Das so genannte Paleo-Konzept oder auch die Steinzeiternährung mussten in den vergangenen Jahren schon so einiges über sich ergehen lassen. Das Hochhypen durch Crossfit- und andere Athleten, Instagrammodels und natürlich der Gesundheitsfanatikergemeinschaft im Internet (zu der ich mich und dich ebenfalls zurechne) und der sich daran anschließende, wohl in unserer Zeit schon obligatorische Shitstorm seitens der Journalisten, sowie einiger Ärzte und Wissenschaftler, erinnert massiv an die Hauptkampflinien des vergangenen Glutenkrieges (Die Moderne rast tatsächlich nur so dahin. Man könnte glauben, seit damals wären Jahrzehnte vergangen.)
Doch nicht nur die Hype- und Empörungsmaschinerie zugunsten von Klickzahlen und Werbeeinnahmen (beiderseits) weisen viele Parallelen auf. Auch das Fazit für uns Alltagshelden der weltweiten Patientencommunity ist nahezu das gleiche: Einige Anwender verwerfen diese Ernährungstherapie, sehr viele andere werden vom Ausprobieren und Experimentieren abgeschreckt und eigentlich allen wird das Praktizieren dieser Diät erschwert, da nahezu jeder ZEIT- und BILD-Leser (Darf man die in einem Satz nennen? Inzwischen habe ich leider das Gefühl JA, wenn ich mir so manche Themen und Schlagzeilen der einst anspruchsvollen Wochenzeitung anschaue ...) plötzlich zum Ernährungswissenschaftler mutiert und hinter der nächsten Ecke mit seinen gut gemeinten Ratschlägen auf uns lauert ("Was isst du denn da? Da hab´ ich neulich erst einen suuuuuuperspannenden und neutralen Bericht von Fr. Dr. X in Z gelesen - Steigerungsform: auf 3sat oder Arte gesehen. Das ist alles ganz großer Quatsch, damit ruinierst du deine Gesundheit und schränkst dich nur unnötig ein. Man muss doch auch ein bissl Spaß am Leben haben, oder?" Zum Einschränken-Argument möchte ich kurz anmerken, dass ich vor der Ernährungsumstellung auf die SCD überhaupt keinen Spaß mehr kannte, sondern nur Bauchschmerzen, Durchfälle und Übelkeit, während ich mit dieser "eintönigen" Kost wieder Sport treiben, Reisen und meine Familie genießen konnte. So viel also dazu! Puh, ist das aber eine lange Klammer geworden). Problematisch ist das deshalb, weil das Paleo-Konzept nicht nur ein weiterer dummer Ernährungstrend ist, der den Sinnhunger und die Abenteuerlust der entfremdeten urbanen Mittelschicht lindern soll. Für viele von uns ist die Steinzeiternährung der perfekte Startpunkt, um unsere Gesundheit um 180 Grad zu drehen und einer der wichtigsten Puzzlesteine in einem ganzheitlichen Therapiekonzept! Davon bin ich ganz fest überzeugt und werde dabei von immer mehr Fallberichten aus euren Reihen, meine eigenen Erfahrungen und auch immer mehr wissenschaftliche Daten bestätigt.
Das wirst du jetzt in diesem Artikel lernen:
- Warum die Paleodiät keine Mängel hervorruft und tatsächliche Ernährungspraxis wichtiger ist als jedes Label.
- Warum sich Verzicht lohnen kann und wie positiv die Paleo-Diät auf Darmerkrankungen, Diabetes und Autoimmunerkrankungen wie MS wirkt.
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Warum die "moderne" Interpretation der Paleoernährung vielleicht mehr mit ihrem historischen Vorbild gemein hat, als man denkt.
- Wie die Paleodiät deine Darmflora exponentiell aufblühen lassen kann und warum das gerade für dich wichtig ist.
- Was die Steinzeiternährung mit der Zusammensetzung deines Mikrobioms anstellt und was du dabei beachten solltest.
