Einen Reizdarm behandeln ist heute eigentlich kein Problem mehr. Die Wissenschaft etablierte gerade in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrere Therapieverfahren, welche die lästigen Reizdarm-Symptome wie Bauchkrämpfe, Blähungen, Durchfälle oder Verstopfung verlässlich und nebenwirkungsarm lindern können. Eindrucksvolle Interventionsstudien belegen heute sogar in regelmä´ßigen Abständen, dass das der Reizdarm heilbar ist und rütteln damit am weit verbreiteten Mythos der funktionellen und unheilbaren Erkrankung! Der von mir als ehemaligem schwer betroffenen RDS-Patienten am meisten gehasste Satz "Sie müssen lernen, mit Ihren Beschwerden zu leben" hat damit endlich ausgedient und sollte für immer aus dem Phrasenkatalog praktischer Mediziner verbannt werden!
Obwohl Frauen deutlich häufiger über die klassischen Symptome der Erkrankung klagen, neigen gerade sie zu angeblich "sanften Behandlungsmethoden". Nun bin ich sicherlich der Allerletzte, der etwa der Homöopathie beim Reizdarm ihren Nutzen absprechen würde[1]. Und gleiches gilt prinzipiell auch für andere Naturheilverfahren wie die Akupunktur, die Kräuterheilkunde oder das Reizdarm-Yoga, welche allesamt ihr therapeutisches Potenzial bei der Linderung chronischer Darmbeschwerden unter Beweis gestellt haben[2][3][4]. Die Effekte vieler dieser natürlichen Behandlungsmethoden gingen in Untersuchungen mitunter sogar weit über jene von Medikamenten hinaus. Immerhin fast die Hälfte aller RDS-Patienten nutzt regelmäßig alternative Heilmethoden oder naturheilkundliche Verfahren. Dabei bilden Frauen den absoluten Löwenanteil dieser Gruppe[5]. Doch obwohl diese Therapieansätze und auch viele Reizdarm-Hausmittel nachweislich über eine gute Wirksamkeit bei vergleichbar geringen Nebenwirkungen verfügen, ist gerade das weibliche Geschlecht deutlich anfälliger für eine nicht ausreichende Kontrolle der Reizdarm-Beschwerden. Ganzheitliche Therapiekonzepte unter Einbeziehung von Lebensstilfaktoren, Medikamenten und auch naturheilkundlichen Verfahren sind oftmals notwendig, um nennenswerte Verbesserungen zu erzielen[6].
Warum gerade DU als Frau dich keinesfalls auf singuläre Behandlungen mittels bspw. Probiotika, Heilerde und Co. verlassen solltest, sondern bei der Bewältigung deines Reizdarmsyndroms eher noch eine Schippe draufpacken musst, möchte ich dir anhand ausgewählter wissenschaftlicher Untersuchungen in diesem Artikel erklären.
Inhalt: Frauen und das Reizdarmsyndrom
- Frauen sind deutlich häufiger von Reizdarm-Symptomen betroffen
- Warum entwickeln Frauen deutlich häufiger ein Reizdarmsyndrom?
- Wirken sich Lebensstilfaktoren unterschiedlich stark auf Männer und Frauen aus?
- Sollten Frauen ihren Reizdarm prinzipiell anders behandeln als männliche Betroffene?
- Konkrete Empfehlungen für Frauen bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms
- Literaturverzeichnis
Frauen sind deutlich häufiger von Reizdarm-Symptomen betroffen als Männer
Frauenbild, Scham und Arztbesuche: Stimmt die Statistik?
Frauen, Reizdarm & Endometriose
Zu den geschlechtsspezifischen Besonderheiten beim Reizdarmsyndrom gehört gehört der enge Zusammenhang zwischen Reizdarm und Endometriose. Letztere ist eine chronische Erkrankung der Frau, bei welcher der Gebärmutterschleimhaut ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle vorkommt. Während des Menstruationszyklus kommt es dann zu Gewebeveränderungen mit Narbenbildungen und mitunter starken Schmerzen, welche zumeist den Unterbauch bzw. die Beckenregion betreffen. Zu den verbreitetsten Beschwerden der Endometriose gehören neben Bauchschmerzen dann auch Stuhlunregelmäßigkeiten, über welche immerhin fast vier von fünf Patientinnen klagen. Ein typisches Reizdarm-Symptom der Frau ist Übelkeit. Auch diese könnte, neben dem häufig ebenfalls vorhandenen Reizmagen, einer Endometriose geschuldet sein.
