Reizdarm, Kraftsport und das gute alte Testosteron. (Auch für Nicht-Pumper und Frauen mit RDS relevant!)

Meine Leser- und Zuschauerschaft wird seit eh und je vom männlichen Geschlecht dominiert. Das hat sicherlich mit meiner datengetriebenen Betrachtungsweise unserer Erkrankungen zu tun, denn wissenschaftliche Erkenntnisse bestimmen die Auswahl und Präsentation meiner Schwerpunkte auf diesem Blog. Lifestylethemen, Wohlfühlrezepte und schicke Fotos sind hier eher nicht zu finden. Andererseits sind viele meiner Themen traditionell eher mit dem männlichen Geschlecht assoziiert. So beschäftige ich mich neben RDS, CFS/ME & Co. viel mit dem von mir geliebten Kraftsport, dem Eisbaden oder dem Erlangen von psychischer Stärke (Resilienz) im Sinne der antiken Philosophen. 

Und schon von Beginn an tummeln sich unter diesen Lesern viele Kraftsportler, Bodybuilder und Kampfsportler. Selbst jene Mädels, die meinen Blog und den zugehörigen YouTube-Kanal regelmäßig besuchen, sind häufig vom Eisenvirus befallen. Ich finde das übrigens absolut großartig! Gehörst du zu dieser Gruppe, dann wird der heutige Artikel für dich sicherlich von besonders großem Interesse sein. Doch auch für Reizdarmbetroffene, die nicht regelmäßig unter Olympia-Hantelstangen ächzen, ist das Thema absolut relevant. 

 

Das Reizdarmsyndrom begünstigt durch seine Pathomechanismen einen Mangel des Steroidhormons Testosteron. Seit vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass dies deine Bemühungen mehr Muskeln auf- und Körperfett abzubauen sabotieren wird (z.B. Mouser et al.,2016Vingren et al.,2010). Aber wusstest du auch, dass dieser Mangel außerdem deine Bauchbeschwerden triggern oder verstärken kann? Und seien wir ehrlich: Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfälle und Appetitlosigkeit sind ebenfalls nicht die besten Begleiter eines harten Trainings!

Deshalb möchte ich dir unbedingt die wissenschaftliche Forschung zum Thema Reizdarm und Testosteron vorstellen. Als RDS-Patient kannst du mit diesen Informationen vielleicht schnell und effizient deine Beschwerden lindern. Und als Kraftsportler (oder anderer Athlet) wirst du vielleicht sogar doppelt von diesen Erkenntnissen profitieren, indem du zeitgleich mehr Muskeln aufbauen und deine Symptome befrieden kannst. Wir werden es in diesem Artikel nämlich nicht bei der grauen Theorie belassen, sondern uns auch eine Interventionsstudie herauspicken, die den Testosteronspiegel auf natürliche Weise mehr als verdoppelte

 

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Inhalt: Was du in diesem Artikel lernen wirst.

Patienten mit Reizdarm haben häufig einen Testosteronmangel

Dass das Reizdarmsyndrom und ein Testosteronmangel häufig Hand in Hand gehen, ist keinesfalls ein gänzlich neuer Befund. Angeregt wurde die Erforschung dieses Phänomens in erster Linie durch die recht große Lücke, die bei den Betroffenenquoten zwischen Frauen und Männern klafft. Frauen sind in den meisten epidemiologischen Erhebungen zwei- bis dreimal häufiger vom RDS betroffen. Und hormonelle Unterschiede sind eine der greifbarsten und auch am besten erforschten Differenzen zwischen den Geschlechtern. Was läge also näher, als diese Unterschiede als Erklärung für das ungleiche Geschlechterverhältnis beim Reizdarm heranzuziehen? Vor allem, da schon so einige Dinge über den Zusammenhang von Sexualhormonen und Darmsystem bekannt war. Hier eine kleine Übersicht (orientiert an So & Savidge,2021):
  1. Sexualhormone beeinflussen die viszerale Sensitivität (Reiz- und Schmerzschwelle deines Darms).
  2. Sie regulieren außerdem die Motilität (Darmbewegungen, welche den Speisebrei oder Stuhl befördern).
  3. Steroidhormone beeinflussen das Autonome bzw. Vegetative Nervensystem
  4. Ihre Konzentration und Aktivität verändert das gastrointestinale Mikrobiom (deine Darmflora).
  5. Sexualhormone kommunizieren mit dem Enterischen Nervensystem
  6. Sie beeinflussen das Gleichgewicht von Mastzellen und Serotonin-System
  7. Steroidhormone haben eine vermittelnde Rolle bei der Verschaltung der Hirn-Darm-Achse.

