In meinem Buch "Dein Reizdarm IST heilbar!" (humboldt,2022) beschreibe ich sehr ausführlich und anhand vieler wissenschaftlicher Untersuchungen, warum der Genuss von Kaffee beim Reizdarmsyndrom oft problematisch ist. So zeigen etwa epidemiologische Analysen, dass bereits der Konsum einer einzigen Tasse des Heißgetränks pro Woche(!) das Risiko für eine Reizdarm-Diagnose signifikant erhöht (Koochakpoor et al.,2021). Es besteht außerdem ein Dosis-Wirkungs-Prinzip: Je stärker der Kaffee-Genuss, desto mehr steigt diese Wahrscheinlichkeit für die Diagnose. Bei Frauen zeigt sich dieser Zusammenhang sehr viel deutlicher als bei Männern. Welche Mechanismen für diese negativen Auswirkungen auf den Darmtrakt verantwortlich sind, kannst du gern in meinem Buch nachlesen.
Aha, erwischt! Wieder einmal einer dieser Kaffee-Bashing-Artikel. Fällt denn diesem Kerl nichts neues mehr ein? Muss er noch einmal auf diesen längst halb tot geprügelten Gaul aufsatteln?
Nein, das muss ich tatsächlich nicht. Allerdings weiß ich durch meine Klienten mit Reizdarmsyndrom oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, dass der Aufruf zum zeitweiligen Verzicht auf Kaffee und andere koffeinhaltige Getränke meistens keine nachhaltigen Früchte trägt. Kaffee ist inzwischen so in unsere moderne westliche Kultur verwoben, dass meine Patientinnen und Patienten lieber Fermentations-Punkte zählen und Lebensmittelportionen nach FODMAP-Gehalt abwiegen, anstatt auf ihre Tasse(n) mit dem schwarzen Muntermacher zu verzichten. Und zu meiner Schande muss ich gestehen: Auch ich liebe Kaffee sehr und trinke diesen manchmal selbst dann, wenn mir mein Körper signalisiert, dass ich lieber die Finger davon lassen sollte ...
Neben uns Kaffee-Liebhabern mit Reizdarm, CFS/ME, Colitis und Co., denen eine Abstinenz schwerfällt, existieren natürlich noch viel mehr Patienten, die absolut kein Problem im Kaffee-Genuss sehen. Weder scheint das von allen geliebte Heißgetränk ihre Beschwerden zu verschlimmern, noch haben sie das Gefühl, dass das Koffein im Kaffee ihren Schlaf verschlechtert.
Genau für diese beiden Kategorien von Betroffenen ist der heutige Artikel geschrieben! Es geht in diesem nämlich nicht darum, ob du Kaffee trinkst oder nicht, sondern darum, wann du diesen genießen solltest. Oder genauer: Wann nicht.
Trinkst du deinen Kaffee regelmäßig nach 22:00 Uhr? Ich glaube schon!
Eine nachmittägliche Kaffee-Pause gehört heute zum Standard-Aufgebot in vielen Familien, aber auch in vielen Büros, Kliniken und anderen Arbeitsstätten. Das Heißgetränk hat sich dabei so stark etabliert, dass die Zwischenmahlzeit zwischen Mittagessen und Abendbrot als "Kaffeetrinken", "Kaffeejause" oder "Kaffeetafel" bezeichnet wird. Klingt nach Gemütlichkeit und Entspannung nach getaner Arbeit, richtig? Was sollte also falsch daran sein?
Zuerst einmal solltest du wissen, dass Koffein, das psychotrope Stimulans in Kaffee und anderen Genussmitteln, über eine Halbwertszeit von 1,5 bis 9,5 Stunden verfügt (Somani & Gupta,1988). Die durchschnittliche Halbwertszeit beträgt sechs Stunden. Letzteres bedeutet, dass dein Körper in der Regel ein ganzes Tagesviertel benötigt, um lediglich die Hälfte(!) des zugeführten Koffeins wieder abzubauen. Verschiedene körperliche und externe Faktoren haben einen Einfluss darauf, wie schnell das Stimulans von deinem Körper verstoffwechselt werden kann. Genetische Prädispositionen können beispielsweise dafür verantwortlich sein, dass sich die Halbwerstzeit noch einmal deutlich erhöht, Entzugssymptome bei Koffeinverzicht deutlich häufiger und heftiger auftreten, der Kaffeegenuss regelmäßig mit Nervosität und Ängsten einhergeht und die negativen Auswirkungen auf den Schlaf stärker ausfallen (Yang et al.,2010). Häufiger noch dürfte die Halbwertszeit negativ durch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten beeinflusst werden. So ist seit Ewigkeiten gut bekannt, dass die Antibabypille die Halbwertszeit auf durchschnittlich acht Stunden erhöht (z.B. Abernethy & Todd,1985). Wurdest du als Leserin dieses Blogs diesbezüglich in aller Deutlichkeit von deinem Frauenarzt aufgeklärt?