Aktuelle Metadaten zeigen, dass Frauen mit einer Endometriose ein mindestens doppelt so hohes Risiko haben, an den Aymptomen des Reizdarmsyndroms zu leiden als jene ohne die Erkrankung[13]. Da es sich beim Reizdarmsyndrom bisher immer noch um eine Ausschlussdiagnose ohne konkrete Biomarker handelt, die anhand klinischer Kriterien gestellt wird, kann die eine Endometriose also durchaus eine Ursache für deine Darmbeschwerden sein. Jede Leserin mit einem Reizdarmsyndrom sollte sich also auch gynäkologisch gründlich untersuchen lassen, vor allem wenn ein zeitlicher Zusammenhang der Beschwerden zur Regelblutung besteht. Dies ist unumgänglich, um eine zielgerichtete und effektive Therapie einzuleiten[14]. Beide Erkrankungen teilen übrigens viele Krankheitsmechanismen, von Mikroentzündungen bis Immunaktivierung.
WARUM sind Frauen deutlich häufiger vom Reizdarmsyndrom betroffen?
- erhebliche Unterschiede bei der gastrointestinalen Transitzeit von Nahrungsbrei und Stuhl
- unterschiedliche viszerale Wahrnehmungsschwellen (viszerale Sensitivität)
- eine andere Schmerzwahrnehmung und -weiterleitung im Zentralen Nervensystem
- darmspezifische Effekte weiblicher Sexualhormone
- starke Unterschiede im neuroendokrinen System
- eine andere Stressreaktivität
- unterschiedliche vegetative Ladungen (Autonomes Nervensystem: Parasympathikus vs. Sympathikus)
Um den Inhalt dieses Artikels nicht allzu sehr mit wissenschaftlichen Details zu überfrachten, spare ich mir an dieser Stelle eine ausführliche Betrachtung der einzelnen Punkte und verweise besonders neugierige Leserinnen auf die Grundlagenarbeit von Lin Cheng und Margaret Heitkemper im Fachblatt Gastroenterology.
Gern möchte ich dir aber wieder anhand eines ausgewählten Aspektes demonstrieren, warum Frauen unbedingt anders mit ihrem Reizdarm umgehen müssen als Männer. Experimente verdeutlichen, dass das weibliche Sexualhormon Östrogen so genannte Spurenamine im Darm modulieren kann. Eine solche gesteigerte Konzentration von Spurenaminen führt nicht nur zu einem proentzündlichen Milieu, sondern auch zu einer herabgesetzten Integrität deiner Darmbarriere (dem Leaky Gut Syndrom). Darauf spezialisierte Wissenschaftler stellten kürzlich die Hypothese auf, dass dieser Zusammenhang die Überschneidungen zwischen Reizdarmsyndrom, dem weiblichen Geschlecht, Fehlernährung und einer Dysbiose der Darmflora vermitteln könne[17].
Hat ein ungünstiger Lebensstil für den Darm einer Frau heftigere Konsequenzen?
- ein Zuwenig an körperlicher Bewegung[18]
- regelmäßigen Kaffee-Genuss[19]
- zu wenig Schlaf[20]
- ungünstiges Essverhalten[21]
- Alkohol[22]
- chronischen Stress in Privatleben oder Beruf[23]
Mit anderen Worten: Während deine männlichen Leidensgenossen mit einem Reizdarm mit vielen Gesundheitssünden im Alltag noch ungeschoren davon kommen, können sich bei dir als Frau bereits kleinste Schnitzer durch quälende Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfälle bemerkbar machen!
Um dir einmal zu verdeutlichen, wie empfindlich das weibliche Geschlecht auf diese Lebensstilfaktoren beim Reizdarm reagiert, möchte ich erneut knapp die Ergebnisse einer relevanten Studie vorstellen. In einer Untersuchung führte bereits das Trinken von einer Tasse Kaffee pro Woche(!!!) zu einem signifikant steigenden RDS-Risiko und zwar für beide Geschlechter. Allerdings fand sich mit einer steigenden Menge konsumierten Kaffees ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Schwere der Reizdarm-Symptome ausschließlich für Frauen. Noch einmal dramatisch verstärkt wurde die Assoziation, wenn die weiblichen Probanden einen Body-Mass-Index (BMI) von 25 aufwiesen. Und ganz ähnlich verhält es sich mit dem Rotwein am Abend, dem Bewegungsmangel (in Untersuchungen führten Schrittzahlen unter 10.000/Tag zu RDS-Beschwerden) usw.