Wenn du zu den Lesern meines Blogs oder meines Buches gehörst, wird dir sicherlich nicht entgangen sein, dass sich in dieser Aufzählung die prominentesten Ursachen (mikrobielle Dysbiose, Mastzellhyperplasie, Veränderungen der enterochromaffinen Zellen) und Pathomechanismen (viszerale Hypersensitivität, verminderte oder gesteigerte Motilität, Fehlschaltung der Hirn-(Mikrobiom)-Darm-Achse) verborgen haben. 

Darstellung von Hirn und Verdauungstrakt. Gezeigt werden Auswirkungen von Sexualhormonen auf die Organsysteme. Androgene vermindern psychische Störungen, erhöhen die Motilität und erhöhen die Reizschwelle des Darms.
Abb1: Auswirkungen von Estrogenen und Androgenen (insb. Testosteron) auf reizdarmspezifische Variablen. Quelle: So & Savidge,2021

Es klingt also durchaus nachvollziehbar, dass die verschiedenen Hormonprofile von Frauen und Männern auch deren unterschiedliche Anfälligkeit für den Reizdarm erklären könnten (Meleine & Matricon,2014; Mulak et al.,2014). Hierbei sollte die protektive Rolle des Testosterons herausgestellt werden - und zwar für Männer und Frauen gleichermaßen. Bei beiden Geschlechtern verbessert das Steroidhormon bspw. die Toleranzschwelle gegenüber Darmreizen oder mindert die Aktivität der beim Reizdarm oft überaktiven Mastzellen (Aloisi et al.,2010Ji et al.,2018 u.v.m.). Einige Estrogene haben übrigens genau den gegenteiligen Effekt. 

 

Männer scheinen also durch die Dominanz des Testosterons bei gleichzeitig geringeren Konzentrationen an Estradiol und Co. besser vor dem Reizdarm und seinen quälenden Symptomen geschützt zu sein. Aber warum leiden dann allein im deutschsprachigen Raum auch mehrere Millionen Männer an der Erkrankung? 

Nun, zum einen ist das Reizdarmsyndrom keine monokausale Erkrankung. Es spielen also neben den Sexualhormonen noch viele weitere Faktoren (von gastrointestinalen Infektionen bis hin zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten) eine Rolle. Andererseits scheint der zuvor beschriebene Zusammenhang auch bei den männlichen RDS-Betroffenen zutreffend: Ein Zuwenig an Testosteron ist mit der Diagnose Reizdarm und auch einem höheren Schweregrad assoziiert

 

So zeigten bereits frühe Erhebungen, dass männliche Patienten mit einem Reizdarmsyndrom gegenüber gesunden Kontrollpersonen signifikant verminderte Konzentrationen an Testosteron aufwiesen (z.B. Cui et al.,2006). Doch auch neuere Studien belegen diesen Trend. Eine 2022 publizierte US-amerikanische Studie untersuchte den Testosteronspiegel von über 200 Frauen und Männern mit Reizdarmdiagnose. Im Mittel fanden die Wissenschaftler signifikant niedrigere Werte an Gesamt- und freiem Testosteron als bei den gesunden Kontrollpersonen (Rastelli et al.,2022). 

