternährung) bzw. evolutionären Medizin, hat sich der menschliche Organismus in über vier Millionen Jahren an eine spezifische artgerechte Kost angepasst. Der Mensch ist demnach ein auf Fleisch spezialisierter Allesfresser, wofür zahlreiche strukturelle Merkmale sprechen (Verhältnis der Darmabschnitte untereinander, ein Magen-pH-Wert, welcher jenem von Carnivoren und Aasfressern entspricht etc.)[1]. Richtet der moderne Mensch nun seinen Lebensstil nach den bekannten evolutionären Prinzipien aus (= lebt artgerecht, nicht nur was die Ernährung betrifft), kann er den Zustand der gesundheitlichen Homöostase leichter aufrechterhalten oder wieder erreichen. Weicht er jedoch zu weit von den Gesetzen der Natur und der Evolution ab, sind Krankheiten, frühzeitiger Verfall und verminderte körperliche und psychische Widerstandskraft die unschönen Folgen. So weit zumindest die Theorie.
Im Gegensatz zum Fleisch ihrer Beutetiere nutzen Menschen die Milch anderer Säugetiere erst seit kurzer Zeit, vermutlich seit ca. 8.500 Jahren, wobei direkte Hinweise bisher für die Bronzezeit (3.000 v.Chr.) vorliegen[2]. Aus diesem Grund unterstellt die evolutionäre Medizin (wie auch beim Getreide) eine fehlende evolutionäre Anpassung der menschlichen Physiologie an den Milchkonsum, weshalb die allermeisten Paleoprotokolle Milch und auch Milchprodukte ausschließen.
Doch ist diese Annahme wirklich stimmig? Schließlich finden sich bereits innerhalb dieser kurzen Zeitspanne (und im Gegensatz zum Getreideverzehr) maßgebliche Anpassungsleistungen des menschlichen Organismus, etwa das Fortbestehen der Produktion des den Milchzucker (Laktose) in Schleimzucker und Traubenzucker spaltenden Enzyms Laktase, welche ansonsten nach dem Abstillen von Säuglingen mit der Zeit zum Erliegen käme[3]. Während die Forscher ehemals annahmen, die fortbestehende Laktase-Produktion erkläre sich aus einem Zusammenwirken aus Genen, Kultur und evolutionärer Anpassung, stellen viele widersprüchliche Befunde diese Theorie infrage. So ist die Produktion des Enzyms, welche für die Spaltung und Verträglichkeit des Milchzuckers maßgeblich ist (Laktosemalabsorption bzw. Laktoseintoleranz), wider Erwarten in zentralasiatischen Hirtenstämmen gering, während die in einigen afrikanischen traditionell lebenden Jägerkulturen stark ausgeprägt ist.
Warum erfolgte also die evolutionäre Anpassung mit einer starken Selektivität in so kurzer Zeit? Eine bedeutende Rolle bei dieser Entwicklung scheinen in jedem Fall die Erweiterung des diätetischen Spektrums und die Möglichkeit, Traubenzucker aus Milch zu gewinnen, zu spielen. Dabei sind diese Faktoren aber vor allem durch Umweltvariablen moderiert worden. Zum Beispiel trinken einige Kulturen fast ausschließlich Frischmilch, während andere aufgrund klimatischer und anderer Bedingungen hauptsächlich fermentierte Milchprodukte konsumieren. Auf jeden Fall sollten wir die Frage aufwerfen, ob aufgrund dieser Datenlage Milch in die selbe Kategorie gepackt werden sollte wie das mit Antinährstoffen vollgepackte Getreide.
Wenn Paleovertreter und Veganer ausnahmsweise mal einer Meinung sind und einen gemeinsamen Sündenbock für Krankheit und Verfall ausgemacht zu haben scheinen, sollten wir Skeptiker hellhörig werden. Dass die Paleohypothese nicht unbedingt auf den Milchkonsum anwendbar ist, habe ich eben versucht aufzuzeigen. Schauen wir uns als nächstes einmal an, ob sich epidemiologische Hinweise dafür finden lassen, dass Milchprodukte ungesund sind. Gehen wir dabei am besten in einer geordneten Hierarchie vor, von allgemein zu spezifisch.