Die hier präsentierten Erkenntnisse haben zwei Konsequenzen. Auf der einen Seite bedeuten sie schlicht und ergreifend, dass du als Frau einen ordentlichen Mehraufwand betreiben musst und einfach strenger bei deiner Diät, deiner Schlafhygiene etc. sein solltest. Aber ich habe auch eine positive Nachricht für dich: Selbst geringste Veränderungen deines Alltags, wie die Erhöhung der Schrittzahl oder 3x30 Minuten wöchentlich auf dem Fahrradergometer, erreichen in Studien an Frauen erhebliche Verbesserungen der Reizdarm-Symptome und der zugrundeliegenden biologischen Krankheitsmechanismen[24].
FAZIT: Als Frau mit Reizdarm musst du einfach deutlich mehr tun, um deine Beschwerden im Griff zu haben und deine Erkrankung perspektivisch vielleicht sogar in eine Remission bringen zu können!
Solltest DU als Frau deinen Reizdarm anders behandeln als ein Mann?
Hier erst einmal einige Grundpfeiler für die Gestaltung deiner RDS-Behandlung:
- Als Frau mit einem Reizdarmsyndrom solltest du unbedingt holistisch/ganzheitlich arbeiten. Kombiniere medikamentöse Ansätze mit Lebensstilinterventionen, Ernährungstherapie und naturheilkundlichen Verfahren.
- Sei bitte besonders streng bei den Risikofaktoren bzw. Triggerfaktoren der Reizdarm-Symptome der Frau. Meide Kaffee, Alkohol und Zucker, treibe regelmäßig Sport und achte vor allem auf deine Schlafhygiene und dein Stressmanegement.
- Kümmere dich um eine Balance deiner Sexualhormone, um extreme Hormonschwankungen zu vermeiden.
Im folgenden Abschnitt werde ich dir noch einige konkrete Hinweise geben, wie du deine weibliche Reizdarm-Erfolgsgeschichte starten kannst!
Konkrete Empfehlungen: Reizdarm behandeln speziell für Frauen
- die "Klassiker": Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Mikroskopische Colitis, Zöliakie, Schilddrüsenerkrankungen, Parasitosen (wird im Normalfall vom Arzt vorgenommen)
- die "Unbeachteten": Dünndarmfehlbesiedlung, Nicht-Zöliakie-Glutenunverträglichkeit, systemische Nickelallergie, Nahrungsmittelallergien, Gallensäureverlustsyndrom, Bauchspeicheldrüsenschwäche etc. (das Aufdecken einer dieser Störungen hinter den Reizdarm-Symptomen kann deine Linderung oder gar Heilung deutlich erleichtern oder beschleunigen)
Und schließlich solltest du auch unbedingt die Endometriose als mögliche Ursache deiner Beschwerden mit ins Auge fassen.
Hast du das alles bereits abgeklärt? Sehr gut! Dann geht es frisch ans Werk.
1. Beginne eine evidenz-basierte Ernährungsumstellung!
Die Ernährungstherapie bildet die Grundlage jeder effektiven Reizdarm-Behandlung. Die low-FODMAP-Diät ist heute das am besten untersuchte Ernährungskonzept beim Reizdarmsyndrom. Drei von vier RDS-Betroffenen profitieren von der Vermeidung der kurzkettigen, fermentierbaren Kohlenhydrate. Doch die Diät hat auch ihre Schwächen. Vor allem geht sie mitunter sehr liberal mit vielen Treibern hinter der Darmpathologie um. Kaffee, Zucker, künstliche Zusatzstoffe, Alkohol und glutenhaltige Getreidesorten haben gerade am Anfang nichts in deiner FODMAP-Reduktion zu suchen! Orientiere dich bei der Gestaltung deiner low-FODMAP-Ernährung am besten an den Richtlinien der darmgesunden Mittelmeer-Kost: Viel erlaubtes Gemüse und Olivenöl, glutenfreier Hafer, Buchweizen, Hirse etc., ergänzt durch ein bis zwei niederglykämische FODMAP-arme Früchte, laktosefreie Milchprodukte, Nüsse und Samen, sowie einige qualitativ hochwertige tierische Produkte.
Da gerade viele Patientinnen unter einem Mangel des Enzyms Sucrase-Isomaltase leiden, kannst du, sollte die FODMAP-Diät keine Erfolge mit sich bringen, eine stärkearme Diät wie die Spezielle Kohlenhydratdiät oder Reizdarm-Paleo-Diät versuchen.