Violinen und Scatter Plots verdeutlichen im Mittel reduzierte Werte an Gesamt- und freiem Testosteron bei männlichen uind weiblichen Reizdarmpatienten.
Abb2: Vergleich von Gesamt- und freiem Testosteron von Reizdarmpatienten mit gesunden Kontrollpersonen. (A) Männer und (B) Frauen. Quelle: Rastelli et al.,2022.

Doch in den Ergebnissen der zuletzt zitierten Studie lassen sich noch mehr interessante Details entdecken: Beispielsweise waren die Konzentrationen an freiem Testosteron mit dem Schweregrad des Reizdarms (gemessen auf der Skala IBS-SSS) korreliert. Je geringer die Konzentrationen, desto ausgeprägter waren Durchfälle, Blähungen und Bauchschmerzen

 

Ein Defizit des Männlichkeitshormons oder der gereizte Darm: Was war eher da?

Nun lernt heute jeder Student der Sozialwissenschaften im ersten Semester, dass Korrelationen nicht einfach als Kausalitäten interpretiert werden sollten. Wir müssen uns also schon etwas intensiver mit der Materie auseinandersetzen, um zu verstehen, auf welchem Weg wir einen bestehenden Testosteronmangel beim Reizdarm wieder beheben können, um uns wieder besser zu fühlen und unsere Leistungsfähigkeit im Kraft- oder Kampfsport steigern zu können. 

 

Mit anderen Worten: Führte bei dir ein zu niedriger Testosteronwert zu funktionellen Darmbeschwerden, oder senkte der Reizdarm mit seinen biologischen Veränderungen erst die Konzentrationen des für Männer wie Frauen wichtigen Sexualhormons? 

 

typische Verhaltensweisen und Pathologien des Reizdarms begünstigen einen niedrigeren Testosteronspiegel!

In unserem konkreten Fall wäre es zum Beispiel gut denkbar, dass Patienten mit chronischen Darmbeschwerden Dinge tun oder unterlassen, welche den Testosteronspiegel maßgeblich beeinflussen. 

Und tatsächlich wissen wir aus epidemiologischen Studien, dass dies sehr häufig der Fall ist. Einige Beispiele: 

  1. RDS-Patienten weisen aufgrund krankheitsspezifischer Verhaltensweisen (veränderte Essgewohnheiten, weniger Freiluftaktivitäten), aber auch pathophysiologischer Faktoren (Mikroentzündungen im Gastrointestinaltrakt) stark verminderte Konzentrationen des Vitamins und Prohormons Vitamin-D auf (z.B. Bin et al.,2022). Vitamin-D steht aber in einem kausalen Zusammenhang mit dem Testosteronspiegel - etwa nachgewiesen durch Mendelsche Randomisierungen (Chen et al.,2019). 
  2. Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Begleiterkrankungen des Reizdarmsyndroms (z.B. Wang et al.,2018). Und was lässt deinen Testosteronstatus verlässlich in den Keller gehen? Richtig, Schlafmangel und Schlafstörungen (Andersen et al.,2011). 
  3. Eine Dysbiose des gastrointestinalen Mikrobioms mit der Dominanz opportunistischer Pathogene begünstig ebenfalls einen Mangel des Männlichkeitshormons (Liu et al.,2022). Die bei einer solchen Dysbiose vorliegenden, durch Endotoxine erzeugten, entzündlichen Prozesse haben ebenfalls einen kausalen Einfluss auf den Testosteronwert (Tremellen et al.,2017).

Und wir könnten diese Liste ganz unproblematisch erweitern. Doch ich denke, dass diese Beispiele zur Illustration des gemachten Argumentes genügen. Betroffene eines Reizdarmsyndroms weisen definitiv regelmäßig Besonderheiten auf, die den Testosteronspiegel drücken können. Das Gute an dieser Seite der Assoziation ist, dass wir auf diese Faktoren relativ gut Einfluss nehmen können. So könntest du Vitamin-D supplementieren und den Zustand deiner Darmflora durch das Befolgen meiner mediterranen Low-FODMAP-Diät verbessern. Gelingt es dir, deine Dysbiose rückgängig zu machen, lösen sich häufig auch die Schlafstörungen auf (Fang et al.,2023). 