1. Erhöhen Milchprodukte die allgemeine Sterblichkeit bzw. verkürzen sie deine Lebenserwartung?
2. Sind Milchprodukte ungesund für dein Herz?
3. Steigt dein persönliches Risiko für Krebs, wenn du Milchprodukte verzehrst?
Der Mechanismus hinter dem gesteigerten Risiko für Prostatakarzinome ist noch weitgehend ungeklärt. Erste Spekulationen, welche diese Assoziation mit einem gesteigerten Kalziumspiegel in Zusammenhang brachten, wurden entkräftet, nachdem gezeigt werden konnte, dass dies nicht für eine vermehrte Kalziumzufuhr via Supplemente oder aus anderen Nahrungsquellen gilt[7].
4. Verstärken Milchprodukte Entzündungen im Körper?
Auch zu diesem Thema liegen uns natürlich Daten vor. Und im Gegensatz zu den vorangegangenen Korrelationen, welche sich hauptsächlich auf epidemiologische Erhebungen stützten, handelt es sich hierbei um Evidenz der höchsten Qualitätsstufe. So aggregiert eine Metaanalyse aus dem Jahr 2020 die Ergebnisse aus 11 Interventionsstudien (randomisierte kontrollierte Studien=RCTs), welche den Einfluss einer milchproduktreichen Ernährung gegenüber einer milchproduktarmen oder -freien Kost auf verschiedene entzündliche Parameter untersuchten[8]. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung verminderte der Konsum von Milchprodukten entzündliche Biomarker wie CRP, TNF-alpha oder IL6 signifikant, wirkte also antientzündlich.
5. Aber was ist mit den Hormonen, Pestiziden und Antibiotikarückständen in der Milch?
Das herausstechende Merkmal der vorliegenden Untersuchungen zu diesem Themenkomplex ist, dass sinnvollerweise zwischen konventioneller Tierhaltung und -fütterung und ökologischer Landwirtschaft differenziert wird (was natürlich auch bei den vorab behandelten Punkten interessant und sicher auch relevant für die Ergebnisse gewesen wäre). In einer Studie aus dem Jahr 2019 zeigten bis zu 60% der getesteten Milchsorten aus konventioneller Milchproduktion Rückstände von Antibiotika und Pestiziden, wobei mehrfach geltende staatliche Grenzwerte überschritten wurden[10]. In keiner einzigen getesteten BIO-Milch wurden entsprechende Rückstände gefunden. Die getesteten Hormone in der Milch (bGH und IGF1) lagen in konventionellen Produkten 23 mal höher als in den BIO-Varianten, was auf den massiven Einsatz synthetischer Wachstumshormone schließen lässt.
Beim Thema Pestizide, Antibiotika und Hormone bleibt mir also nur, auf meine ohnehin oft verkündete Meinung zu verweisen, schon aus Gründen des Tier- und Klimaschutzes auf BIO-Produkte aus regenerativer Landwirtschaft zu setzen. Auch deine Gesundheit profitiert von diesem Schritt!
6. Wirkt sich der Konsum vonsum von Milchprodukten negativ auf deine Darmflora aus?
- Das Verhältnis von probiotischen (=die Gesundheit des Wirtes fördernden) Mikroorganismen und pathogenen bzw. potenziell pathogenen Keimen; überwiegen Vertreter der letzten beiden Kategorien, wird häufig von einer Dysbiose gesprochen.
- Der Artenreichtum (gastrointestinale Biodiversität) deiner Darmflora entscheidet über deren Stabilität gegenüber Störfaktoren und ihre Entzündungsneigung. Eine verminderte Biodiversität ist sowohl mit dem Reizdarmsyndrom, den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, aber auch Depressionen und vielen anderen chronischen Erkrankungen assoziiert.
