Gluten und unsere Psyche

In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gluten und Störungen wie Angsterkrankungen/Phobien und Depressionen gezeigt werden.
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In unserem kürzlich erschienen Artikel zur wissenschaftlich erwiesenen Möglichkeit der Heilung des Reizdarmsyndroms durch Glutenverzicht haben wir darauf hingewiesen, dass ein absoluter Getreideverzicht für alle Menschen (wie in vielen Bestsellern propagiert) unserer Meinung nach nicht nötig bzw. sinnvoll ist. Eine krasse Ausnahme stellt dabei das Reizdarmsyndrom dar, bei welchem ein Glutenverzicht nach einem halben Jahr zur Normalisierung der Darmbeschwerden in immerhin 37% der Studienteilnehmer führte (siehe Wahnschaffe und Kollegen, 2007). 

 

Nun handelt es sich mit dem Reizdarmsyndrom nicht um einen Einzelfall, denn auch andere Erkrankungen können nachweislich von einer glutenfreien Kost profitieren (u.a. Störungen der Schilddrüse - bspw. bei Hashimoto weisen 43% der Betroffenen Glutenantikörper auf). Da es sich hier aber um einen Blog rund um das Reizdarmsyndrom handelt, möchten wir uns eine Gruppe von Erkrankungen genauer anschauen, welche seit jeher sehr eng mit dem RDS verwoben ist, auch wenn viele Betroffene das nicht so gern hören: die psychiatrischen Störungen von Angst bis Schizophrenie.

 

In ihrem Review aus dem Jahr 2002 kommen Whitehead und Kollegen zu dem Schluss, dass bis zu 94%(!) der von einem Reizdarm betroffenen Menschen unter psychiatrischen Störungen oder auffälligen Symptomen leiden.

 

Wir zeigen Ihnen, wie eine glutenfreie Kost auch auf diesem Nebenkriegsplatz helfen kann.

 

 


Zöliakie oder Glutensensitivität?

 

Noch vor wenigen Jahren war die Welt des Getreideproteins Gluten noch ganz einfach. Es war für uns Menschen entweder gut oder böse, denn entweder die Ärzte diagnostizierten eine Zöliakie und die Betroffenen mussten Gluten danach meiden, wie der Teufel das Weihwasser, oder aber man gehörte zum glücklichen Rest und konnte in aller Ruhe in seinen Marmeladentoast beißen. Die Zöliakie betrifft in den westlichen Ländern aber nur 1% der Bevölkerung, weshalb man die Probleme mit Gluten ruhig als Randphänomen betrachten konnte.

In den vergangenen Jahren etablierte sich aber zunehmend eine Störung namens Glutensensitivität. Die Betroffenen wurden oft lange Zeit als Hypochonder oder Spinner abgetan, denn weder zeigten Sie eine Veränderung der Mikorvilli, noch die typischen Antikörper, welche für die Diagnose einer Zöliakie so maßgeblich sind. Aber man beobachtete konsistent, dass unter Glutenabstinenz bspw. unerklärliche gastrointestinale Beschwerden verschwanden, sich der Stuhltransit verlangsamte, die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut normalisierte, Hautprobleme in Nichts auflösten etc. Außerdem fand man sogar Prädiktoren, welche auf eine Glutensensitivität hindeuten können.

 

Inzwischen geht man davon aus, dass rund 6% der Bevölkerung unter einer Glutensensitivität leiden (bspw. Jackson und Kollegen, 2012).

 

Nehmen wir die 1% der Zöliakiepatienten hinzu, dann kämen wir in Deutschland immerhin auf 5,6 Millionen Menschen. Vielleicht denken Sie jetzt: Okay, eine Chance von 6-7 aus 100 ist jetzt auch nicht so prall. Wahrscheinlich gehöre ich zu den 93%, welche Gluten gut vertragen und kann weiterhin meine Pizza futtern oder ein Bierchen trinken. Gut möglich. Da Sie aber zu den Lesern unseres Portals Reizdarmtherapie.net gehören, sollten Sie diese Rechnung noch einmal neu aufstellen, denn mit der Diagnose Reizdarmsyndrom steigt das Risiko für eine Zöliakie, aber vor allem für die Glutensensitivität stark an (Eswaran und Kollegen, 2013).

 

 

Terror durch Gluten? Es geht auch extraintestinal ...

 

Viele Patienten aber auch Ärzte glauben immer noch, dass sich die Zöliakie oder NCGS (non-celiac gluten sensitivity) "nur" durch Darmsymptome wie Bauchschmerzen, Durchfall, Malabsorption und -nutrition bemerkbar machen. Doch schon bei der Zöliakie haben wir gelernt, dass es sehr viele verschiedene extraintestinale Symptome gibt. Manche Zöliakiepatienten durchlaufen die wahre Hölle, weil sie aufgrund fehlender oder nur marginaler Darmprobleme nicht ordentlich diagnostiziert werden. 