 

Ein zu niedriger Testosteronwert verändert darmflora und Darmfunktionen ungünstig!

Doch tatsächlich müssen wir auch auf die andere Seite dieser Medaille schauen. In der weiter oben zitierten Studie von Rastelli und Kollegen zeigte sich, dass gewisse Testosteronwerte notwendig sind, um normale Darmfunktionen zu gewährleisten. So führte ein Mangel an Androgenen zu einer selektiven negativen Beeinflussung der Motilität (Stuhltransport). 

Und auch die Befunde zur gestörten Darmflora können bidirektional interpretiert werden, denn eine geplante Verminderung der Testosteronkonzentrationen (z.B. im Rahmen der Behandlung von Prostatakrebs) induziert eine manifeste Dysbiose des Mikrobioms mit einer Verminderung der Biodiversität (bspw. Kure et al.,2022). 

 

Eine besonders spannende Studie aus Großbritannien konnte in diesem Kontext belegen, dass die Reizschwellen von RDS-Patienten im rektalen Ballontest invers mit dem Testosteronstatus korreliert waren (Houghton et al.,2000). Bei diesem Test wird ein aufblasbarer medizinischer Ballon in den Enddarm eingeführt. Anschließend wird dieser mit Gas gefüllt und die Probanden berichten über die "erste Wahrnehmung", das Gefühl von Stuhldrang sowie die Grenzen zum Schmerz und Toleranzschwellen. Der Test kann auch mit objektiven Markern (Aktivität schmerz-assoziierter Hirnareale) gekoppelt werden und gilt als eines der besten Verfahren zur Erfassung und Abschätzung viszeraler Hypersensitivität. 

 

In der Zusammenschau können wir also festhalten, dass der Zusammenhang von Testosteronmangel und Reizdarmsyndrom am ehesten einem Teufelskreislauf gleicht. Zu geringe Konzentrationen des Steroidhormons begünstigen die Entstehung einer Darmflora-Dybsiose, vermindern die Schmerzschwelle und verändern den Stuhltransport. Der Reizdarm selbst kann wiederum durch bestimmte Verhaltensweisen und pathologische Faktoren zu einem (weiteren) Absinken des Testosteronspiegels führen. 

 

Du solltest also unbedingt an beiden Stellschrauben drehen, um der Produktion deines Testosterons einen ordentlichen Schub zu verpassen! Oder anders gesagt: Alles, was deinen Tesosteronspiegel normalisiert, verbessert deinen Reizdarm und alles, was deinen Reizdarm verbessert, optimiert deinen Testosteronwert (und sorgt für mehr Muskelwachstum und Fettabbau).

Bild eines Mannes, der zwei schwere Kettlebells in den Händen vor der Brust hält.
Eine Normalisierung des Testosteronspiegels beim Reizdarmsyndrom verbessert nicht nur die Darmbeschwerden, sondern steigert auch Kraft und Muskulatur.

Aber führt das Anheben des Testosteronspiegels tatsächlich zu einer Besserung deines Reizdarms?

Es sollte für dich als gebildeten und kraftsportaffinen Leser keine große Überraschung sein: Eine Normalisierung des Testosteronmangels optimiert den Zuwachs fettfreier Körpermasse - und dies bereits ohne ein spezifisches Kraft- oder Muskelaufbautraining (z.B. Vermeulen et al.,1999). Und umso höher die Testosteronwerte dann im Referenzbereich liegen, desto größer fällt das Muskelwachstum aus (Sattler et al.,2011). Eine Optimierung deiner Hormonlage ist also für dich als Kraftsportler absolut erstrebenswert. 

Aber kann diese tatsächlich auch deine Darmbeschwerden nachhaltig lindern? 

