Reizdarm und nichts hilft? Das könnte dahinter stecken!

Inzwischen verfügen wir über gleich mehrere evidenz-basierte und hoch-wirksame Verfahren zur Linderung der Beschwerden des Reizdarmsyndroms. Einige davon haben sogar das Potenzial, die Pathomechanismen unserer Erkrankung rückgängig zu machen und eine nachhaltige Heilung anzustoßen. Zu den besonders effektiven und gut erforschten Behandlungsansätzen zählen insbesondere ...

Und diese Liste ließe sich ohne weiteres um viele Nahrungsergänzungsmittel, Verfahren der Naturheilkunde und weitere Therapiekonzepte ergänzen. 

 

Doch als Betroffener oder Therapeut kennst auch du mit Sicherheit einige jener RDS-Patienten, die sich scheinbar erfolglos durch die gesamte verfügbare Palette an Behandlungsoptionen arbeiten. Vielleicht gehörst du ja sogar selbst zu dieser Gruppe? 

Auf den ersten Blick unterscheidet diese Betroffenen nur wenig von ihren erfolgreicheren Mitpatienten. Sie sind oft gut informiert, motiviert und zeigen meist auch ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Und dennoch ... 

 

In meiner bisherigen Laufbahn als Therapeut und Gesundheitsjournalist hatte auch ich immer wieder mit solchen Patienten zu tun. Und obwohl ich großes Verständnis für deren Situation und Verzweiflung habe, muss ich hier gestehen, dass mich so mancher von ihnen an den Rande eines Nervenzusammenbruchs brachte. 

Dies hatte allerdings weniger mit den jeweiligen Betroffenen selbst zu tun, sondern viel eher mit dem Versagen meiner gesamten therapeutischen Werkzeugkiste. Wie konnte es nur möglich sein, dass so viele meiner Klienten äußerst positiv auf Therapieversuche mit beispielsweise der Speziellen Kohlenhydrat Diät (SCD) oder Mastzellstabilisatoren ansprachen, während einige andere mit ganz ähnlichen Biomarker-Profilen und Prädiktoren vollkommen unbeeindruckt blieben oder sogar mit symptomatischen Provokationen reagierten? 

 

Ich spreche dabei auch nicht von jenen Patienten mit Reizdarmsyndrom, bei welchen eine seltenere oder komplexere Pathophysiologie den Erfolg einer Basistherapie torpediert. Bei diesen reicht häufig ein wenig Detektivarbeit und etwa der Wechsel von der Low-FODMAP-Diät zu einer stärkearmen Ernährung, um die gewünschten Fortschritte zu erzielen

Nein, ich spreche von jenen Reizdarm-Betroffenen, bei denen rein gar nichts zu helfen scheint. Kein Medikament, kein Nahrungsergänzungsmittel, kein Bewegungsprogramm, kein Ernährungsansatz, keine Akupunktur ... 

 

Über die Jahre wuchsen meine Erfahrungen mit und Beobachtungen an dieser definierten Patientengruppe und ich entwickelte meine ganz eigene Theorie des Phänomens. Nun wurden meine diesbezüglichen Überlegungen durch eine neue Studie aus Irland weiter unterfüttert. 

Bild eines Mannes, der ratlos oder resigniert die Schultern zuckt und hilflos beide Hände hebt.
Nichts hilft gegen deinen Reizdarm? Mit diesem Problem bist du keineswegs allein. In vielen Interventionsstudien liegt der Anteil therapieresistenter Patienten bei 5% bis 15%.

Inhaltsverzeichnis: Das wirst du in diesem Artikel lernen.

Irische Studie: Deutlich seltenere und kleinere Fortschritte für eine spezifische Gruppe von Reizdarmpatienten!

Eine irische Interventionsstudie (O´Connor et al.,2024) untersuchte von 2017 bis 2021 die Wirkungen zweier verschiedener Ernährungstherapien auf die Beschwerden von Patienten mit RDS-D (Durchfall) und RDS-M (Mischtyp - Durchfall und Verstopfung im Wechsel). Hierzu rekrutierten die Wissenschaftler 450 Reizdarmpatienten, die von Ärzten oder Kliniken an ihre gastroenterologische Fachklinik in Dublin überwiesen worden waren. Alle Probanden waren zuvor umfassend, bspw. labormedizinisch und endoskopisch, bezüglich alternativer Erklärungen für ihre Symptome untersucht worden.

