Die Spezielle Kohlenhydratdiät (engl. Specific Carbohydrate Diet, meist kurz SCD) provoziert seit nunmehr fast 130 Jahren Hoffnungen ihrer Anwender und wahre Hasstiraden ihrer Gegner. Schaut man sich Selbsthilfeforen und Blogbeiträge an, so kann man auch tatsächlich skeptisch werden. Einige der "Erfolgsgeschichten" klingen nämlich nahezu unglaublich und grenzen an ein mittelgroßes Wunder. Vor allem die Fortschritte vieler Kinder mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen aber auch Autismus sind tatsächlich nahezu herzzereißend. Und natürlich generieren solche "Wundergeschichten" und die Absolutheit, mit welcher die Anwender ihre Therapie oft verteidigen, eine starke Gegenreaktion:
- Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für das Funktionieren dieser Kost. (Plazebovorwurf)
- Es mag ja sein, dass Dir persönlich diese SCD geholfen hat, dem Großteil der Betroffenen hilft sie aber nicht! (Selektivitätsvorwurf)
- Eine solche Einschränkung der Ernährung schafft auf lange Sicht mehr Probleme als Nutzen. (Schadensvorwurf)
Genau aus diesem Grund, nämlich um solcherlei Behauptungen (Hypothesen) zu bestätigen oder zu entkräften, brauchen wir die moderne Wissenschaft. Diese hat im Jahr 2017 schon wieder einiges an Erkenntnisgewinn zur Speziellen Kohlenhydratdiät beigetragen.
Erfahren Sie in den nächsten Abschnitten, wie viele Menschen von der SCD profitieren, wie Kinder mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mit Hilfe der Speziellen Kohlenhydratdiät aus dem aktiven Krankheitskreislauf gelangen und wie die Diät innerhalb kurzer Zeit eine dysbiotische (ungünstig verschobene) Darmflora hin zum Positiven verändert.
Die Spezielle Kohlenhydratdiät (SCD) senkt die Betroffenenquote von täglichem Durchfall von 81% der Patienten auf 10%!
Beginnen wir erst noch einmal mit einer Patientenperspektive. Professor und Kinderarzt David Suskind, Autor des SCD-Buches Nimbal Therapy (großartig vor allem für Kinder, aber auch für SCD-Neulinge, leider nur in Englisch), und seine Kollegen befragten 411 SCD-erfahrene Erwachsene mit Morbus Crohn, Kolitis ulcerosa und nicht klassifizierter Kolitis nach ihren Erfahrungen mit der Diät. Im Durchschnitt waren die Befragten 35 Jahre alt. Der Großteil (70%) waren weiblich. Dies ist nicht verwunderlich, denn Frauen zeigen sich in Studien deutlich häufiger an nicht-medikamentösen Ansätzen interessiert und scheinen ihre Krankheitsprozesse deutlich proaktiver zu gestalten, als ihre männlichen Mitbetroffenen. Die SCD-Erfahrung der befragten Personen reichte von drei Monaten bis zu 60 Jahren!
Einige zentrale Ergebnisse aus "Patients perceive clinical benefit from the Specific Carbohydrate Diet for Inflammatory Bowel Disease":
- 44% der Befragten nutzten die SCD als alleinige Therapie, 56% nahmen zusätzlich Medikamente ein (dabei machten auch Vitaminpräparate und Probiotika einen großen Teil aus)
- Die Rate der Betroffenen mit Bauchschmerzen sank von 80% auf 7% nach 12 Monaten SCD.
- Die Rate der Betroffenen mit Durchfall sank von 81% der Betrpffenen auf 10% nach 12 Monaten SCD.
- Die Rate der Betroffenen mit starken Einschränkungen im Alltag sank von 65% auf 4% nach 12 Monaten SCD.
- Die Rate der Betroffenen mit Gewichtsverlust sank von 58% auf 4% nach 12 Monaten SCD.
- 47% der Befragten berichteten Verbesserungen ihrer Blut- und Stuhlmarker im Labor, 46% suchten keinen Arzt mehr auf bzw. waren sich unsicher und nur 7% berichteten keine Verbesserungen ihrer Marker
Zum Thema SCD gibt es einige sehr interessante Bücher. An erster Stelle steht natürlich die theoretische Einführung von Elaine Gottschall MSc, welche die Diät erst richtig populär gemacht hat. Breaking the Vicious Cycle oder zu deutsch Diät bei Morbus Crohn und Kolitis ulcerosa hat auch heute nichts von seinem Charme verloren. Ein großes Problem ist immer noch das Fehlen guter deutschsprachiger Kochbücher. Hier kann ich nur empfehlen, zu den englischen Bestsellern zu greifen und sich einmal inspirieren zu lassen, wie man ohne Getreide Kuchen backen, Lasagne machen und sogar "Fake-Reis" anbraten kann. Besonders empfehlen kann ich aus eigener Erfahrung Cooking for the Specific Carbohydrate Diet und Eat Well, Feel Well. Dieser Einblick, bzw. diese Inspiration ist besonders wichtig, denn viele Einsteiger scheitern leider ganz am Anfang, nämlich wenn sie nach zwei Wochen feststellen, dass jeden Tag Hähnchen und Zucchini irgendwann nicht mehr schmeckt ... Deshalb immer ran an den Lesestoff und ans Experimentieren in der Hexenküche, damit es einmal solche Erfolge zu vermelden gibt, wie weiter oben geschildert.