 

Leider fehlen uns zur Beantwortung dieser Frage klinische Studien an Reizdarmbetroffenen. Obwohl einige der diesbezüglichen Befunde bereits mehr als zwei Jahrzehnte auf dem Buckel haben, ist in diese Richtung noch nicht viel passiert. Doch neben den weiter oben geschilderten manifesten Zusammenhängen verfügen wir zum Glück noch über weitere Evidenz, dass das Anheben des Testosteronspiegels chronische Darmbeschwerden positiv beeinflussen kann. Diese stammt vor allem aus Experimenten an Probanden mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. 

Lassen sich diese Erkenntnisse auf den Reizdarm übertragen? Definitiv! Inzwischen sind sich die allermeisten Forscher einig, dass es sich beim Reizdarmsyndrom und den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen um ein einziges Krankheitskoninuum und nicht um separate Erkrankungen handelt (z.B. Spiller & Major,2016). Oder einfacher ausgedrückt: Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarmsyndrom haben pathophysiologisch deutlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede (Rani et al.,2016). 

 

Aufbauend auf den Ergebnissen von Untersuchungen, die gezeigt hatten, dass die Normalisierung des Testosteronspiegels von Männern im Alter zwischen 34 und 69 Jahren zu einer deutlichen Reduktion des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein (CRP) führte (Giltay et al.,2008), erprobten die Wissenschaftler diese entzündungshemmende Wirkung des Steroidhormons auch an Patienten mit Morbus Crohn. 

In einer Pilotstudie mit 13 Crohnpatienten, welche unter einem Testosteronmangel litten (260ng/dl), verabreichten die Wissenschaftler ihren Probanden eine Testosteronersatztherapie (testosterone replacement therapy, TRT) über 24 Monate. Hierdurch normalisierte sich deren Testosteronspiegel und damit einher ging eine signifikante Reduktion des CRP-Wertes von 22,7 auf 6,9 mg/dl. Gespiegelt wurde dieses Ergebnis durch eine Verminderung des klinischen Crohn-Aktivitätsscores (CDAI) von 243 auf 89 Punkte (Haider et al.,2010). Wir können uns wohl gut vorstellen, was diese Patienten nach Abschluss der Studie von ihren Hausärzten einforderten ... 

 

Solche Ergebnisse sind natürlich beeindruckend. Aber kann es sich nicht vielleicht nur um einfache Zeiteffekte handeln? Schließlich gab es bei diesen Untersuchungen keine Kontrollgruppen (zumindest keine mit Morbus Crohn). Doch zum Glück verfügen wir inzwischen auch über entsprechende Langzeitstudien. 

 

Eine dieser Untersuchungen begleitete über 100 Männer mit Morbus Crohn und einem niedrigen Testosteronwert über einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren. Da 14 dieser Männer die Behandlung mit Testosteron ablehnten, fungierten sie als freiwillige Kontrollgruppe. Der Aktivitätsindex sank in der Interventionsgruppe von 239 auf 71 Punkte. Die Leukozytenzahl reduzierte sich signifikant, ebenso das CRP von 12,89 auf 1,78 mg/L (Nasser et al.,2015). In der Kontrollgruppe (Männer mit Testosterondefizit, die nicht mit Testosteron behandelt wurden) fanden sich keine signifikanten klinischen oder labormedizinischen Veränderungen

 

Auch für Frauen mit Verdauungsbeschwerden ist das Thema Testosteron interessant!

Viele Menschen glauben, das Thema Testosteronmangel besitze ausschließlich Relevanz für den männlichen Teil der Bevölkerung. Doch weit gefehlt! Auch beim weiblichen Geschlecht übernimmt das "Männlichkeitshormon" zahlreiche, für die Gesundheit der Frauen zentrale Funktionen, unter anderem durch seine entzündungshemmenden und darmregulierenden Eigenschaften. Zwar rekrutierten die bisher verfügbaren Interventionsstudien ausschließlich männliche Probanden, doch zumindest die epidemiologischen Daten zeichnen für Frauen ein zumindest ähnliches Bild. 