 

Die eigentliche Ernährungsintervention bestand dann aus zwei aufeinander aufbauenden Phasen: 

  1. NICE-Guidelines. Alle Probanden wurden in den gängigen Ernährungsempfehlungen beim Reizdarmsyndrom geschult. Die NICE-Guidelines sind die klinischen Leitlinien des englischen National Institute for Health and Care Excellence. Studien belegen, dass bereits kleine Veränderungen des Essverhaltens (regelmäßige Mahlzeiten, weniger Ballaststoffe, Reduktion von Tee und Kaffee usw.) genügen, um bis zu 40% der Betroffenen gute symptomatische Fortschritte zu ermöglichen (z.B. Eswaran et al.,2016). 
  2. Low-FODMAP-Diät. Führte das Befolgen der NICE-Empfehlungen innerhalb von drei Monaten nicht zum Erreichen des primären Ziels (Reduktion der IBS-Symptom-Severity-Scale um mindestens 50 Punkte), erhielten diese Patienten eine Ernährungsberatung zur Low-FODMAP-Diät und wurden angehalten, die kurzkettigen, schwer verdaulichen und fermentierbaren Kohlenhydrate für sechs Wochen weitestgehend zu meiden. Gleich mehrere komparative Untersuchungen zeigen, dass von der Low-FODMAP-Diät noch einmal deutlich mehr RDS-Betroffene profitieren (nämlich ca. ein weiteres Fünftel) und dass diese mitunter stärkere symptomatische Verbesserungen verbuchen können als mit den NICE-Guidelines (Eswaran et al.,2016Zahedi et al.,2018). Die höhere Effektivität wird allerdings durch größere Einschnitte im persönlichen Lebensstil und auch einige Risiken und Nebenwirkungen der Low-FODMAP-Ernährung erkauft. 

Wir haben also ein paar klare Richtwerte, an denen wir uns bezüglich der zu erwartenden Ergebnisse orientieren können! Schauen wir mal, ob die beiden Ernährungstherapien auch in diesem Experiment ähnlich performten ... 

 

Erkenntnis I: NICE-Empfehlungen und Low-FODMAP helfen vielen Betroffenen des Reizdarmsyndroms vom Durchfalltyp und Mischtyp.

45% der Probanden reagierten auf die Umsetzung der NICE-Guidelines mit relevanten klinischen Verbesserungen. Dies entspricht beinahe exakt der Responder-Quote in vorausgegangen Studien. Beachtet werden sollte, dass gerade bei den NICE-Leitlinien zur Ernährung nicht alle Probanden diese auch in gleichem Maße umsetzen, da es keine festen Kriterien zur Ballaststoffmenge o.ä. gibt. 

 

Diese Rate erfolgreicher Probanden erhöhte sich allerdings weiter, nachdem viele der bis dahin nicht-erfolgreichen Patienten für weitere sechs Wochen eine Low-FODMAP-Diät durchführten. Etwas mehr als die Hälfte dieser Patienten erreichte das Studienziel im zweiten Schritt durch die FODMAP-Reduktion, so dass die Gesamt-Responder-Quote nun bei immerhin 56% lag. (Rechnen wir Drop Outs etc. aus, lag diese Rate noch ein ganzes Stück höher - bei rund 72%.)

 

Halten wir also fest: Fast ein Dreiviertel der Patienten mit überwiegend starken oder moderaten Reizdarmsymptomen erzielten durch das Befolgen einfacher Ernährungsempfehlungen oder aber das spätere Umsetzen der FODMAP-Richtlinien nennenswerte symptomatische Verbesserungen! 

 

Die durchschnittliche Verbesserung auf der IBS-SSS zur Abschätzung des individuellen Schweregrads betrug 100 Punkte, wobei die Verbesserungen in der Kategorie "schwer ausgeprägtes Reizdarmsyndrom" mit 120 am höchsten ausfielen.

 

Doch hinter beinahe jedem Durchschnitt verbergen sich eben nicht selten auch Extreme ...

Foto vieler Scrabble-Spielsteine, die das Wort "Loser" (Verlierer) bilden.
Bei einigen Patienten mit Reizdarmsyndrom helfen die ansonsten bewährten Therapieoptionen nicht, oder sind deutlich weniger effektiv. Inzwischen verfügen wir über einige Erklärungsansätze für dieses Phänomen.

Erkenntnis II: 80% vs. 12,5% Erfolgschance - Deine Psyche macht den Unterschied.

Allgemein gesehen könnten wir die Ergebnisse dieser Studie als positiv und Mut-machend beschreiben. Doch das durchschnittliche Ergebnis täuscht über einige wichtige Details hinweg, welche sowohl für Betroffene als auch Therapeuten von enormer Relevanz sein sollten. 