 

Zu den häufigsten Ausprägungen einer Zöliakie oder NCGS zählen neben den Darmsymptomen, neurologische und psychiatrische Störungen.  

 

In ihrem Review berichten Jackson und Kollegen (2012) von folgenden Erscheinungsbildern:

 

 

Glutenataxie

Ataxie ist ein Oberbegriff für Störungen der Bewegungskoordination und Haltungsinnervation. In Untersuchungen zeigten 41% der betroffenen Personen Glutenantikörper, was die normalen Ausprägungen in Kontrollpersonen um ein Vielfaches überschreitet.

 

Epilepsie

In der Gruppe der Epilepsiepatienten reicht der Anteil der Personen, welche zusätzlich unter einer Zöliakie leiden bis zu 6% (im Vergleich zu nur 1% bei der Gesamtbevölkerung).

 

Migräne und Kopfschmerz

4,5% der Migränepatienten leiden unter einer Zöliakie, während gleichzeitig nur 0,4% der Kontrollpersonen betroffen waren. Die Kopfschmerzen verbesserten sich während einer glutenfreien Diät stark oder verschwanden ganz in dieser Gruppe.

 

Es ist bei allen diesen Beispielen daran zu denken, dass nur auf Zöliakie, nicht aber auf NCGS untersucht wurde, was die Raten wahrscheinlich noch rapide ansteigen ließe.

 

Angststörungen und Phobien

Inzwischen gibt es eine ganze Palette von Untersuchungen, welche einen Zusammenhang zwischen Gluten und Angsterkrankungen bzw. Phobien berichten. Am sichersten ist die Datenlage für die Generalisierte Angststörung, die Panikstörung und die Soziale Phobie. 

Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass ein Glutenverzicht nach einem Jahr die Angstsymptome stark verringern konnte.  

 

Depression

Ähnliches wie für die Angststörungen gilt auch für die Depression. In einer Gruppe von NCGS-Patienten war das Risiko doppelt so hoch an einer Depression zu erkranken, wie für gesunde Kontrollpersonen. Die Rate für Depressionen und Anpassungsstörungen ist unter Zöliakiepatienten erhöht, allerdings nicht die Rate für bipolare Störungen.

Auch wurden Verbesserungen durch glutenfreie Kost beschrieben.

 

ADHS

ADHS-Symptome sind unter Zöliakiepatienten überrepräsentiert.

Eine glutenfreie Kost verbessert die Symptome von ADHS-Betroffenen und in einer Untersuchung wollten 3 von 4 Patienten die glutenfreie Kost weiter nutzen, da sie ihre Symptome gut kontrollierte.

 

Autismus

Die Verbindung von Gluten und Autismus wird schon sehr lange erforscht. Autismuspatienten haben eine hohe Durchlässigkeit des Darmes. Oft finden sich in der Vorgeschichte der Familie (oft der Mutter) Zöliakie oder RDS. Eine gluten- und milchproteinfreie Diät erzielte Verbesserungen der autistischen Symptomatik und veränderte die pathologische Permeabilität.

 

Viele Eltern nutzen erfolgreich die Spezielle Kohlenhydratdiät zur Behandlung ihrer autistischen Kinder (Anmerkung des Autors).

 

Schizophrenie

Die Entdeckung, dass Gluten negative Effekte auf die Schizophrenie haben kann, stammt ebenfalls schon aus den 50ern. Der Anteil von Zöliakiepatienten unter den von Schizophrenie Betroffenen ist stark erhöht. Eine gluten- und milchproteinfreie Kost verbesserte die Symptomatik.

 

 

Unser Fazit

 

Wenn 95% der RDS-Betroffenen psychiatrische Abweichungen vom Normzustand zeigen, gleichzeitig sehr viele von ihnen unter einer Zöliakie oder noch eher einer NCGS leiden und eine starke Verbindung zwischen Gluten und psychiatrischen bzw. neuronalen Erkrankungen (bspw. ist bei RDS auch das Risiko für Epilepsie erhöht)besteht, kann man dann noch von einem Zufall oder einer bloßen Folge sozialer Einschränkungen ausgehen?

 

 Nicht umsonst zeigten Untersuchungen mit glutenfreier Kost beim Reizdarmsyndrom auch starke Verbesserungen von Angstsymptomen und Vermeidungsverhalten.

 

Sollten Sie also unter einem Reizdarmsyndrom leiden und zusätzlich eine der genannten Störungen entwickelt haben, dann können wir Ihnen den Glutenverzicht gar nicht noch mehr ans Herz legen. Probieren Sie es bitte aus!

 

Alles Gute und Liebe

die Redaktion