So zeigte die oben zitierte Studie von Rastelli und Kollegen (vgl. auch Abb2), dass auch bei Frauen mit Reizdarmsyndrom deutlich verminderte Werte an Gesamt- und freiem Testosteron nachweisbar sind. Ein ähnliches Muster lässt sich für die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zeigen: Eine Analyse der populären Nurses Health Study belegt, dass ein niedriger Testosteronspiegel von Frauen vor ihrer Diagnose mit Morbus Crohn die Wahrscheinlichkeit für diese Diagnose maßgeblich erhöht (Khalili et al.,2015). Frauen mit einem relativ hohen Testosteronwert hatten gegenüber Frauen mit niedrigem Testosteronspiegel eine 80% geringere Wahrscheinlichkeit zukünftig an Morbus Crohn zu erkranken. 

 

Es liegt also nahe, dass auch Frauen mit chronischen Darmerkrankungen von einer Optimierung ihrer Hormonlage profitieren könnten. 

 

So kannst du deinen Testosteronspiegel schnell und unkompliziert bestimmen lassen!

Leider sind viele Ärzte im deutschsprachigen Raum noch etwas hinterher, wenn es um die regelmäßige Erhebung des Testosteronspiegels geht. Solltest du als RDS-Betroffener und/oder Kraftsportfanatiker keinen aktuellen Überblick über deinen Hormonstatus haben und dein Arzt eher zur konservativeren Sorte seiner Zunft gehören, kannst du deinen Testosteronspiegel unkompliziert via Speicheltest erheben lassen

Gern wird in Kraftsport-Foren darüber spekuliert, wie verlässlich die so erhobenen Werte seien. Aber alle verfügbaren Daten zeigen, dass die Speicheltests exzellent mit dem bioverfügbaren Testosteron korrelieren und Mangelzustände mit einer Sensitivität und Spezifität von bis zu 100% erkennen können (Arregger et al.,2007Morley et al.,2006). 

Speicheltest-testosteron Mann

Speicheltest Testosteron Frau


Mehr Testosteron gefällig? Dann schwing den Kochlöffel!

Nun bleibt noch die entscheidende Frage zu beantworten: Wie kannst du deinen Testosteronspiegel wieder erhöhen? Hier gibt es natürlich zahlreiche Möglichkeiten. Die typische Testosteronersatztherapie kommt vermutlich nur für wenige Patienten mit RDS infrage. Liegt bei dir jedoch ein handfestes Defizit des Steroidhormons vor, solltest du diese Option allerdings in Erwägung ziehen. Es könnte nämlich durchaus sein, dass dieser Testosteronmangel ursächlich deine Reizdarmsymptome provoziert.

Befinden sich deine Konzentrationen hingegen eher in der unteren Hälfte des Referenzbereiches, können verschiedene Lebensstilinterventionen einen entscheidenden Unterschied machen. Eine der wichtigsten Stellschrauben in diesem Kontext ist die richtige Ernährung

Grafische Darstellung eines muskulösen, bärtigen Mannes mit einem Schneebesen in der Hand und einer Kochmütze auf dem Kopf.
Den niedrigen Testosteronspiegel beim Reizdarmsyndrom bekämpfst du am besten in der Küche! Denn vor allem das Mikrobiom spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Grundlegend können wir erst einmal festhalten, dass es Ernährungsmuster gibt, die sich positiv oder negativ auf deinen Testosteronspiegel auswirken können. Vereinfacht gesagt senken vor allem Fertigprodukte, Brot, Milchprodukte, Back- und Süßwaren den Testosteronwert (z.B. Hu et al.,2018; Kurniawan et al.,2019 u.v.m.). Umso häufiger die Probanden hingegen selbst den Kochlöffel schwingen, desto höher ist in der Regel auch ihr Testosteronspiegel. Nun weiß eigentlich jeder Reizdarmpatient und erst recht jeder Kampf- oder Kraftsportler, dass eine saubere Ernährung für einen Großteil der Erfolge, sei es Muskelaufbau, Fettabbau oder Leistungsfähigkeit, unerlässlich ist. Hier sollte also eigentlich keine Gefahr bestehen. 