So erzielten lediglich 43% einer bestimmten Betroffenen-Kategorie das primäre Endziel (welches ohnehin recht niedrig gesteckt war), während dies auf 64% der zweiten Gruppe zutraf. Doch damit nicht genug, denn diese Diskrepanz des Therapieerfolgs vergrößerte sich noch einmal deutliich, wenn man die verschiedenen Schweregrade in die Analyse einbezog! 

 

Doch welche Variable konnte bloß für diese Unterschiede verantwortlich gewesen sein?

 

Ich spanne dich nun nicht mehr länger auf die Folter. Neben den symptomatischen, anamnestischen und soziodemographischen Daten hatten die Wissenschaftler auch psychiatrische Scores erfasst. Dazu nutzten sie die Hospital Anxiety and Depression Scale, einen gut etablierten und validierten Fragebogen zur Selbsteinschätzung depressiver und Angstsymptome. 

Teilt man nun die Reizdarmprobanden anhand ihres HADS-Ergebnisses in zwei Gruppen ein, ergeben sich deutliche Unterschiede bei den Therapieerfolgen! 

 

Interessanterweise wirkten sich häufigere bzw. stärkere Angstsymptome nicht negativ auf die Ernährungsinterventionen aus. Patienten mit Angsterkrankungen oder vermehrtem Angsterleben hatten also die gleichen Chancen, von den NICE-Guidelines oder der FODMAP-Diät zu profitieren wie psychisch unauffällige Patienten mit einem Reizdarmsyndrom.

Das sah bei depressiven Verstimmungen allerdings ganz anders aus!

 

RDS-Patienten mit depressiven Verstimmungen ...

  • hatten eine deutlich herabgesetzte Erfolgswahrscheinlichkeit
    • beim milden Reizdarm: 12,5% vs. 80%
    • beim moderaten Reizdarm: 35% vs. 69%
  • erzielten signifikant geringere symptomatische Verbesserungen.
    • beim milden Reizdarm: -45 vs. -79
    • beim moderaten Reizdarm: -60 vs. -112(!)
  • zeigten eher eine schwere Ausprägung der Erkrankung. 

Noch einmal etwas weniger abstrakt: Es profitierten doppelt so viele Reizdarmpatienten ohne depressive Verstimmungen von einer Ernährungstherapie als RDS-Patienten mit depressiven Verstimmungen. In der letztgenannten Gruppe war es gerade einmal einer von drei Patienten. Und selbst wenn die Probanden mit depressiven Symptomen eine Verbesserung ihrer Darmbeschwerden verzeichnen konnten, fiel diese deutlich magerer aus - in etwa nur halb so stark wie bei Patienten ohne depressive Verstimmungen. 

 

Klingt nicht so gut, oder? Nun könnten wir es uns leicht machen und behaupten, es handele sich hierbei um ein Randthema, das nur wenige Patienten betrifft. Wüssten wir nicht auch, dass depressive Verstimmungen zu den häufigsten Komorbiditäten des Reizdarmsyndroms gehören (Zamani et al.,2019). Auch in der heute besprochenen Studie lag der Anteil der Patienten mit einem HADS-D-Score über 8 bei weit über 30% aller Probanden. 

 

Nein, es handelt sich nicht nur um ein artefakt!

Wäre es nur diese eine Studie, dann wäre ich sicher vorsichtiger mit meiner Hypothese. Doch das ist nicht der Fall. Die neue irische Untersuchung reiht sich stattdessen ein in ein ganzes Gebäude an Evidenz. So zeigen weitere Studien ganz ähnlich katastrophale Effekte bei der Sabotage der Effektivität von Ernährungsprotokollen (siehe bspw. auch Colomier et al.,2022). 

 

Ein gern vorgebrachtes Gegenargument lautet, dass RDS-Patienten mit depressiven Verstimmungen lediglich weniger geneigt sind, die Ernährungsempfehlungen sauber und dauerhaft umzusetzen.

Dumm nur, dass die prädiktive Aussagekraft depressiver Verstimmungen nicht nur im Rahmen der Ernährungstherapie eine Rolle spielt. Sie vermindern nachweislich die Therapieerfolge und die empfundene Zufriedenheit mit verschiedensten Behandlungsansätzen - und damit verknüpft zusätzlich auch die Zufriedenheit mit dem Arzt oder Therapeuten (z.B. Singh et al.,2020). So hilft beispielhaft die gut-directed hypnotherapy (medizinische Bauchhypnose) gerade jenen Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, die unter besonders starken Symptomen leiden. Doch ausgeprägtere depressive Verstimmungen vor Beginn der Hypnosesitzungen vermindern nachweislich den Therapieerfolg (Devenney et al.,2024). Besonders spannend ist auch, dass diese Effekte sich sogar auf reine Plazebo-Untersuchungen auswirken können (Ballou et al.,2022). 