Ein systematisches Review aus dem Jahr 2020 widmet sich dem Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Milchprodukten und beiden genannten Variablen[17]. Der regelmäßige Konsum von Milchprodukten war generell nicht mit ungünstigen Veränderungen der Darmflora assoziiert. Milch und fermentierte Milchprodukte (Joghurt, Kefir) vermehrten sogar probiotische Gattungen wie Laktobazillen und Bifidobakterien, während sie die Anzahl pathogener Keime reduzierten - sie verbesserten also die Qualität des Mikrobioms. Weiterhin wurden zusammenfassend keine negativen Auswirkungen auf die Biodiversität berichtet.
Fazit: Milch und Gesundheit allgemein
- Kein Zusammenhang zwischen Milchprodukten und allgemeiner Sterblichkeit, fermentierte Milchprodukte sind sogar mit verminderter allgemeiner Sterblichkeit assoziiert
- Milchkonsum ist mit einem verminderten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden, Milchprodukte haben keine Auswirkung auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, koronare Herzerkrankungen oder Schlaganfall
- Keinerlei Zusammenhang zwischen Milch(produkt)konsum und Krebsrisiko bzw. -sterblichkeit (einzige signifikante Ausnahme: Prostatakrebs bei ungeklärtem Mechanismus)
- Milchprodukte wirken in vielen Interventionsstudien entzündungshemmend
- In BIO-Milch sind keine Antibiotika- und Pestizidrückstände nachweisbar, keine Hinweise auf den Einsatz synthetischer Hormone
- Milch und einige fermentierte Milchprodukte verbessern die Qualität der Darmflora, während der Konsum von Milchprodukten allgemein keine negativen Auswirkungen für das Mikrobiom hat
Es handelt sich bei Milch und Milchprodukten also um ein nährstoffreiches, entzündungshemmendes, probiotisches Lebensmittel, welches mit günstigen Korrelationen bezüglich Herzgesundheit und allgemeiner Sterblichkeit aufwarten kann. Würden die veganen Lobbygruppen epidemiologische Untersuchungen so ernst nehmen, wie sie dies bei rotem Fleisch tun, dann müssten sie konsequenterweise den Verzehr zumindest fermentierter Milchprodukte wärmsten Herzens empfehlen ... aber Evidenz muss eben in die eigene Agenda passen. Doch auch die Paleohypothese ist hier zumindest brüchig geworden, denn schließlich sollte ein Verzehr nicht-artgerechter Kost zu negativen Konsequenzen führen, was aber augenscheinlich nicht der Fall ist. Dass an den Paradigmen der evolutionären Medizin zum Thema Milch aber dennoch etwas dran sein könnte, könnten Befunde zur vermehrten Immunogenität des menschlichen Körpers gegenüber Milchproteinen nahelegen.
Sind Milch und Milchprodukte problematisch bei Autoimmunerkrankungen, Reizdarm, CFS/ME und Co?
1. Milch und viele Milchprodukte enthalten Laktose (Milchzucker), viele Betroffene mit chronischen Darmerkrankungen sind laktoseintolerant
Unabhängig vom Trigger bei der Laktoseintoleranz fungiert der Milchzucker auch als FODMAP. Dieses Akronym steht für "Fermentable Oligo-, Di-, Monosaccharides and Polyols", eine Gruppe kurzkettiger, schwer verdaulicher und vor allem fermentierbarer Kohlenhydrate. Patienten mit CEDs[13], Reizdarm[14] oder auch Fibromyalgie[15] haben nachweislich Schwierigkeiten bei der Verdauung dieser Kohlenhydratgruppen und leiden bei deren Verzehr unter Beschwerden wie Blähungen und Bauchschmerzen. Obwohl Milchzucker neben Fruktanen, Fruchtzucker, Galaktooligosacchariden und anderen nur ein problematisches Kohlenhydrat von mehreren ist, haben FODMAPs die Eigenschaft, ihre Wirkung zu potenzieren[16]. Milchzucker kann also auch ohne das Vorliegen einer Laktosemalabsorption bzw. Laktoseintoleranz (welche bei RDS und Co. ohnehin häufig ist) zum Problem werden, indem sie die fermentierbare Last erhöht und dazu beitragen kann, deine individuelle Toleranz gegenüber FODMAP-reichen Lebensmitteln zu überschreiten.