- Welchen Mechanismus ich hinter der Vermehrung der Mikrobiombiodiversität vermute.
Die drei Hauptargumente der Paleo-Kritiker
Nehmen wir doch deshalb gemeinsam die drei Hauptargumente der Paleo-Kritiker unter die Lupe. Die ersten beiden ähneln dabei stark denen gegen die glutenfreie Ernährung.
Argument I: Ist das vielleicht schädlich?
Zu Beginn ein kleines Verwirrspiel, um deinen Geist anzuregen. In einer Interventionsstudie erzielten Paleodiäterinnen deutlich höhere (erwünschte) Gewichtsreduktionen als ihre Kontrollpersonen, die sich am "Australian Guide to healthy eating" (vergleichbar unseren DGE-Empfehlungen) orientierten. Innerhalb der Paleointerventionsgruppe erhoben die Wissenschaftler nach vier Wochen eine deutlich geringere Aufnahme von B-Vitaminen und Kalzium (Genoni und Kollegen, 2016). Die Presse titelte: "Wissenschaftler enthüllen die Tücken der Steinzeitkost - Populärer Diät mangelt es an Schlüsselnährstoffen". Tja, die Standards des guten Journalismus sind wohl schon lange in Vergessenheit geraten, denn sonst hätten die Autoren wohl bemerkt, dass die Paleogruppe zum einen ihre Kalorienaufnahme von knapp 2000kcal auf 1450kcal reduzierte (was natürlich einen Effekt auf die Mikronährstoffaufnahme hatte) und weiterhin von anderen Vitaminen und Mineralstoffen plötzlich deutlich mehr zu sich nahm (so zum Beispiel Vitamin C und Vitamin A). Schließen wir noch eine weitere Studie in unsere Betrachtung ein. Hier prüften die Forscher den Nährstoffgehalt während einer siebentägigen Paleo-Kost (hier spezifisch des Wahls-Protokolls nach Dr. Terry Wahls). Der ermittelte MAR-Score lag bei über 95%, was nichts anderes bedeutet, als dass nahezu alle Tagesempfehlungen für Vitamine und Mineralstoffe erfüllt wurden. Im Durchschnitt lag die Aufnahme für Mikronährstoffe bei über 300% der täglich empfohlenen Verzehrmenge, die der B-Vitamine bei über 500% (Chenard und Kollegen, 2019).
Wir haben also einmal eine signifikante Reduktion der B-Vitamine und einmal eine mindestens ausreichende, wenn nicht sogar Überversorgung. Aber was ist denn nun richtig? Prädestiniert uns das Befolgen einer Steinzeiternährung für bedrohliche Mängel an Vitaminen und Mineralstoffen? Oder boostet sie vielleicht sogar die Mikronährstoffdichte, wie es viele erfolgreiche Paleovertreter immer wieder propagieren?
Die Antwort ist wirklich bahnbrechend und wird euch vermutlich aus euren Schreibtischstühlen katapultieren, also haltet euch lieber fest! (:/trommelwirbel an) Es kommt darauf an! Wer hätte schon gedacht, dass die Auswahl, Menge und Qualität der tatsächlich verzehrten Lebensmittel letztendlich entscheidender ist, als der Name einer Ernährungsform? Wie sollte man von einigen Journalisten auch erwarten, auf eine solch monumentale Schlussfolgerung zu kommen?