Zwischenspiel für Leser mit guten Englischkenntnissen: Professor Suskind über die Spezielle Kohlenhydratdiät und warum sie wirkt
Die Spezielle Kohlenhydratdiät (SCD) verringert die Dysbiose der Darmflora in nur zwei Wochen!
Wir wissen heute, dass mit Erkrankungen wie Morbus Crohn, Kolitis ulcerosa, dem Reizdarmsyndrom, aber noch vielen weiteren, Veränderungen der körpereigenen Darmflora bzw. des Mikrobioms einhergehen. So fehlen den Patienten chronischer Darmerkrankungen bis zu 25% der Bakterienspezies gesunder Kontrollpersonen. Ob diese Verschiebungen in der bakteriellen Innenwelt die Ursache für den Ausbruch der Erkrankungen darstellen (wofür es inzwischen einige Hinweise gibt), oder aber die Veränderungen mit einem veränderten Ernährungsverhalten zu erklären sind (wer isst schon gern fünf Portionen Gemüse und Obst, wenn er Durchfall hat?), ist noch nicht abschließend geklärt. Unstrittig ist aber, dass verschiedenste Therapiemethoden, welche das Mikrobiom/die Darmflora zum Ziel haben, einen enormen Nutzen zeigen. Dazu gehören die Ernährungsumstellungen genauso, wie die Verwendung spezifischer Antibiotika (z.B. Rifaximin), Probiotika und Präbiotika und auch der Einsatz von "fecal microbiota transplants" (Stuhltransplantationen - eine Art Superprobiotikum). Ziel dieser oft als "Darmsanierung" bezeichneten Maßnahmen ist immer die Wiederherstellung eines intakten Ökosystems, d.h. es muss ein großer Artenreichtum (Biodiversität) herrschen und probiotische (für den Menschen nützliche) Bakterienstämme müssen imstande sein, potentielle pathogene Bakterienstämme, aber auch Viren und Pilze in Schach zu halten. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung können das die beliebten und aggressiv vermarkteten Probiotika nicht. Die verabreichten Bakterien verbleiben nämlich nicht langfristig im Darm.
In ihrem bedeutenden Artikel "Clinical and fecal microbial changes with diet therapy in active inflammatory bowel disease" konnten Professor Suskind und Kollegen ein weiteres Mal demonstrieren, warum die Spezielle Kohlenhydratdiät wirkt. 12 Kinder und Jugendliche mit aktiver chronisch-entzündlicher Darmerkrankung nahmen an der Studie teil. Innerhalb von nur drei Monaten mit der SCD reduzierten sie den Aktivitätsindex der Erkrankung von 28.1 auf 4.6 (Crohn) bzw. von 28.3 auf 6.7 (Kolitis). Der CRP-Wert sank von 24.1 auf 7.1. Lediglich für zwei der 12 Teilnehmer war die Ernährungsumstellung scheinbar nicht effektiv. Noch spannender als dieser beeindruckende Fakt, dass die Spezielle Kohlenhydratdiät fähig ist, Patienten aus dem aktiven in das Remissionsstadium zu geleiten, sind aber weitere Veränderungen, die bei den jungen Patienten beobachtet werden konnten:
- Jeder einzelne Teilnehmer zeigte zum Studienbeginn eine Dysbiose, also eine Verschiebung der Darmflora.
- Diese Veränderungen waren hochindividuell. Es konnte kein gemeinsames Muster gefunden werden.
- Nach nur zwei Wochen SCD hatten sich die Konzentrationen von bspw. Clostridien, Klebsiellen, Streptokokken und E.coli reduziert.
- Währenddessen erhöhte sich jedoch die Biodiversität (Artenvielfalt) bzw. blieb stabil. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu anderen Eliminationsdiäten, wie low-FODMAP oder auch der Elementardiät, bei welchen strategisch Substrate entzogen werden.
Das Darmmilieu verbesserte sich also mit der Speziellen Kohlenhydratdiät innerhalb kurzer Zeit, während damit starke klinische Verbesserungen einhergingen!
Schluss mit dem Leiden! Geben Sie der SCD eine faire Chance über drei Monate. Lassen Sie sich dabei von einer medizinischen Fachkraft begleiten.
Bildquellen
Die tollen Bilder wurden bereitgestellt von:
Bild1/Gemüse/Obst: Julien Christ via Pixelio.de
Bild2/Toilette: tokamuwi via Pixelio.de
Bild3/Petrischale/Bakterien: Cornelia Menichelli via Pixelio.de