Du glaubst, wir könnten diese beiden aufgezeigten Probleme mit Milch und Milchprodukten schnell beheben, indem wir einfach auf laktosefreie Produkte setzen? Aber nur in der besten aller anzunehmenden Welten, mein Freund ...
2. Viele Milchprodukte enthalten große Mengen Histamin
Weiter verstärkt wird die Histaminproblematik durch die Aktivität des Enzyms Diaminoxidase (DAO), welche hauptsächlich für den Abbau des entzündlichen biogenen Amins verantwortlich ist. Sowohl bei Subgruppen des Reizdarmsyndroms[20] als auch bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen[21] ist die DAO-Aktivität signifikant ungünstig verändert. Diese Betroffenen haben also eine deutlich verminderte Toleranz gegenüber aus der Nahrung aufgenommenem Histamin - eine durch ihre Erkrankung erzeugte sekundäre Histaminintoleranz (HIT).
Nun gut, wirst du jetzt vielleicht etwas resigniert mit den Schultern zucken. Möchten wir also den Laktose- UND den Histamin-Stolperdraht umgehen, dann bleiben uns wenigstens noch mit Laktase behandelte Frischmilchprodukte wie Quark und Joghurt ... Zu früh gefreut!
3. Milchproteine gehören zu den verbreitetsten Allergenen und prpvozieren besonders Reaktionen bei Reizdarm, Crohn, CFS/ME etc.
- Kasein
- Lactoglobulin
- Lactalbumin
Besonders Lactoglobulin und Lactalbumin gehören (meist in Kombination) zu den häufigsten Triggern von Lebensmittelallergien[22], wobei sowohl IgE-vermittelte Reaktionen (TypI, Sofortreaktion), nicht-IgE-vermittelte Reaktionen (z.B. TypIV, Langzeitreaktion) und auch Mischtypen bekannt sind. Wir befinden uns nun also im Bereich der immunologisch vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeit.
Bereits in der Allgemeinbevölkerung ist eine IgE-vermittelte Allergie gegenüber Milchproteinen recht häufig. In verschiedenen Metaanalysen erreicht ihre Prävalenz bis zu 17% (Selbstbericht) bzw. 9% (sIgE), wobei die Verbreitung zwischen den Altersgruppen schwankt[23]. Du hast also ohnehin ein gewisses Risiko (etwa 1/10), von einer Kuhmilchallergie betroffen zu sein. Doch diese Wahrscheinlichkeit erhöht sich noch einmal deutlich, solltest du unter einer Erkrankung wie dem Reizdarm, einer CED oder auch dem Chronischen Erschöpfungssyndrom leiden[24]. Studien, welche spezifisches fäkales Immunglobulin E als Marker für eine Sensibilisierung gegenüber Lebensmitteln nutzen, berichten eine Betroffenenquote von knapp 20%[25].