Nehmen wir einmal an, du schlürftest 15:00 Uhr mit deinen Kolleginnen und Kollegen noch zwei Tässchen Kaffee, bevor ihr euch den letzten Stunden eures Arbeitstages widmet. Bist du ein durchschnittlicher Koffein-Verwerter, hat dein Körper gegen 21:00 Uhr gerade einmal die Hälfte des Koffeins in deinem System abgebaut. Bildlich gesprochen ist das so, als würdest du dir um neun noch einmal eine schöne dampfende Tasse Kaffee zubereiten. (Ich hoffe inständig, dass keiner meiner regelmäßigen Leser das auch nur in Erwägung zieht!)
Kommen noch weitere "Risikofaktoren" hinzu (weibliches Geschlecht, genetische Prädisposition, Medikamente usw.) verschiebt sich dieser Zeitpunkt noch weiter in die Nacht. Dann müssen wir unser Bild so anpassen, dass du kurz nach Mitternacht noch einmal zur Kaffeemaschine stolperst, um dir noch ein schönes starkes Tässchen zu gönnen. Klingt irre, oder? Aber genau das tust du deinem Körper an, wenn du am Nachmittag Kaffee konsumierst!
Nachmittags-Kaffee reduziert deine Schlafeffizienz (auch wenn du es gar nicht merkst)
Die wissenschaftliche Datenlage zu dieser Verhaltenspraxis ist eindeutig. Kaffee-Konsum allgemein ...
- verzögert den Zeitpunkt des Einschlafens
- verkürzt die Schlafdauer
- reduziert die Schlafeffizienz
- vermindert die Schlafqualität (Clark & Landolt,2017)
Die spezifischen Auswirkungen nachmittäglichen und abendlichen Kaffee-Genusses wurden ebenfalls ausführlich beleuchtet. Wissenschaftler der Universität Detroit untersuchten beispielsweise die Konsequenzen von Koffein-Gaben sechs Stunden oder drei Stunden vor dem Zubettgehen bzw. direkt vor dem Einschlafen. Hierfür wurden die Probanden aufgefordert ihre subjektiven Einschätzungen festzuhalten, während parallel objektive Biomarker erfasst wurden.
Selbst sechs Stunden vor dem Schlafengehen konsumiertes Koffein verdoppelte die Zeit bis zum Einschlafen, verkürzte die Schlafdauer um über eine Stunde, verdoppelte die Wachphasen zwischen den Schlaffenstern und reduzierte die Schlafeffizienz um 10% (Drake et al.,2013). Um die gleichen Effekte auf natürlichem Wege zu erreichen (ohne Koffein), müsste dein Schöpfer deine Lebensuhr um fünfzehn Jahre nach vorn verstellen. Klingt gruselig, nicht wahr?
Das Spannendste an dieser Studie war aber: Es gab erhebliche Unterschiede zwischen den subjektiven Einschätzungen der Probanden und den oben zitierten objektiven Messergebnissen. Zu deutsch: Wir bekommen im Normalfall gar nicht mit, wie sehr der Nachmittags-Kaffee unseren Schlaf stört!
Randnotiz: Alles Geschriebene bezieht sich natürlich nicht nur auf Kaffee. Man denke nur an die Unkultur der "Workout-Booster" vor dem abendlichen Training im Fitnessstudio, der "Energy-Drinks" beim Computerspielen etc. Der Unterschied zum Nachmittags-Kaffee: Während die allermeisten Menschen einsehen, dass Energy-Drinks am späten Abend vor dem Rechner "irgendwie ungesund" sind, fehlt ihnen die selbe "Intuition" beim gewohnheitsmäßigen Kaffeetrinken. Auch wenn Energy-Drinks und Co. weitere für Patienten problematische Inhaltsstoffe enthalten, zumindest die Resultate für den Schlaf sind vergleichbar.
Effizienter Schlaf ist unerlässlich für deine Genesung von Reizdarm, Crohn, Colitis, CFS/ME und Co.