Paul ist ein übergewichtiger Student. Seine Leidenschaft galt bisher hauptsächlich seinem Computer samt einer Tüte Gummibärchen oder Chips. Doch nach dem Jahreswechsel will er es wissen und sich endlich in Form bringen, um den Mädels besser zu gefallen. Er entdeckt im Internet (Na, wo denn sonst?) zahlreiche Anpreisungen der Paleodiät und meldet sich in einem Fitnessstudio an. Paul praktiziert nun Intervallfasten und trinkt zum Frühstück nur einen "bulletproof-coffee" - also eine große Tasse schwarzen Kaffee mit einer Portion Butter und MCT-Öl (iiiiiiiks). Mittags gibt es dann Eier und Speck in Butter und eine Banane, zum Abendessen Discounter-Billigfleisch aus Massentierhaltung mit etwas Eisbergsalat. Paul nimmt weder ausreichend Ballaststoffe zu sich, noch erreicht er eine annähernd ausreichende Kalorienzufuhr, um seinen Körper mit allen notwendigen Nährstoffen zu versorgen.
Paula war früher Vollwertköstlerin, hat sich aber aufgrund ihrer ständigen Verdauungsbeschwerden dazu entschlossen, der vielgepriesenen Paleodiät eine Chance zu geben. Die Kindergärtnerin weiß aus vielen Büchern und ihren eigenen Erfahrungen, auf was es bei einer gesunden Ernährung ankommt. Sie isst ein reichhaltiges Frühstück aus Samen, Nüssen, Beeren, etwas Obst und Kokosjoghurt und tankt ihre Energiespeicher auf der Arbeit mit einem grünen Smoothie samt Leinöl auf, bevor sie sich einem Mittagessen mit Omega-3-reichem Fisch, Ofengemüse und frischen Kräutern widmet. Nach dem Abendessen überprüft Paula jeden Tag ihre Nährstoffbilanz in einem Ernährungstracker auf mögliche Schwachstellen.
Kaum zu glauben, aber Paul und Paula ernähren sich, trotz aller gewaltigen Unterschiede, beide nach dem Paleo-Prinzip. Sie konsumieren weder Milchprodukte, noch Getreide, keinen Industriezucker etc. Aber: Paul ernährt sich eben grottenschlecht und Paula sehr gut. Vielen Menschen fällt es sehr schwer, diesen gedanklichen Schluss zu ziehen. So habe ich schon Veganerinnen getroffen, die ihre Kinder permanent mit Weißmehlprodukten, Zuckerkram und Obst zustopften und dennoch fest davon ausgingen, diese Art der Ernährung sei ja gesund, da sie eben vegan sei ("Schließlich sagen ja auch so viele Studien, vegan ist gesund!" - Natürlich! Aber eben nicht per se!). Die Rechnung ist ganz einfach. Sowohl Paleo als auch Veganismus können sehr gesundheitsförderlich sein, wenn man sich etwas Mühe macht. Aber es ist in beiden Ernährungssystemen genauso gut möglich, absolut besch*ssen zu essen! Es geht nicht um das Label - der Inhalt zählt, nicht die Verpackung.
Abschließend möchte ich unbedingt noch hinzufügen, dass wenn es um die Frage des "Ist das vielleicht sogar schädlich, was du da praktizierst?" geht, sich der Kreuzzug der Journalisten eigentlich mit aller Gewalt gegen die typische westliche Ernährung richten sollte, die durch ihre vielen leeren Kalorien bzw. mangelnde Mikronährstoffdichte aus Weißmehl, schlechten Fetten, Zucker etc. Nährstoffmängel fördert wie keine andere Ernährungsform dieser Erde (Außer natürlich dem leider immer noch vorhandenen Hunger in manchen Regionen). So schafft es die typische westliche Ernährung trotz massiver Überschreitung des Kalorienbedarfs und der Anreicherung mit synthetischen Vitaminen und Mineralstoffen in Müslis etc. nicht, die Verzehrempfehlungen für etwa Kalzium, Eisen, Magnesium, Vitamin A, Vitamin C, Vitamin E oder Vitamin D zu decken (siehe hierzu die Übersicht der Oregon State University). Wenn ihr mich fragt, sind dagegen fast alle Ernährungstrends der Vergangenheit und Gegenwart ein Fortschritt, weil sowohl Paleo, als auch Veganismus, Vollwertkost usw. dazu anregen, sich wenigstens Gedanken über eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu machen. Wie es dann umgesetzt wird, liegt natürlich in der ganz eigenen Verantwortung ...