Noch typischer für das auf dem Blog besprochene Krankheitsspektrum sind aber immunologische Langzeitreaktionen, welche etwa durch IgG-Testpanels oder aber den verwertbareren Lymphozyten-Transformations-Test (LTT) nachgewiesen werden können. Milch und Milchprodukte zählen in diesem Kontext, neben Hefe und Weizen, zu den häufigsten Triggerproteinen. Bis zu 85% der RDS-Patienten zeigen in diesen Tests positive Reaktionsmuster bezüglich des Milchproduktekonsums[26]. Nun werden die angesprochenen IgG-Tests (im Gegensatz zum anerkannten IgE-Screening) von vielen Ärzten und Gastroenterologen sehr kritisch bewertet, da das Wirkprinzip der Langzeitreaktionen (noch) nicht vollständig erklärbar ist. Vielversprechende Interventionsstudien legen aber nahe, dass auch diese Form einer Immunreaktion große Relevanz hat und vor allem auch für symptomatische Fortschritte genutzt werden kann. So betrug der Unterschied zwischen einer Scheindiät und einer Interventionsdiät, die auf den Ergebnissen eines IgG-Tests beruhte, für Reizdarmbetroffene über 100 Punkte auf dem Severity Symptom Score. Ein Plazeboeffekt ist aufgrund der Kontrollgruppe und der signifikanten hohen Differenz sehr unwahrscheinlich, wobei ein Testlauf mit einer FODMAP-Kontrollgruppe hochinteressant wäre ...
Spezifisch für Patienten mit ausgeprägter Darmsymptomatik möchte ich eine weitere denkbare Option nicht unerwähnt lassen: die weitestgehend isolierte gastrointestinale Allergie (oft allergische Colitis). Wir sprechen hierbei von einer lokalen allergischen Reaktion des Darmgewebes gegenüber Lebensmittelproteinen, welche nicht über die herkömmlich verwendeten Blut- und Hauttests nachgewiesen werden können, sondern lediglich endoskopisch via beispielsweise segmentaler Darmlavage[27]. Diese lokalen Reaktionen sind ebenfalls weit verbreitet und Milchproteine gehören (gemittelt über die drei Darmabschnitte) wieder zu den Haupttriggern bei Patienten mit chronischen Darmerkrankungen (Prävalenz bis zu 30%).
Fassen wir diese Befunde zu Milchproteinen als weit verbreiteten Allergenen also gedanklich zusammen, bleibt uns nur festzustellen, dass Milch und Milchprodukte über eine sehr hohe Immunogenität verfügen, welche sich im Rahmen von Reizdarm, CED, CFS/ME und Co. noch weiter verstärkt. Dabei schwanken die Risikowahrscheinlichkeiten zwischen 20% (IgE), 30% (lokale Sensibilisierung) und 80% (IgG/LTT). Wie aber lassen sich diese Befunde mit den weiter oben berichteten epidemiologischen Daten in Einklang bringen? Diese Diskrepanz hängt vermutlich mit einem Schlüsselfaktor in der Pathophysiologie unserer Erkrankungen zusammen: der erhöhten gastrointestinalen Permeabilität (Leaky Gut Syndrom). Ist deine Darmbarriere geschwächt, kommen Nahrungsproteine verstärkt in Kontakt mit dem Immunsystem, was zu einer erhöhten Sensibilisierung gegenüber den Bestandteilen dieser Nahrungsmittel führt[28]. Lange Zeit wurde versucht, die beobachtete Korrelation zwischen Leaky Gut und Lebensmittelallergie dadurch zu erklären, dass entzündliche Botenstoffe aus Mastzellen in Reaktion auf die verzehrten Allergene die Darmbarriere schwächen würden. Allerdings lässt sich die gesteigerte Durchlässigkeit der Barriere auch bei Personen mit Nahrungsmittelallergien nachweisen, welche eine strenge, vollständig allergenfreie Diät befolgen[29]. Das Leaky Gut Syndrom bzw. die gestörte Darmbarriere ist nun wiederum ein Hauptkrankheitsmechanismus beim Reizdarmsyndrom[30], der Fibromyalgie[31], dem Chronischen Erschöpfungssyndrom[32], der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen[32] und des Mastzellaktivierungssyndroms bzw. der Histaminintoleranz[33]. Es sollte also einleuchten, warum Lebensmittelallergien im Allgemeinen und ihre Hauptvertreter wie Milchproteine im Speziellen bei unseren Erkrankungen häufiger zu beobachten sind.