Bild zweier Figuren: Psychologe im Sessel und Patient auf einer Couch.
Wenn bei deinem Reizdarm schlicht keine Therapie zu helfen scheint, könnte sich eine Depression hinter diesem Phänomen verstecken. Eine Psychotherapie könnte den nötigen Anstoß geben.

Es soll also mal wieder die angeknackste Psyche an allem schuld sein? Bleib mir bloß weg damit!

Die vorhandenen Daten weisen also darauf hin, dass die Psyche der Patienten einen enormen Einfluss auf den Therapieerfolg verschiedener Behandlungsansätze haben könnte. Wie hätte ich nach meinem Psychologiestudium und zahlreichen psychotherapeutischen Weiterbildungen darauf kommen können? 

 

Ich will ganz ehrlich zu dir sein: Nach vielen Jahren mit der Diagnose "schweres Reizdarmsyndrom vom Durchfalltyp" (welche später in die Diagnosen MCAS und Colitis abgewandelt wurde) hatte ich dermaßen die Nase voll von der Psychologisierung meiner Beschwerden, dass ich den Ärzten und Professoren einfach nur das Gegenteil beweisen wollte. Eigentlich war dies, neben meiner persönlichen Verzweiflung durch die Symptome und Einschränkungen im Alltag, meine Motivation, um die umfassende Recherchearbeit zu beginnen, welche diesen Blog noch heute speist.

Und was es da alles zu entdecken gab: Veränderungen im gastrointestinalen Serotonin-System, Mastzellhyperplasie, Dünndarmfehlbesiedlung, struktureller Saccharase-Isomaltase-Mangel ... Das alles waren rein biologische Phänomene, die für mich schlüssiger klangen als das Gerede über Neurotizisms, Alexithymie, Somatisierung usw. Und sie lösten eine tiefe Faszination und Begeisterung in mir aus. Ich würde damit nicht nur mir selbst, sondern vielen weiteren Menschen mit den selben Problemen helfen können!

 

In einem älteren Fachartikel formulierten die Autoren (allesamt Psychiater) damals treffend, dass ironischerweise Psychiater und Psychotherapeuten häufig über biologische Ursachenhypothesen und Behandlungsansätze für das Reizdarmsyndrom schreiben, während Internisten und Gastroenterolgen sich gern an psychologischer Ursachenforschung versuchen. Über die Gründe für diese Diskrepanz möchte ich hier aus Gründen der Lesbarkeit nicht weiter spekulieren. 

Doch gern möchte ich zugeben, dass mich die Rollen als Betroffener und Therapeut wohl ein Stück weit "betriebsblind" für mein eigenes Fach gemacht haben. 

 

Auch weiß ich, wie viele meiner Leser und Klienten mit RDS auf das Thema Psyche reagieren. Es ist eben bei weitem nicht so sexy wie die gehypte Carnivore-Diät oder ein leckerer Low-FODMAP-Blueberry-Cheesecake-Muffin. Ganz im Gegenteil: Bei den meisten von ihnen provoziere ich damit Abwehrreflexe. Und da ich viele leidvolle Erfahrungen mit ihnen teile, kann ich das bestens nachvollziehen. 

 

Dennoch kann ich dir aufgrund meiner therapeutischen Erfahrung und auch der zitierten Studien nur raten: Solltest du zu den besonders therapieresistenten Patienten mit RDS gehören, bei denen einfach nichts, aber auch gar nichts, zu helfen scheint, dann lass dich einmal gründlich psychotherapeutisch durchchecken und stelle dich gegebenenfalls einer entsprechenden Therapie. Diese könnte der Türöffner sein, um deine Genesung anzustoßen! 

 

Übrigens: Du musst diese Schritte nicht wirklich nacheinander gehen, sondern kannst zeitgleich auf beiden Ebenen arbeiten. Zum Beispiel zeigen Studien auch, dass eine gesunde mediterrane Ernährung dein Mikrobiom verbessern, Reizdarmbeschwerden mindern und deine Psyche auf Vordermann bringen kann (Staudacher et al.,2024). Und wenn du dann noch einen erfahrenen Psychotherapeuten findest, steht deiner Erfolgsgeschichte nichts mehr im Wege! 

Verliere die denkbare Option einer Beteiligung deines Innenlebens also bitte nicht aus den Augen. Es könnte dich sonst um ein besseres Wohlbefinden bringen ... 

 

Eine gute Besserung wünscht dir

dein Thomas. 

 

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