Auf jeden Fall ist dieses Argument großer Quatsch. UND: Es feuert zurück!
Argument II: Ist das überhaupt nötig?
Was wäre, wenn man sich mit Hilfe dieser Kost aus einem ernsthaften Krankheitsprozess befreien könnte? Wäre das vielleicht ein guter Grund, um sich vom Hintaumeln der Moderne zu lösen? Zumindest fallen mir da ganz spontan ein paar triftige Argumentationsverstärker ein:
- Paleo verbesserte innerhalb von nur drei Wochen Stuhlfrequenz, wahrgenommenen Stress, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Chandrasekaran und Kollegen, 2019)
- Paleo verminderte sowohl die typischen Krankheitsindizes, den Entzündungsmarker Calprotectin (von rund 450 auf 100) als auch endoskopische Scores bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Konijeti und Kollegen, 2017)
- Paleo überflügelte eine klassische Diabetesdiät bei der Kontrolle des Blutzuckers, des Lipidprofils und der Verminderung einer ausgeprägten Insulinresistenz von Patienten mit Diabetes mellitus (Masharani und Kollegen, 2015)
- Paleo linderte die Erschöpfung und verbesserte signifikant die Lebensqualität von Betroffenen der Multiplen Sklerose (Irish und Kollegen, 2017)
Zumindest für uns Patienten scheint es tatsächlich gewichtige Gründe zu geben. Ich erspare euch jetzt eine Ausweitung dieser Aufzählung durch Studien zur SCD usw., welche ja letztendlich nichts anderes als eine Art modifiziertes Paleo ist, aber eben schon deutlich eher da war.
Allen, die nicht von unseren quälenden Zivilisationserkrankungen betroffen sind (oder sollte ich besser schreiben noch nicht?), möchte ich ans Herz legen, einmal darüber nachzudenken, welche unschönen Folgen sie durch den Konsum frischer unverarbeiteter Nahrungsmittel und den gleichzeitigen Verzicht auf Zucker, schlechte Fette und künstliche Zusatzstoffe vermeiden könnten. (Außerdem sieht man mit dieser Kost auch besser nackt aus ... besonders im fortgeschrittenen Alter).
Argument III: Aber die Urmenschen haben gar nicht so gegessen!
Denn wenn ihre Argumentation im Sand verläuft (siehe oben), dann ziehen sie ihren Joker aus dem Ärmel. Denn aus den Tiefen einer Studierstube steigt dann mit Sicherheit ein mystisches allwissendes Wesen (oft eine Paläoanthropologin oder ähnliches) empor und erklärt uns mit ihrem geballten Fachwissen und einem überheblichen Lächeln im Gesicht, dass unsere moderne Paleodiät absolut nichts mit der typischen Ernährung unserer behaarten Vorfahren zu tun hat. Zu schlecht die Fettzusammensetzung unseres Fleisches aus Tierhaltung, zu voluminös und zuckrig unser Gemüse, zu ballaststoffarm und zu wenig divers unsere gesamte Ernährung. Und natürlich stimmt das auch alles, doch weder schmälert dieser Punkt die oben aufgeführte Evidenz zur Effektivität des Paleokonzeptes, noch ändert er irgendetwas an seinem Wert. Was wäre schon dabei, wenn die heutige "Steinzeiternährung" nicht dem historischen Vorbild ähnelte? Dann könnten wir ihr einfach einen anderen Namen geben - die SCD würde sich anbieten - und trotzdem wäre sie genauso wirksam und wertvoll wie zuvor. Viele Wissenschaftler und Kritiker halten sich für meinen Geschmack viel zu lange mit der theoretischen Konstruktion dieses Ernährungstrends auf, während es eigentlich nicht mehr als ein Startpunkt für einen bewussten und gesunden Lebenswandel ist. Die Mütter und Väter der Speziellen Kohlenhydratdiät (Gastroenterologe Dr. Sidney V. Haas und Biochemikerin Elaine Gottschall) beriefen sich auf keine Steinzeithypothese oder die nur langsam fortschreitende Evolution von Verdauungstrakt und Immunsystem, kreierten aber eine fast identische Ernährungsform, indem sie sich auf die Fähigkeiten und Grenzen des menschlichen Metabolismus besannen.