Das enorme immunogene Potenzial der Milchproteine passt nun übrigens wieder ganz hervorragend zur Idee hinter der Paleohypothese ...
Milch und Milchprodukte bei Reizdarm, Crohn, Fibro etc. - ein Fazit
Heildiäten für den Darm und Milchprodukte: Wie solltest du am besten vorgehen?
- ausgiebige (Labor-)Diagnostik
- logisches praktisches Austesten
Generell solltest du auch erst einmal hinterfragen, warum du überhaupt auf Milchprodukte zurückgreifen möchtest. Geht es dir um eine bessere Lebensqualität, eine Erweiterung deines Speiseplans zu Genusszwecken? Mir liegt absolut fern, deine Motive infrage zu stellen, aber ich möchte hier auch betonen, dass Milchprodukte auch nicht unbedingt notwendig sind, um sich gesund und vollwertig zu ernähren. Wir Menschen haben Millionen Jahre ohne den Milchkonsum gelebt und können dies auch heute problemlos tun ... Zumindest würdest du so automatisch alle vermeintlich mit ihnen verbundenen Nachteile umschiffen.
Ungeachtet deiner Antwort auf die obige Frage, möchte ich nun zuerst auf die mögliche und sinnvolle Labordiagnostik eingehen, da ich diesen Ansatz für den überlegeneren halte. Da ich schon viele Ernährungsumstellungen begleiten durfte, kenne ich die Schwierigkeiten des praktischen Ansatzes zur Genüge (Nozebo- und Plazeboeffekt, externen Störvariablen wie Stress, Hitze, Supplemente usw.), welche das kausale Ein- und Zuordnen auftretender Symptome fast unmöglich machen.
Diagnostik zum Ausschluss von Milchunverträglichkeiten
Als Betroffener einer chronischen Erkrankung mit Darmbezug hast du vermutlich bereits viele Tests über dich ergehen lassen müssen und kannst deshalb wohl schon einige Querverbindungen ausschließen. Dennoch möchte ich dir ein paar Untersuchungen mit besonderem Bezug zur Milchunverträglichkeit ans Herz legen. Die allermeisten davon kannst du bequem von zuhause aus oder kostenfrei über deinen Arzt durchführen lassen, egal ob Atemgastest oder Histaminbestimmung.
1. Laktoseintoleranz bzw. FODMAP-Unverträglichkeit
Natürlich sollte eine Laktoseintoleranz ausgeschlossen werden, wenn du laktosehaltige Milchprodukte in deine Ernährung einbeziehen möchtest. Hierzu eignen sich besonders Laktose-Atemgastests, welche die Fermentation nicht-absorbierten Milchzuckers anhand der Fermentationsendprodukte (Wasserstoff) in der Atemluft bestimmen. Die Tests sind also nicht-invasiv und werden von den Krankenkassen erstattet. Sprich einfach deinen Gastroenterologen darauf an!
Weiterhin würde ich bezüglich des Milchzuckers empfehlen, eine Dünndarmfehlbesiedlung auszuschließen, welche die Verarbeitung von Kohlenhydraten stark beeinträchtigen kann. Oft bestehen eine Milchzucker- oder Fruchtzuckermalabsorption aufgrund einer Dünndarmfehlbesiedlung. Nach einer entsprechenden Therapie verschwinden diese Kohlenhydratunverträglichkeiten oft vollständig. Viele Gastroenterologen stehen inzwischen auch der Diagnostik der Dünndarmdysbiose offen gegenüber, doch dabei sind einige Dinge zu beachten. Das Unternehmen Dr. Gut bietet einen qualitativ hochwertigen Test für zuhause an, der in vielen Punkten selbst den Analysen beim Arzt überlegen ist (enge Messzeitpunkte, Messung von Methan und H2, CO2-Kontrolle etc.). Mit dem Rabattcode "heroes" sparst du übrigens noch einmal 10€. Egal ob beim Arzt oder von zuhause aus diagnostiziert - eine eventuell bestehende Dünndarmfehlbesiedlung sollte in jedem Fall behandelt werden, bevor du Milch und Milchprodukte in deine Ernährung integrierst!