Die unangenehme Wahrheit ist, dass gerade du für den Heilungsprozess auf ein Mehr an hochwertigem Schlaf angewiesen bist. Denn der Schlaf (und die damit einhergehenden Stoffwechsel- und Hormonlagen) hat nicht nur anti-inflammatorische Eigenschaften (Simpson & Dinges,2007). Er ist notwendig für die Regeneration deines Darmgewebes, da er die Grundlage für die dafür notwendige Stammzellproduktion legt (Elkhenany et al.,2018).
Viel zu häufig muss ich feststellen, dass meine Klientinnen und Klienten meine Empfehlungen zur Schlafhygiene eher belächeln. Smartphone-Verbot am Abend, Dankbarkeits-Tagebuch, frühes Zubettgehen usw. scheinen einfach nicht mit dem Lebensstil junger Menschen der Moderne zu harmonieren. Viele Patienten begreifen wollen einfach nicht begreifen, wie enorm wichtig diese "Nebensächlichkeiten" (Schlaf, Bewegung, Atmung, Entspannung) für ihren Genesungsprozess sind. Deshalb noch ein weiteres Argument, dass dich hoffentlich von der Notwendigkeit hochwertigen Schalfes überzeugen wird:
Eine verminderte Schlafqualität kann die Vorteile deiner Ernährungstherapie zunichte machen! Ja, du hast richtig gelesen. Beispielsweise hob eine kurze Schlafdauer (6-7 Stunden) in einer japanischen Untersuchung die anti-entzündlichen Effekte regelmäßigen Fischverzehrs auf (Tani et al.,2022).
Warum spreche ich in diesem Zusammenhang von einer "unangenehmen Wahrheit"? Weil alle Erkrankungen, über die ich hier regelmäßig schreibe, ohnehin durch regelmäßige Schlafstörungen charakterisiert sind. Dabei ist das Verhältnis bidirektional: Schlafstörungen erhöhen das Risiko, an folgenden Diagnosen zu erkranken und die Erkrankungen selbst begünstigen Schlafstörungen.
- Reizdarmsyndrom (Tu et al.,2017)
- Morbus Crohn und Colitis ulcerosa (Ali & Orr,2017)
- Chronisches Erschöpfungssyndrom (Krupp et al.,1993)
- Fibromyalgie (Roizenblatt et al.,2011)
Und schon stecken wir in einem gewaltigen Dilemma: Du brauchst nämlich viel effizienten Schlaf, doch bereits deine Diagnose kann dafür sorgen, dass du deutlich weniger davon bekommst als notwendig wäre, um die Krankheitsspirale zu beenden. Es liegt nun an dir, alles dafür zu tun, um deine Schlafqualität zu verbessern. Auch zu diesem Thema findest du viele Anregungen in meinem Buch, doch in diesem Blogartikel soll ja der liebe Kaffee im Vordergrund stehen.
Fazit: Wann solltest du deinen Kaffee trinken, um deine Heilung nicht zu gefährden?
Dein erster Schritt sollte natürlich sein, deinen Kaffee-Konsum in die Morgenstunden bzw. auf den Vormittag zu verlagern. Gehe dabei behutsam vor, denn je nach Sensitivität kann das Ausbleiben einer Koffeindosis am Nachmittag zu Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen und Unwohlsein führen. Sinnvoll kann es deshalb sein, deine bisherige Dosierung am Nachmittag jede Woche zu halbieren oder aber den Zeitpunkt des Konsums jeweils eine Stunde Richtung Vormittag zu verlagern. Egal, wie du dein Ziel erreichst, der Nachmittags-Kaffee sollte aus deinem Leben verschwinden!
Und noch ein wichtiger Hinweis: Trinke deinen Kaffee niemals vor dem Frühstück auf nüchternen Magen. Über die Evidenz hinter einem reichlichen Frühstück bei Reizdarm und Co. haben wir uns hier schon oft verständigt. Nach dem Aufstehen oder einer kurzen Aktivitätsphase sollte jeder Betroffene ein solches einnehmen. Deinen Kaffee oder Espresso solltest du erst nach diesem Frühstück trinken. Kaffee auf nüchternen Magen führt zu teils enormen Blutzuckerspitzen und begünstigt somit die Entstehung einer Insulin-Resistenz (Smith et al.,2020). Und weißt du, was wiederum chronische Darmbeschwerden begünstigt? Genau.
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