Eine weitere große Lücke in der Deckung dieses Angreifers ist ein nicht ganzheitliches Denken. Die häufig herangezogenen Wissenschaftler berufen sich natürlich auf ihre spezifische Expertise, vernachlässigen dafür aber Erkenntnisse aus bspw. der modernen Medizin. So können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob nun tatsächlich die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten zwischen den klassischen und modern-interpretierten Formen einer Paleodiät überwiegen. Und wie wichtig sind eigentlich welche Variablen? Ist es wichtiger, dass die Ballaststoffzufuhr bei 80-120g/Tag liegt, oder dass wir konsequent auf Getreide und Milchprodukte verzichten? Auf Zucker? Oder ist es die Kohlenhydratmonotonie, die dem Metabolismus hilft, das gesunde Gleichgewicht zu halten, wie in Modellen von Crohn und Colitis beobachtbar? Es gibt also viele Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede, doch wie können wir uns einer neutralen Einschätzung dieses Arguments annähern?
Mikrobiomanalyse bestätigt: Moderne Steinzeiternährung nähert die Darmflora an jene von Jäger-Sammler-Kulturen an!
Unser Hauptaugenmerk sollten wir deshalb bei unserer Versuchsanordnung aber auf den Verdauungstrakt richten und dort gezielt auf das fein abgestimmte Ökosystem der verschiedenen Mikroorganismen (nein, es sind nicht nur Bakterien) namens Darmflora oder Mikrobiom. Letzteres gilt heute als eine der wichtigsten Variablen für einen gesunden Körper UND einen gesunden Geist (z.B. Lynch & Pedersen, 2016; Malan-Muller und Kollegen, 2018). Ideal wäre es natürlich, wenn wir eine Paleogruppe mit einer Kontrollgruppe vergleichen könnten, welche sich ebenfalls gesund ernährt.
Und genau diese Traumstudie haben 2019 italienische Wissenschaftler um Monica Barone der Universität Bologna durchgeführt (Barone und Kollegen, 2019). Die Forscher verglichen die Darmflora von 15 Paleo-Anwendern (Durchschnittsalter 39 Jahre, alle befolgten die Paleo-Prinzipien schon mindestens zwölf Monate und stammten mit einer Ausnahme aus urbanen Regionen Italiens) mit der von 143 Italienern, welche sich nach den Grundsätzen der Mediterranen Kost ernährten. Weiterhin setzten das Team die gewonnen Ergebnisse in einen Kontext zur Darmflora traditioneller Jäger-Sammler-Kulturen und westlichen Industrienationen.
Wichtigstes Ergebnis?
Die Biodiversität (der Artenreichtum) der Darmflora der Paleo-Anwender überflügelte jene der italienischen Kontrollgruppe um ein Vielfaches und war am ehesten mit jener der Hadza (traditionelle Jäger-und-Sammler-Volksgruppe in Tansania) vergleichbar!