2. Ergänze dein Ernährungsprogramm durch ausgewählte Nahrungsergänzungsmittel!
Zwei Pathomechanismen des Reizdarmsyndroms spielen bei Frauen eine bedeutende Rolle.
Du solltest unbedingt deinen Vitamin-D-Status überprüfen lassen. Als Frau und Reizdarm-Patientin gehörst du zur Hochrisikogruppe für eine Defizienz dieses wichtigen Prohormons. Eine Behebung eines solchen Mangels durch ein Supplement führt nachweislich zu schnellen und signifikanten Linderungen der Reizdarm-Symptome[26].
Weiterhin besteht durch die hohe Rate postinfektiöser Erkrankungen beim weiblichen Geschlecht ein gesteigertes Risiko für eine durchlässigere Darmbarriere (Leaky Gut). Liegt letztere vor, führte die Gabe der Aminosäure L-Glutamin in Studien innerhalb kürzester Zeit zu einer Halbierung der Reizdarm-Beschwerden[27]. Die Existenz eines Leaky Gut Syndroms kannst du bequem über einen Stuhltest mit der Bestimmung des Markers Zonulin nachweisen lassen.
Beide Nahrungsergänzungsmittel lassen sich hervorragend mit der FODMAP-Diät kombinieren und erhöhen deren Effektivität[28]. Unten füge ich einige Verweise an, wie du den Vitamin-D-Mangel und die gestörte Darmbarriere bequem in den eigenen vier Wänden untersuchen lassen und behandeln kannst.
3. Bewege dich mehr!
Dazu gibt es nicht viel zu sagen: 10.000 Schritte pro Tag sind ein Muss, um deine Reizdarm-Beschwerden zu minimieren. In einer japanischen Studie errechneten Forscher anhand der teilnehmenden Studentinnen, dass eine Erhöhung der täglichen Schrittzahl von 4.000 auf 10.000 die RDS-Beschwerden um bis zu 50% vermindern könnte! Also Schrittmesser auf dem Smartphone aktivieren und ab die Post!
4. Erlerne ein Entspannungsverfahren oder übe die Bauchhypnose!
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen eindeutig, dass besonders das weibliche Geschlecht von einer Regulation der Hirn-Mikrobiom-Darm-Achse profitiert[29]. Du solltest also unbedingt ein Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder MBSR erlernen. Noch mehr Potenzial hat aber die so genannte Bauchhypnose, welche in Studien vergleichbare Effekte erzielen konnte wie die populäre low-FODMAP-Diät! Interessanterweise konnte bestätigt werden, dass das Üben der darmfokussierten Hypnotherapie anhand von Audio-CDs die selbe lindernde Wirkung zeigte wie eine tatsächliche Sitzung beim Psychologen.
5. Balanciere die weiblichen Sexualhormone!
Klingt nach den weiter oben beschriebenen Zusammenhängen recht logisch, oder? Aber wie genau sollst du das eigentlich bewerkstelligen? Hast du die ersten vier Schritte bereits systematisch abgehakt, hast du schon einen Großteil der Arbeit erledigt. Gerade Zucker bzw. Blutzuckerschwankungen, Alkohol, Bewegungs- und Vitamin-D-Mangel, sowie chronischer Stress gehören zu den Haupttriggern für eine hormonelle Dysbalance der Frau. Darüber hinaus kannst du aber noch einige andere Interventionen erwägen, um deinen Hormonstatus zu optimieren und starke Schwankungen der Sexualhormone zu vermeiden.
- Gehe jeden Abend zur gleichen Zeit ins Bett. Schlafe mindestens neun Stunden. Drei Stunden vor dem Zubett-Gehen kein Fernsehen, Handy, Tablet etc. (kurzwelliges blaues Licht stört die Schlafqualität) und keine Snacks mehr. Guter Schlaf ist ein massiv unterschätzter Faktor bei der Behandlung des RDS!
- Setze eventuell weitere Nahrungsergänzungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren und einen B-Vitamin-Komplex ein.
- Konsumiere täglich zwei Tassen grünen Tee.
Du kannst deinen Hormonstatus auch anhand eines Speicheltests bestimmen lassen. Ergeben sich dort größere Ungereimtheiten, solltest du mit deinem behandelnden Arzt über weitere Maßnahmen sprechen!
So, nun bleibt mir nur noch zu sagen: Selbst ist die Frau!
Bei deiner Behandlung des Reizdarmsyndroms wünsche ich dir alles erdenklich Gute!
Dein Thomas
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Literaturverzeichnis: Frauen und Reizdarm
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