 

Doch anders sieht es schon bei weiteren Faktoren einer hormonoptimierenden Ernährung aus. Der regelmäßige Verzehr von Fisch, Nüssen, grünem Blattgemüse und Kräutern kann den Testosteronstatus deutlich verbessern (Ito et al.,2024; Kara et al.,2019). Aus meiner langjährigen psychotherapeutischen Betreuung von RDS-Betroffenen und meiner Tätigkeit als Sporttherapeut und Trainer kann ich sagen, dass beide Gruppen so ihre Problemchen mit viel Grünzeug, Nüssen, Fisch etc. haben. Ähnliches gilt für den Fettverzehr, der absolut notwendig für einen hohen Testosteronspiegel ist (Whittaker & Wu,2021). Insbesondere der reichhaltige Genuss von Olivenöl hat hier sehr positive Auswirkungen (Derouiche et al.,2013). 

 

Viel Olivenöl, Kräuter und grünes Blattgemüse, regelmäßig Nüsse und Fisch? Klingelt da was? Richtig, das hört sich nach der mediterranen Ernährung an! Und gleich werde ich dir zeigen, welch enormen Einfluss eine solche Ernährung auf deinen Testosteronspiegel haben kann.

 

Mediterrane Ernährung und Testosteron

In einer italienischen Studie erfassten die Wissenschaftler die Auswirkungen einer solchen kohlenhydratreduzierten mediterranen Ernährung auf den Testosteronspiegel und andere fortpflanzungsrelevante Parameter von 50 gesunden, normalgewichtigen Männern mit Kinderwunsch (Corsetti et al.,2023). Hier die Ernährungsrichtlinien im Überblick: 

  • mindestens 80% BIO-Produkte
  • Lebensmittel mit niedriger glykämischer Last (Vollkorn, Aprikose und Kiwi statt Banane usw.)
  • maximal 35% der Kalorienzufuhr aus Kohlenhydraten
  • keine Milchprodukte außer täglich probiotischer Joghurt oder Kefir
  • kein verarbeitetes Fleisch und keine Wurst
  • keine verpackten Lebensmittel
  • Täglich: rote Früchte, mindestens 3 Portionen grüne Blattgemüse, 30g Nüsse, Kräuter und Gewürze wie Ingwer, Koriander, Basilikum, Rosmarin etc. 
  •  Wöchentlich: 3 bis 4 Portionen Hülsenfrüchte, 5 bis 6 Portionen Fisch und Meeresfrüchte, 3 bis 4 Portionen grasgefüttertes BIO-Fleisch, 8 bis 10 Eier, 4 bis 5 Portionen Kreuzblütengewächse (Brokkoli, Blumenkohl, Grünkohl, Wirsing, Pak Choi ...)

Nach drei Monaten mit dieser Ernährungsumstellung stieg der Testosteronspiegel dieser männlichen Probanden von 320 ng/dl auf 692 ng/dl. Der Wert hatte sich also allein durch die veränderten Essgewohnheiten mehr als verdoppelt!

Ein Balkendiagramm veranschaulicht die Veränderung des Testosteronspiegels durch eine dreimonatige kohlenhydratreduzierte mediterrane Diät. Der Wert stieg von 320 auf 692 ng/dl.
Abb3: Veränderung des Testosteronspiegels von 50 gesunden Männern durch eine kohlenhydratreduzierte mediterrane Ernährung. Quelle: Corsetti et al.,2023.

Dass die Mittelmeer-Ernährung hier so erfolgreich war, können wir auf mehrere Mechanismen zurückführen. So wissen wir beispielsweise, dass diese Form der Ernährung typische Testosteronkiller wie Zuckerkram, Fertiggerichte und Milchprodukte eliminiert und andererseits Lebensmittel betont, welche die Testosteronkonzentrationen steigern - bspw. grüne Blattgemüse, Nüsse und Fisch. Doch auch die veränderte Makronährstoffverteilung spielt hier eine entscheidende Rolle, denn insbesondere die einfach-ungesättigten Fettsäuren aus dem guten Olivenöl begünstigen bessere Hormonwerte. Und schließlich ist gut belegt, dass die mediterrane Ernährung eine bestehende Dysbiose der Darmflora rückgängig machen kann, deren Zusammenhang zum Testosteronmangel wir bereits weiter oben ergründet haben (Merra et al.,2020; Gundogdu et al.,2023). 