2. Histaminintoleranz bzw. DAO-Mangel
Zum Ausschluss einer Histaminintoleranz empfehle ich ebenfalls zwei verschiedene Verfahren. Dies ist zum einen die Bestimmung der Aktivität des histaminabbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO). Zu diesem Zweck muss dir Blut abgenommen werden, weshalb du dich an einen Arzt oder Heilpraktiker deines Vertrauens wenden solltest.
Eine nicht-invasive Methode wäre die Erhebung der Histaminkonzentrationen lokal im Darm nach histaminarmer Kost. Dadurch erfährst du, ob du evtl. ein Problem mit dem Histaminabbau bzw. dessen Akkumulation im Verdauungstrakt hast. Das Labor medivere:diagnostics bietet einen unkomplizierten Stuhltest für zuhause an.
3. Immunologische Reaktionen bzw. Nahrungsmittelallergie
Bleiben uns noch die vielfältigen allergischen bzw. immunologischen Reaktionen. Ein Bluttest bzgl. Sofortreaktionen gegenüber Nahrungsmittelproteinen (Immunglobulin-E-vermittelt) bildet dabei die absolute Grundlage. Sollte dein Immunologe oder Allergologe diesen nicht veranlassen wollen, kannst du ihn bequem vom heimischen Sofa via Kapillarblut aus der Fingerkuppe durchführen lassen. Neben Milch und Kasein werden auch Reaktionen auf weitere relevante Allergene (z.B. Eiklar, Weizen etc.) getestet.
Beim Austesten der Langzeitreaktionen wird es etwas komplexer. Ich persönlich verlasse mich auf den Lymphozyten-Transformations-Test (LTT), welcher verlässlich eine nicht-IgE-vermittelte Sensibilisierung des Immunsystems gegenüber spezifischen Nahrungsmitteln aufzeigen kann. Zu beziehen ist ein entsprechendes Testkit bspw. über das Institut für Medizinische Diagnostik Berlin (IMD). Zur Durchführung benötigst du allerdings einen Arzt vor Ort, welcher dir das Blut entnimmt und einen Termin mit dem Kurierservice des IMD vereinbart. Der LTT kann als Panel oder aber auch bezüglich Einzelproteinen durchgeführt werden (was deutlich preisgünstiger ist).
Als letzte Option stünde noch eine segmentale gastrointestinale Lavage auf dem Programm. Diese kann beispielsweise im Waldkrankenhaus Erlangen (Professor Dr. Raithel als Spezialist für Mastzellerkrankungen) durchgeführt werden. Sie erfordert allerdings eine Darmspiegelung.
Müsste ich aufgrund monetärer Ressourcen eine Auswahl für eine Basisdiagnostik zur Entscheidungsfindung bzgl. Milch und Milchprodukten treffen, würde ich mich am ehesten für den Laktose-Atemgastest, die Diaminoxidase, sowie das spezifische IgE entscheiden.
praktisches Austesten der Milchverträglichkeit - Milchprodukthierarchie
- Ghee
- Butter, geringere Mengen Schlagsahne (meist unproblematisch)
- kleinere Mengen laktosefreier Mozzarella, Frischkäse, Hüttenkäse, Quark (Nicht SCD-konform! Bei FODMAP oder liberaler Auslegung der SCD.)
- SCD-Joghurt
- Hartkäsesorten, Histaminbomben wie Parmesan etc.
- Milchkefir (oft problematisch wegen Hefe
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Literaturverzeichnis
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