Die Biodiversität der Darmflora wiederum ist heute eine der am besten untersuchten Variablen für ein robustes und fittes Mikrobiom mit allen positiven Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit des Wirtes, also uns Menschen (Larsen & Claassen, 2018). Im Gegensatz dazu finden sich bei allen auf diesem Blog besprochenen Krankheiten Verminderungen der Biodiversität. Hier einige Beispiele aus der Forschung:
- Reizdarmsyndrom (Menees & Chey, 2018)
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Gong und Kollegen, 2016)
- Chronisches Erschöpfungssyndrom (Giloteaux und Kollegen, 2016)
- Fibromyalgie (Garcia und Kollegen, 2019)
- Mastzellerkrankungen (hier leider nur Hinweise, siehe Afrin & Khoruts, 2015 oder auch Folkerts und Kollegen, 2018)
Im Übrigen sind alle diese Erkrankungen den Hadza gänzlich unbekannt ... Ein Hinweis? Vielleicht. Auf jeden Fall kann sicherlich festgehalten werden, dass wir alle von der Wiederherstellung eines erweiterten Artenreichtums unserer Darmflora profitieren würden.
Auch die Gesamtkomposition der Darmflora ist verändert
Auf der anderen Seite nahm die Konzentration der hauptsächlich Ballaststoffe fermentierenden Produzenten der kurzkettigen Fettsäuren durch die Paleoernährung nicht ab und war mit jener der Anwender der Mediterranen Diät vergleichbar (etwa Faecalibacterium und Ruminococcus). Das "Anzüchten" gesundheitsfördernder probiotischer Darmbakterienstämme ist also sehr wohl ohne die viel gepriesenen Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte möglich.
Aber welcher Mechanismus steckt dahinter?
Doch welcher Faktor lässt den Artenreichtum der Darmflora so exponentiell wachsen? Die Mediterrane Diät hat unbestritten viele gesundheitliche Vorteile und teilt viele Aspekte mit der Paleo-Diät:
- hoher Konsum von Fisch, Nüssen, Samen, Gemüse und Obst
- relativ niedrige glykämische Last
- Verzicht oder starke Einschränkung von Zucker und Zusatzstoffen
- moderat hoher Ballaststoffverzehr (in der Studie knapp 30g - deutlich mehr als mit der typischen westlichen Kost)
Gerade der letzte Punkt sollte uns Aufmerken lassen. Denn bisher wurde, auch von anerkannten Mikrobiomforschern, etwa den Drs. Sonnenburg, die Meinung vertreten, es seien hauptsächlich die Ballaststoffe/Präbiotika, welche die Darmflora blühen lassen und für ihre gesunde Zusammensetzung verantwortlich sind. Wie könnten aber unter einer solchen Prämisse bei nahezu gleicher Ballaststoffzufuhr so extrem unterschiedliche Ergebnisse der Mikrobiomanalysen zutage kommen? Die italienischen Wissenschaftler waren sich bei der Beantwortung dieser Frage auch nicht sicher ...
Bevor ich meinen Artikel hiermit zum Abschluss bringe, möchte ich jedoch noch etwas spekulieren! Natürlich maße ich mir nicht an, über auch nur einen Bruchteil des Wissens dieser Forscher zu verfügen, doch nach vielen Jahren der Beschäftigung mit den Themen Darmgesundheit und Darmkrankheiten ziehen sich die Fäden in meinem Kopf mit jeder Studie etwas mehr zusammen. Über den von mir hier als ursächlich vermuteten Mechanismus habe ich bereits vor einiger Zeit ein Video eingesprochen: Die Kohlenhydratmonotonie. Grundlegend für diese Theorie war die Frage, was ganz unterschiedliche Ernährungstherapien verbindet, welche sich trotz ihrer teils enormen Differenzen positiv auf die Entwicklung und den Verlauf von Darmerkrankungen auswirken. Dieses Video möchte ich euch gern ans Herz legen, bevor ich mich meinem Heringsfilet auf Grünkohl widme. Lassen wir es uns schmecken und die Darmflora blühen!
Du willst es mit der Paleo-Diät versuchen? Dann hier noch zwei persönliche Buch-Empfehlungen von mir!
Bildquelle für Grafiken:
Barone et al. (2019). Gut microbiome response to a modern paleolithic diet in a western lifestyle context. PLoS One. 14(8):e0220619.