 

Das Beste aus beiden Welten: Die mediterrane Low-FODMAP-Diät

Nun weiß ich natürlich, dass viele RDS-Betroffene mit Grausen auf die Richtlinien der mediterranen Ernährung schauen. Hülsenfrüchte, viel Gemüse, Vollkornprodukte ... Wenn das mal nicht nach Blähungen und Bauchschmerzen klingt. Doch diese Ängste sind meist unbegründet. Interventionsstudien zeigen, dass die mediterrane Kost den Reizdarm sogar beruhigen kann (z.B. Staudacher et al.,2024). Doch es gibt noch eine weitere (und meiner Meinung nach auch besser geeignete) Option.

 

Denn interessanterweise gleichen die obigen Empfehlungen zur Steigerung des Testosteronspiegels nahezu 1:1 meiner mediterranen Version der Low-FODMAP-Diät (mLFD). Diese ist kohlenhydratreduziert, reich an gut verträglichem Gemüse und niederglykämischen Obst, proteinorientiert und liefert unzählige entzündungshemmende und antioxidative Wirkstoffe. Und wie du gerade gesehen hast, kann sie deinen Testosteronspiegel optimieren. Sie ist deshalb gerade für Athleten mit RDS ideal geeignet.

Noch nicht überzeugt? Dann solltest du dir klar machen, dass die vorübergehende FODMAP-Reduktion deine Reizdarmsymptome lindern wird und im besten Fall sogar vollständig zum Erliegen bringen kann, denn 50% der Patienten mit Reizdarmsyndrom zeigen eine FODMAP-spezifische Dysbiose, welche aber vollständig regenerierbar ist.  (Vervier et al.,2023).

 

Und der verbesserte Testosteronspiegel? Der erhöht deine Ernte bei Kraft, Muskelmasse und Fettabbau und vermindert deine Darmsymptome noch weiter bzw. langfristiger. Eine ganzheitliche Therapie im besten Sinne des Wortes also! 

 

Viel Spaß beim Kochen, Pumpen und Genesen wünscht dir dein

Thomas

 

P.S.: Demnächst werden wir uns hier intensiver mit dem richtigen Krafttraining, vor allem der Belastungssteuerung, für Patienten mit RDS, MCAS, Colitis etc. beschäftigen. Es bleibt also auch für die Freizeitathleten unter euch spannend. 

 

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Bildquellen-Nachweis

Abb1

So SY, Savidge TC. Sex-Bias in Irritable Bowel Syndrome: Linking Steroids to the Gut-Brain Axis. Front Endocrinol (Lausanne). 2021 May 19;12:684096. doi: 10.3389/fendo.2021.684096. PMID: 34093447; PMCID: PMC8170482.

 

Abb2

Rastelli D, Robinson A, Lagomarsino VN, Matthews LT, Hassan R, Perez K, Dan W, Yim PD, Mixer M, Prochera A, Shepherd A, Sun L, Hall K, Ballou S, Lembo A, Nee J, Rao M. Diminished androgen levels are linked to irritable bowel syndrome and cause bowel dysfunction in mice. J Clin Invest. 2022 Jan 18;132(2):e150789. doi: 10.1172/JCI150789. PMID: 34847080; PMCID: PMC8759776.

 

Abb3

Corsetti V, Notari T, Montano L. Effects of the low-carb organic Mediterranean diet on testosterone levels and sperm DNA fragmentation. Curr Res Food Sci. 2023 Nov 15;7:100636. doi: 10.1016/j.crfs.2023.100636. PMID: 38045510; PMCID: PMC10689274.

 

Bereitgestellt via der Creative Commons License 4.0

Es wurden keinerlei Änderungen durch den Autor dieses Artikels vorgenommen. 

 

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